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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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DIE UNTERTHÄNIGEN LANDSCHAFTEN.
der wandernden Schauspielertruppen, der sogenannten ,Künstler'.
Zum Lohn der Treue gegen Rom, die dieser Fürst mit seinem
Leben bezahlt hatte, ward nicht nur der König von Pontos durch
die Römer gezwungen von der versuchten Occupation Kappado-
kiens abzustehen, sondern erhielt auch sein unmündiger Erbe
Ariarathes VI den südöstlichen Theil des Attalidenreiches, Ly-
kaonien nebst der östlich daran grenzenden in älterer Zeit zu
Kilikien gerechneten Landschaft. Endlich im fernen Nordosten
Kleinasiens gelangte ,Kappadokien am Meer' oder kurzweg der
,Meerstaat', Pontos zu steigender Ausdehnung und Bedeutung.
Nicht lange nach der Schlacht von Magnesia hatte König Phar-
nakes I sein Gebiet weit über den Halys bis nach Tios an der bi-
thynischen Grenze ausgedehnt und namentlich des reichen Sinope
sich bemächtigt, das aus einer griechischen Freistadt dieser Kö-
nige Residenz ward. Zwar hatten die durch diese Uebergriffe
gefährdeten Nachbarstaaten, König Eumenes II an ihrer Spitze,
desswegen Krieg gegen ihn geführt (571-575) und unter rö-
mischer Vermittlung das Versprechen von ihm erzwungen Gala-
tien und Paphlagonien zu räumen; allein der Verlauf der Ereig-
nisse zeigt, dass Pharnakes so wie sein Nachfolger Mithradates V
Euergetes (598?-634), die fortan als treue Bundesgenossen
Roms im dritten punischen Krieg so wie in dem gegen Aristoni-
kos erscheinen, nicht bloss jenseit des Halys sitzen blieben, son-
dern auch die Schutzherrlichkeit über die paphlagonischen und
galatischen Dynasten behielten; nur unter dieser Voraussetzung
ist es erklärlich, dass Mithradates, angeblich wegen seiner tapfern
Thaten im Kriege gegen Aristonikos, in der That für beträchtliche
an den römischen Feldherrn gezahlte Summen von demselben nach
Auflösung des attalischen Reiches Grossphrygien empfing. Wie
weit andererseits gegen den Kaukasus und die Euphratquellen
das pontische Reich sich um diese Zeit erstreckte, ist nicht genau
zu bestimmen; der westliche Theil von Armenien um Enderes
und Diwirigi oder das sogenannte Kleinarmenien scheint als ab-
hängige Satrapie dazu gehört zu haben, während Grossarmenien
und Sophene eigene unabhängige Reiche bildeten. -- Wenn also
auf der kleinasiatischen Halbinsel wesentlich Rom das Regiment
führte und, so vieles auch ohne und gegen seinen Willen ge-
schah, doch den Besitzstand im Ganzen bestimmte, so blieben da-
gegen die weiten Strecken jenseit des Tauros und des obern
Euphrat bis hinab zum Nilthal in der Hauptsache sich selber
überlassen. Zwar der dem Frieden mit Syrien von 565 zu Grunde
gelegte Satz, dass der Halys und der Tauros die Ostgrenze der

