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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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DIE SULLANISCHE VERFASSUNG.
Leute sich um die aufgehende Sonne kümmerten als um die unter-
gehende, und bewilligte dem eitlen Hohlkopf die leeren Ehren-
bezeugungen, an denen sein Herz hing (S. 319). Wenn er hier
sich lässlich zeigte, so bewies er dagegen Ofella gegenüber, dass
er nicht der Mann war sich von seinen Marschällen imponiren zu
lassen: so wie dieser verfassungswidrig als Bewerber aufgetreten
war, liess ihn Sulla auf öffentlichem Marktplatz niedermachen und
setzte sodann der versammelten Bürgerschaft auseinander, dass
die That auf seinen Befehl und warum sie vollzogen sei. So ver-
stummte zwar für jetzt diese bezeichnende Opposition des Haupt-
quartiers gegen die neue Ordnung der Dinge; aber sie blieb be-
stehen und gab den praktischen Commentar zu Sullas Worten,
dass das, was er gethan, sich nicht wiederholen lassen werde.

Eines blieb noch übrig -- vielleicht das Schwerste von
allem: die Zurückführung der Ausnahmszustände in die neualten
gesetzlichen Bahnen. Sie ward dadurch erleichtert, dass Sulla
diese letzte Aufgabe nie aus den Augen verloren hatte. Obwohl
das valerische Gesetz ihm absolute Gewalt und jeder seiner Ver-
ordnungen Gesetzeskraft gegeben, hatte er dennoch dieser exor-
bitanten Befugniss sich nur bei Massregeln bedient, die von vor-
übergehender Bedeutung waren und wo die Betheiligung Rath und
Bürgerschaft bloss nutzlos compromittirt haben würde, nament-
lich bei den Aechtungen. Regelmässig hatte er schon selbst die-
jenigen Bestimmungen beobachtet, die er für die Zukunft vor-
schrieb. Dass das Volk befragt ward, lesen wir in dem Quä-
storengesetz, das zum Theil noch vorhanden ist, und von andern
Gesetzen, z. B. dem Aufwandgesetz und denen über die Confis-
cationen der Feldmarken, ist es bezeugt. Ebenso ward bei wich-
tigeren Administrativacten, wie die Entsendung und die Zurück-
berufung der africanischen Armee und die Ertheilung städtischer
Freibriefe waren, der Senat vorangestellt. In demselben Sinn
liess Sulla schon für 673 Consuln wählen, wodurch wenigstens
die gehässige officielle Datirung nach der Regentschaft vermieden
ward; doch blieb die Macht noch ausschliesslich bei dem Re-
genten und ward die Wahl auf secundäre Persönlichkeiten ge-
leitet. Aber schon 674 liess Sulla die ordentliche Verfassung
wieder vollständig eintreten und verwaltete als Consul in Gemein-
schaft mit seinem Waffengenossen Quintus Metellus den Staat,
während er die Regentschaft zwar noch beibehielt, aber vorläufig
ruhen liess. Er sah es wohl, wie gefährlich es eben für seine
eigenen Institutionen war die Militärdictatur zu perpetuiren. Da
die neuen Zustände sich haltbar zu erweisen schienen und von

DIE SULLANISCHE VERFASSUNG.
Leute sich um die aufgehende Sonne kümmerten als um die unter-
gehende, und bewilligte dem eitlen Hohlkopf die leeren Ehren-
bezeugungen, an denen sein Herz hing (S. 319). Wenn er hier
sich läſslich zeigte, so bewies er dagegen Ofella gegenüber, daſs
er nicht der Mann war sich von seinen Marschällen imponiren zu
lassen: so wie dieser verfassungswidrig als Bewerber aufgetreten
war, lieſs ihn Sulla auf öffentlichem Marktplatz niedermachen und
setzte sodann der versammelten Bürgerschaft auseinander, daſs
die That auf seinen Befehl und warum sie vollzogen sei. So ver-
stummte zwar für jetzt diese bezeichnende Opposition des Haupt-
quartiers gegen die neue Ordnung der Dinge; aber sie blieb be-
stehen und gab den praktischen Commentar zu Sullas Worten,
daſs das, was er gethan, sich nicht wiederholen lassen werde.

