Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.VIERTES BUCH. KAPITEL XII. Philosophie, darunter der Meister den modernen Sophistik Kar-neades beauftragten (599). Die Wahl war in sofern zweck- mässig, als der ganz schandbare Handel jeder Rechtfertigung im gewöhnlichen Verstand spottete; dagegen passte es vollkommen für den Fall, wenn Karneades durch Rede und Gegenrede bewies, dass sich gerade ebenso viele und ebenso nachdrückliche Gründe zum Lobe der Ungerechtigkeit vorbringen liessen wie zum Lobe der Gerechtigkeit und wenn er in bester logischer Form darthat, dass man mit gleichem Recht von den Athenern verlangen könne Oropos herauszugeben und von den Römern sich wieder zu beschränken auf ihre alten Strohhütten am Palatin. Die der grie- chischen Sprache mächtige Jugend ward durch den Scandal wie durch den raschen und emphatischen Vortrag des gefeierten Man- nes schaarenweise angezogen; aber diesmal wenigstens konnte man Cato nicht Unrecht geben, wenn er nicht bloss die dialekti- schen Gedankenreihen der Philosophen unhöflich genug mit den langweiligen Psalmodien der Klageweiber verglich, sondern auch im Senat darauf drang einen Menschen auszuweisen, der die Kunst verstand Recht zu Unrecht und Unrecht zu Recht zu ma- chen und dessen Vertheidigung in der That nichts war als ein schamloses und fast höhnisches Eingeständniss des Unrechts. In- dess dergleichen Ausweisungen reichten nicht weit, um so weniger, da es doch der römischen Jugend nicht verwehrt werden konnte in Rhodos oder Athen philosophische Vorträge zu hören. Man ge- wöhnte sich die Philosophie zuerst wenigstens als nothwendiges Uebel zu dulden, bald auch für die in ihrer Naivetät nicht mehr haltbare römische Religion in der fremden Philosophie eine Stütze zu suchen, die als Glauben zwar sie ruinirte, aber dafür doch dem gebildeten Mann gestattete, die Namen und Formen des Volks- glaubens anständiger Weise einigermassen festzuhalten. Indess diese Stütze konnte weder der Euhemerismus sein noch die Sy- steme des Karneades und des Epikuros. Die Mythenhistorisirung trat dem Volksglauben allzu schroff entgegen, indem sie die Göt- ter geradezu für gute Menschen erklärte; Karneades zog gar ihre Existenz in Zweifel und Epikuros sprach ihnen wenigstens jeden Einfluss auf die Geschicke der Menschen ab. Zwischen diesen Systemen und der römischen Religion war ein Bündniss unmög- lich; sie waren und blieben verfehmt. Noch in Ciceros Schriften wird es für Bürgerpflicht erklärt dem Euhemerismus Widerstand zu leisten, der dem Gottesdienst zu nahe trete und von den in seinen Gesprächen auftretenden Akademikern und Epikureern muss jener sich entschuldigen, dass er als Philosoph zwar ein VIERTES BUCH. KAPITEL XII. Philosophie, darunter der Meister den modernen Sophistik Kar-neades beauftragten (599). Die Wahl war in sofern zweck- mäſsig, als der ganz schandbare Handel jeder Rechtfertigung im gewöhnlichen Verstand spottete; dagegen paſste es vollkommen für den Fall, wenn Karneades durch Rede und Gegenrede bewies, daſs sich gerade ebenso viele und ebenso nachdrückliche Gründe zum Lobe der Ungerechtigkeit vorbringen lieſsen wie zum Lobe der Gerechtigkeit und wenn er in bester logischer Form darthat, daſs man mit gleichem Recht von den Athenern verlangen könne Oropos herauszugeben und von den Römern sich wieder zu beschränken auf ihre alten Strohhütten am Palatin. Die der grie- chischen Sprache mächtige Jugend ward durch den Scandal wie durch den raschen und emphatischen Vortrag des gefeierten Man- nes schaarenweise angezogen; aber diesmal wenigstens konnte man Cato nicht Unrecht geben, wenn er nicht bloſs die dialekti- schen Gedankenreihen der Philosophen unhöflich genug mit den langweiligen Psalmodien der Klageweiber verglich, sondern auch im Senat darauf drang einen Menschen auszuweisen, der die Kunst verstand Recht zu Unrecht und Unrecht zu Recht zu ma- chen und dessen Vertheidigung in der That nichts war als ein schamloses und fast höhnisches Eingeständniſs des Unrechts. In- deſs dergleichen Ausweisungen reichten nicht weit, um so weniger, da es doch der