DIE UNTERTHÄNIGEN LANDSCHAFTEN.
der wandernden Schauspielertruppen, der sogenannten ‚Künstler‘.
Zum Lohn der Treue gegen Rom, die dieser Fürst mit seinem
Leben bezahlt hatte, ward nicht nur der König von Pontos durch
die Römer gezwungen von der versuchten Occupation Kappado-
kiens abzustehen, sondern erhielt auch sein unmündiger Erbe
Ariarathes VI den südöstlichen Theil des Attalidenreiches, Ly-
kaonien nebst der östlich daran grenzenden in älterer Zeit zu
Kilikien gerechneten Landschaft. Endlich im fernen Nordosten
Kleinasiens gelangte ‚Kappadokien am Meer‘ oder kurzweg der
‚Meerstaat‘, Pontos zu steigender Ausdehnung und Bedeutung.
Nicht lange nach der Schlacht von Magnesia hatte König Phar-
nakes I sein Gebiet weit über den Halys bis nach Tios an der bi-
thynischen Grenze ausgedehnt und namentlich des reichen Sinope
sich bemächtigt, das aus einer griechischen Freistadt dieser Kö-
nige Residenz ward. Zwar hatten die durch diese Uebergriffe
gefährdeten Nachbarstaaten, König Eumenes II an ihrer Spitze,
deſswegen Krieg gegen ihn geführt (571-575) und unter rö-
mischer Vermittlung das Versprechen von ihm erzwungen Gala-
tien und Paphlagonien zu räumen; allein der Verlauf der Ereig-
nisse zeigt, daſs Pharnakes so wie sein Nachfolger Mithradates V
Euergetes (598?-634), die fortan als treue Bundesgenossen
Roms im dritten punischen Krieg so wie in dem gegen Aristoni-
kos erscheinen, nicht bloſs jenseit des Halys sitzen blieben, son-
dern auch die Schutzherrlichkeit über die paphlagonischen und
galatischen Dynasten behielten; nur unter dieser Voraussetzung
ist es erklärlich, daſs Mithradates, angeblich wegen seiner tapfern
Thaten im Kriege gegen Aristonikos, in der That für beträchtliche
an den römischen Feldherrn gezahlte Summen von demselben nach
Auflösung des attalischen Reiches Groſsphrygien empfing. Wie
weit andererseits gegen den Kaukasus und die Euphratquellen
das pontische Reich sich um diese Zeit erstreckte, ist nicht genau
zu bestimmen; der westliche Theil von Armenien um Enderes
und Diwirigi oder das sogenannte Kleinarmenien scheint als ab-
hängige Satrapie dazu gehört zu haben, während Groſsarmenien
und Sophene eigene unabhängige Reiche bildeten. — Wenn also
auf der kleinasiatischen Halbinsel wesentlich Rom das Regiment
führte und, so vieles auch ohne und gegen seinen Willen ge-
schah, doch den Besitzstand im Ganzen bestimmte, so blieben da-
gegen die weiten Strecken jenseit des Tauros und des obern
Euphrat bis hinab zum Nilthal in der Hauptsache sich selber
überlassen. Zwar der dem Frieden mit Syrien von 565 zu Grunde
gelegte Satz, daſs der Halys und der Tauros die Ostgrenze der

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[53/0063] DIE UNTERTHÄNIGEN LANDSCHAFTEN. der wandernden Schauspielertruppen, der sogenannten ‚Künstler‘. Zum Lohn der Treue gegen Rom, die dieser Fürst mit seinem Leben bezahlt hatte, ward nicht nur der König von Pontos durch die Römer gezwungen von der versuchten Occupation Kappado- kiens abzustehen, sondern erhielt auch sein unmündiger Erbe Ariarathes VI den südöstlichen Theil des Attalidenreiches, Ly- kaonien nebst der östlich daran grenzenden in älterer Zeit zu Kilikien gerechneten Landschaft. Endlich im fernen Nordosten Kleinasiens gelangte ‚Kappadokien am Meer‘ oder kurzweg der ‚Meerstaat‘, Pontos zu steigender Ausdehnung und Bedeutung. Nicht lange nach der Schlacht von Magnesia hatte König Phar- nakes I sein Gebiet weit über den Halys bis nach Tios an der bi- thynischen Grenze ausgedehnt und namentlich des reichen Sinope sich bemächtigt, das aus einer griechischen Freistadt dieser Kö- nige Residenz ward. Zwar hatten die durch diese Uebergriffe gefährdeten Nachbarstaaten, König Eumenes II an ihrer Spitze, deſswegen Krieg gegen ihn geführt (571-575) und unter rö- mischer Vermittlung das Versprechen von ihm erzwungen Gala- tien und Paphlagonien zu räumen; allein der Verlauf der Ereig- nisse zeigt, daſs Pharnakes so wie sein Nachfolger Mithradates V Euergetes (598?-634), die fortan als treue Bundesgenossen Roms im dritten punischen Krieg so wie in dem gegen Aristoni- kos erscheinen, nicht bloſs jenseit des Halys sitzen blieben, son- dern auch die Schutzherrlichkeit über die paphlagonischen und galatischen Dynasten behielten; nur unter dieser Voraussetzung ist es erklärlich, daſs Mithradates, angeblich wegen seiner tapfern Thaten im Kriege gegen Aristonikos, in der That für beträchtliche an den römischen Feldherrn gezahlte Summen von demselben nach Auflösung des attalischen Reiches Groſsphrygien empfing. Wie weit andererseits gegen den Kaukasus und die Euphratquellen das pontische Reich sich um diese Zeit erstreckte, ist nicht genau zu bestimmen; der westliche Theil von Armenien um Enderes und Diwirigi oder das sogenannte Kleinarmenien scheint als ab- hängige Satrapie dazu gehört zu haben, während Groſsarmenien und Sophene eigene unabhängige Reiche bildeten. — Wenn also auf der kleinasiatischen Halbinsel wesentlich Rom das Regiment führte und, so vieles auch ohne und gegen seinen Willen ge- schah, doch den Besitzstand im Ganzen bestimmte, so blieben da- gegen die weiten Strecken jenseit des Tauros und des obern Euphrat bis hinab zum Nilthal in der Hauptsache sich selber überlassen. Zwar der dem Frieden mit Syrien von 565 zu Grunde gelegte Satz, daſs der Halys und der Tauros die Ostgrenze der

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/63>, abgerufen am 06.05.2024.