Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.VIERTES BUCH. KAPITEL I. So zog die Belagerung sich in die Länge. Die durch die Som-merhitze im Lager erzeugten Krankheiten, die Abreise des fähi- geren Feldherrn Censorinus, endlich die Verstimmung und Un- thätigkeit Massinissas, der begreiflicher Weise die Römer sehr ungern die längst begehrte Beute für sich selber nehmen sah, und bald darauf (Ende 605) der Tod des neunzigjährigen Königs brachten die Offensivoperationen der Römer völlig ins Stocken. Sie hatten genug zu thun um ihre Schiffe gegen die karthagi- schen Brander und ihr Lager gegen die nächtlichen Ueberfälle zu schützen und durch Anlegung eines Hafencastells und Streifzüge in die Umgegend Nahrung für Menschen und Pferde zu beschaf- fen. Zwei gegen Hasdrubal gerichtete Expeditionen blieben beide ohne Erfolg, ja die erste hätte bei der schlechten Führung auf dem schwierigen Terrain fast mit einer förmlichen Niederlage geendigt. So ruhmlos dieser Krieg für den Feldherrn wie für das Heer verlief, so glänzend that der Kriegstribun Scipio darin sich hervor. Er war es, der bei dem Nachtsturm der Feinde auf das römische Lager, mit einigen Reiterschwadronen ausrückend und den Feind in den Rücken fassend, ihn zum Umkehren nöthigte. Auf dem ersten Zug nach Nepheris machte er nach dem Fluss- übergang, der wider seinen Rath stattgefunden hatte und fast das Verderben des Heeres geworden wäre, durch einen verwege- nen Seitenangriff dem rückkehrenden Heer Luft und befreite eine schon verloren gegebene Abtheilung durch seinen aufopfernden Heldenmuth. Während die übrigen Offiziere, der Consul vor allem, durch ihre Wortlosigkeit die zum Uebertritt geneigten Städte und Parteiführer zurückschreckten, gelang es Scipio einen der tüchtigsten von diesen, Himilkon Phameas mit 2200 Reitern zum Uebertritt zu bestimmen. Endlich, nachdem er, den Auftrag des sterbenden Massinissa erfüllend, unter dessen drei Söhne, die Könige Micipsa, Gulussa und Mastanabal das Reich getheilt hatte, führte er in Gulussa einen seines Vaters würdigen Reiter- führer dem römischen Heer zu und half damit dem bisher empfind- lich gefühlten Mangel an leichter Reiterei ab. Sein feines und doch schlichtes Wesen, das mehr an seinen leiblichen Vater erinnerte als an den, dessen Namen er trug, bezwang selbst den Neid und im Lager wie in der Hauptstadt war Scipios Name auf allen Lip- pen. Selbst Cato, der nicht freigebig mit seinem Lobe war, wandte wenige Monate vor seinem Tode -- er starb am Ende des J. 605 ohne den Wunsch seines Lebens, die Vernichtung Karthagos er- füllt gesehen zu haben -- auf den jungen Offizier und seine un- fähigen Kameraden die homerische Zeile an: VIERTES BUCH. KAPITEL I. So zog die Belagerung sich in die Länge. Die durch die Som-merhitze im Lager erzeugten Krankheiten, die Abreise des fähi- geren Feldherrn Censorinus, endlich die Verstimmung und Un- thätigkeit Massinissas, der begreiflicher Weise die Römer sehr ungern die längst begehrte Beute für sich selber nehmen sah, und bald darauf (Ende 605) der Tod des neunzigjährigen Königs brachten die Offensivoperationen der Römer völlig ins Stocken. Sie hatten genug zu thun um ihre Schiffe gegen die karthagi- schen Brander und ihr Lager gegen die nächtlichen Ueberfälle zu schützen und durch Anlegung eines Hafencastells und Streifzüge in die Umgegend Nahrung für Menschen und Pferde zu beschaf- fen. Zwei gegen Hasdrubal gerichtete Expeditionen blieben beide ohne Erfolg, ja die erste hätte bei der schlechten Führung auf dem schwierigen Terrain fast mit einer förmlichen Niederlage geendigt. So ruhmlos dieser Krieg für den Feldherrn wie für das Heer verlief, so glänzend that der Kriegstribun Scipio darin sich hervor. Er war es, der bei dem Nachtsturm der Feinde auf das römische Lager, mit einigen Reiterschwadronen ausrückend und den Feind in den Rücken fassend, ihn zum Umkehren nöthigte. Auf dem ersten Zug nach Nepheris machte er nach dem Fluſs- übergang, der wider seinen Rath stattgefunden hatte und fast das Verderben des Heeres geworden wäre, durch einen verwege- nen Seitenangriff dem rückkehrenden