römischen Jugend nicht verwehrt werden konnte in Rhodos oder Athen philosophische Vorträge zu hören. Man ge- wöhnte sich die Philosophie zuerst wenigstens als nothwendiges Uebel zu dulden, bald auch für die in ihrer Naivetät nicht mehr haltbare römische Religion in der fremden Philosophie eine Stütze zu suchen, die als Glauben zwar sie ruinirte, aber dafür doch dem gebildeten Mann gestattete, die Namen und Formen des Volks- glaubens anständiger Weise einigermaſsen festzuhalten. Indeſs diese Stütze konnte weder der Euhemerismus sein noch die Sy- steme des Karneades und des Epikuros. Die Mythenhistorisirung trat dem Volksglauben allzu schroff entgegen, indem sie die Göt- ter geradezu für gute Menschen erklärte; Karneades zog gar ihre Existenz in Zweifel und Epikuros sprach ihnen wenigstens jeden Einfluſs auf die Geschicke der Menschen ab. Zwischen diesen Systemen und der römischen Religion war ein Bündniſs unmög- lich; sie waren und blieben verfehmt. Noch in Ciceros Schriften wird es für Bürgerpflicht erklärt dem Euhemerismus Widerstand zu leisten, der dem Gottesdienst zu nahe trete und von den in seinen Gesprächen auftretenden Akademikern und Epikureern muſs jener sich entschuldigen, daſs er als Philosoph zwar ein <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0404" n="394"/><fw place="top" type="header">VIERTES BUCH. KAPITEL XII.</fw><lb/> Philosophie, darunter der Meister den modernen Sophistik Kar-<lb/> neades beauftragten (599). 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VIERTES BUCH. KAPITEL XII.
Philosophie, darunter der Meister den modernen Sophistik Kar-
neades beauftragten (599). Die Wahl war in sofern zweck-
mäſsig, als der ganz schandbare Handel jeder Rechtfertigung im
gewöhnlichen Verstand spottete; dagegen paſste es vollkommen
für den Fall, wenn Karneades durch Rede und Gegenrede bewies,
daſs sich gerade ebenso viele und ebenso nachdrückliche Gründe
zum Lobe der Ungerechtigkeit vorbringen lieſsen wie zum Lobe
der Gerechtigkeit und wenn er in bester logischer Form darthat,
daſs man mit gleichem Recht von den Athenern verlangen könne
Oropos herauszugeben und von den Römern sich wieder zu
beschränken auf ihre alten Strohhütten am Palatin. Die der grie-
chischen Sprache mächtige Jugend ward durch den Scandal wie
durch den raschen und emphatischen Vortrag des gefeierten Man-
nes schaarenweise angezogen; aber diesmal wenigstens konnte
man Cato nicht Unrecht geben, wenn er nicht bloſs die dialekti-
schen Gedankenreihen der Philosophen unhöflich genug mit den
langweiligen Psalmodien der Klageweiber verglich, sondern auch
im Senat darauf drang einen Menschen auszuweisen, der die
Kunst verstand Recht zu Unrecht und Unrecht zu Recht zu ma-
chen und dessen Vertheidigung in der That nichts war als ein
schamloses und fast höhnisches Eingeständniſs des Unrechts. In-
deſs dergleichen Ausweisungen reichten nicht weit, um so weniger,
da es doch der römischen Jugend nicht verwehrt werden konnte
in Rhodos oder Athen philosophische Vorträge zu hören. Man ge-
wöhnte sich die Philosophie zuerst wenigstens als nothwendiges
Uebel zu dulden, bald auch für die in ihrer Naivetät nicht mehr
haltbare römische Religion in der fremden Philosophie eine Stütze
zu suchen, die als Glauben zwar sie ruinirte, aber dafür doch dem
gebildeten Mann gestattete, die Namen und Formen des Volks-
glaubens anständiger Weise einigermaſsen festzuhalten. Indeſs
diese Stütze konnte weder der Euhemerismus sein noch die Sy-
steme des Karneades und des Epikuros. Die Mythenhistorisirung
trat dem Volksglauben allzu schroff entgegen, indem sie die Göt-
ter geradezu für gute Menschen erklärte; Karneades zog gar ihre
Existenz in Zweifel und Epikuros sprach ihnen wenigstens jeden
Einfluſs auf die Geschicke der Menschen ab. Zwischen diesen
Systemen und der römischen Religion war ein Bündniſs unmög-
lich; sie waren und blieben verfehmt. Noch in Ciceros Schriften
wird es für Bürgerpflicht erklärt dem Euhemerismus Widerstand
zu leisten, der dem Gottesdienst zu nahe trete und von den in
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