Eines blieb noch übrig — vielleicht das Schwerste von
allem: die Zurückführung der Ausnahmszustände in die neualten
gesetzlichen Bahnen. Sie ward dadurch erleichtert, daſs Sulla
diese letzte Aufgabe nie aus den Augen verloren hatte. Obwohl
das valerische Gesetz ihm absolute Gewalt und jeder seiner Ver-
ordnungen Gesetzeskraft gegeben, hatte er dennoch dieser exor-
bitanten Befugniſs sich nur bei Maſsregeln bedient, die von vor-
übergehender Bedeutung waren und wo die Betheiligung Rath und
Bürgerschaft bloſs nutzlos compromittirt haben würde, nament-
lich bei den Aechtungen. Regelmäſsig hatte er schon selbst die-
jenigen Bestimmungen beobachtet, die er für die Zukunft vor-
schrieb. Daſs das Volk befragt ward, lesen wir in dem Quä-
storengesetz, das zum Theil noch vorhanden ist, und von andern
Gesetzen, z. B. dem Aufwandgesetz und denen über die Confis-
cationen der Feldmarken, ist es bezeugt. Ebenso ward bei wich-
tigeren Administrativacten, wie die Entsendung und die Zurück-
berufung der africanischen Armee und die Ertheilung städtischer
Freibriefe waren, der Senat vorangestellt. In demselben Sinn
lieſs Sulla schon für 673 Consuln wählen, wodurch wenigstens
die gehässige officielle Datirung nach der Regentschaft vermieden
ward; doch blieb die Macht noch ausschlieſslich bei dem Re-
genten und ward die Wahl auf secundäre Persönlichkeiten ge-
leitet. Aber schon 674 lieſs Sulla die ordentliche Verfassung
wieder vollständig eintreten und verwaltete als Consul in Gemein-
schaft mit seinem Waffengenossen Quintus Metellus den Staat,
während er die Regentschaft zwar noch beibehielt, aber vorläufig
ruhen lieſs. Er sah es wohl, wie gefährlich es eben für seine
eigenen Institutionen war die Militärdictatur zu perpetuiren. Da
die neuen Zustände sich haltbar zu erweisen schienen und von

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[349/0359] DIE SULLANISCHE VERFASSUNG. Leute sich um die aufgehende Sonne kümmerten als um die unter- gehende, und bewilligte dem eitlen Hohlkopf die leeren Ehren- bezeugungen, an denen sein Herz hing (S. 319). Wenn er hier sich läſslich zeigte, so bewies er dagegen Ofella gegenüber, daſs er nicht der Mann war sich von seinen Marschällen imponiren zu lassen: so wie dieser verfassungswidrig als Bewerber aufgetreten war, lieſs ihn Sulla auf öffentlichem Marktplatz niedermachen und setzte sodann der versammelten Bürgerschaft auseinander, daſs die That auf seinen Befehl und warum sie vollzogen sei. So ver- stummte zwar für jetzt diese bezeichnende Opposition des Haupt- quartiers gegen die neue Ordnung der Dinge; aber sie blieb be- stehen und gab den praktischen Commentar zu Sullas Worten, daſs das, was er gethan, sich nicht wiederholen lassen werde. Eines blieb noch übrig — vielleicht das Schwerste von allem: die Zurückführung der Ausnahmszustände in die neualten gesetzlichen Bahnen. Sie ward dadurch erleichtert, daſs Sulla diese letzte Aufgabe nie aus den Augen verloren hatte. Obwohl das valerische Gesetz ihm absolute Gewalt und jeder seiner Ver- ordnungen Gesetzeskraft gegeben, hatte er dennoch dieser exor- bitanten Befugniſs sich nur bei Maſsregeln bedient, die von vor- übergehender Bedeutung waren und wo die Betheiligung Rath und Bürgerschaft bloſs nutzlos compromittirt haben würde, nament- lich bei den Aechtungen. Regelmäſsig hatte er schon selbst die- jenigen Bestimmungen beobachtet, die er für die Zukunft vor- schrieb. Daſs das Volk befragt ward, lesen wir in dem Quä- storengesetz, das zum Theil noch vorhanden ist, und von andern Gesetzen, z. B. dem Aufwandgesetz und denen über die Confis- cationen der Feldmarken, ist es bezeugt. Ebenso ward bei wich- tigeren Administrativacten, wie die Entsendung und die Zurück- berufung der africanischen Armee und die Ertheilung städtischer Freibriefe waren, der Senat vorangestellt. In demselben Sinn lieſs Sulla schon für 673 Consuln wählen, wodurch wenigstens die gehässige officielle Datirung nach der Regentschaft vermieden ward; doch blieb die Macht noch ausschlieſslich bei dem Re- genten und ward die Wahl auf secundäre Persönlichkeiten ge- leitet. Aber schon 674 lieſs Sulla die ordentliche Verfassung wieder vollständig eintreten und verwaltete als Consul in Gemein- schaft mit seinem Waffengenossen Quintus Metellus den Staat, während er die Regentschaft zwar noch beibehielt, aber vorläufig ruhen lieſs. Er sah es wohl, wie gefährlich es eben für seine eigenen Institutionen war die Militärdictatur zu perpetuiren. Da die neuen Zustände sich haltbar zu erweisen schienen und von

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/359>, abgerufen am 19.05.2024.