Heer Luft und befreite eine schon verloren gegebene Abtheilung durch seinen aufopfernden Heldenmuth. Während die übrigen Offiziere, der Consul vor allem, durch ihre Wortlosigkeit die zum Uebertritt geneigten Städte und Parteiführer zurückschreckten, gelang es Scipio einen der tüchtigsten von diesen, Himilkon Phameas mit 2200 Reitern zum Uebertritt zu bestimmen. Endlich, nachdem er, den Auftrag des sterbenden Massinissa erfüllend, unter dessen drei Söhne, die Könige Micipsa, Gulussa und Mastanabal das Reich getheilt hatte, führte er in Gulussa einen seines Vaters würdigen Reiter- führer dem römischen Heer zu und half damit dem bisher empfind- lich gefühlten Mangel an leichter Reiterei ab. Sein feines und doch schlichtes Wesen, das mehr an seinen leiblichen Vater erinnerte als an den, dessen Namen er trug, bezwang selbst den Neid und im Lager wie in der Hauptstadt war Scipios Name auf allen Lip- pen. Selbst Cato, der nicht freigebig mit seinem Lobe war, wandte wenige Monate vor seinem Tode — er starb am Ende des J. 605 ohne den Wunsch seines Lebens, die Vernichtung Karthagos er- füllt gesehen zu haben — auf den jungen Offizier und seine un- fähigen Kameraden die homerische Zeile an: <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0040" n="30"/><fw place="top" type="header">VIERTES BUCH. KAPITEL I.</fw><lb/> So zog die Belagerung sich in die Länge. 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VIERTES BUCH. KAPITEL I.
So zog die Belagerung sich in die Länge. Die durch die Som-
merhitze im Lager erzeugten Krankheiten, die Abreise des fähi-
geren Feldherrn Censorinus, endlich die Verstimmung und Un-
thätigkeit Massinissas, der begreiflicher Weise die Römer sehr
ungern die längst begehrte Beute für sich selber nehmen sah,
und bald darauf (Ende 605) der Tod des neunzigjährigen Königs
brachten die Offensivoperationen der Römer völlig ins Stocken.
Sie hatten genug zu thun um ihre Schiffe gegen die karthagi-
schen Brander und ihr Lager gegen die nächtlichen Ueberfälle zu
schützen und durch Anlegung eines Hafencastells und Streifzüge
in die Umgegend Nahrung für Menschen und Pferde zu beschaf-
fen. Zwei gegen Hasdrubal gerichtete Expeditionen blieben beide
ohne Erfolg, ja die erste hätte bei der schlechten Führung auf
dem schwierigen Terrain fast mit einer förmlichen Niederlage
geendigt. So ruhmlos dieser Krieg für den Feldherrn wie für das
Heer verlief, so glänzend that der Kriegstribun Scipio darin sich
hervor. Er war es, der bei dem Nachtsturm der Feinde auf das
römische Lager, mit einigen Reiterschwadronen ausrückend und
den Feind in den Rücken fassend, ihn zum Umkehren nöthigte.
Auf dem ersten Zug nach Nepheris machte er nach dem Fluſs-
übergang, der wider seinen Rath stattgefunden hatte und fast
das Verderben des Heeres geworden wäre, durch einen verwege-
nen Seitenangriff dem rückkehrenden Heer Luft und befreite eine
schon verloren gegebene Abtheilung durch seinen aufopfernden
Heldenmuth. Während die übrigen Offiziere, der Consul vor
allem, durch ihre Wortlosigkeit die zum Uebertritt geneigten
Städte und Parteiführer zurückschreckten, gelang es Scipio einen
der tüchtigsten von diesen, Himilkon Phameas mit 2200 Reitern
zum Uebertritt zu bestimmen. Endlich, nachdem er, den Auftrag
des sterbenden Massinissa erfüllend, unter dessen drei Söhne,
die Könige Micipsa, Gulussa und Mastanabal das Reich getheilt
hatte, führte er in Gulussa einen seines Vaters würdigen Reiter-
führer dem römischen Heer zu und half damit dem bisher empfind-
lich gefühlten Mangel an leichter Reiterei ab. Sein feines und doch
schlichtes Wesen, das mehr an seinen leiblichen Vater erinnerte
als an den, dessen Namen er trug, bezwang selbst den Neid und
im Lager wie in der Hauptstadt war Scipios Name auf allen Lip-
pen. Selbst Cato, der nicht freigebig mit seinem Lobe war, wandte
wenige Monate vor seinem Tode — er starb am Ende des J. 605
ohne den Wunsch seines Lebens, die Vernichtung Karthagos er-
füllt gesehen zu haben — auf den jungen Offizier und seine un-
fähigen Kameraden die homerische Zeile an:
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