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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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DIE SULLANISCHE VERFASSUNG.
war zu Ende. Die gracchische Verfassung, noch geschont in der
ersten sullanischen Reform von 666, ward jetzt von Grund aus
beseitigt. Seit Gaius Gracchus hatte die Regierung dem haupt-
städtischen Proletariat das Recht der Emeute gleichsam zugestan-
den und es abgekauft durch regelmässige Getreidevertheilungen
an die in der Hauptstadt domicilirten Bürger; Sulla schaffte die-
selben ab. Durch die Verpachtung der Zehnten und Zölle der
Provinz Asia in Rom hatte Gaius Gracchus den Capitalistenstand
organisirt und fundirt; Sulla hob das System der Mittelsmänner
auf und verwandelte die bisherigen Leistungen der Asiaten in
feste Abgaben, welche nach den zum Zweck der Nachzahlung
der Rückstände entworfenen Schätzungslisten auf die einzel-
nen Bezirke umgelegt wurden.* Gaius Gracchus hatte durch
Uebergabe der Geschworenenposten an die Männer vom Ritter-
census dem Capitalistenstand eine indirecte Mitverwaltung und
Mitregierung gestattet, die nicht selten sich stärker als die officielle
Verwaltung und Regierung erwies; Sulla schaffte die Ritter-
gerichte ab und stellte die senatorischen wieder her. Der Ritter-
stand, durch Gaius Gracchus politisch constituirt, verlor seine
politische Existenz durch Sulla. Unbedingt, ungetheilt und auf
die Dauer sollte der Senat die höchste Macht in Gesetzgebung,
Verwaltung und Gerichten überkommen.

Vor allem musste zu diesem Ende die Regierungsbehörde
ergänzt und selber unabhängig gestellt werden. Nach der bishe-
rigen Verfassung sassen von Rechtswegen im Senat alle diejenigen,
die eines der drei curulischen Aemter, Consulat, Prätur oder
Aedilität bekleidet hatten, ausserdem, da deren Zahl nicht aus-
reichte, die von den Censoren nach Ermessen in den Senat ge-
wählten Mitglieder, welche Wahl begreiflicher Weise vorzugsweise
auf die gewesenen niederen Beamten sich lenkte. Augenblicklich
war natürlich durch die letzten Krisen die Zahl der Senatoren
sehr zusammengeschwunden. Zwar stellte Sulla den durch die

* Dass Sullas Umlage der rückständigen fünf Jahreszieler und der
Kriegskosten auf die Gemeinden von Asia (Appian Mithr. 62 und sonst)
auch für die Zukunft massgebend war, zeigt schon die Zurückführung der
Eintheilung Asias in vierzig Districte auf Sulla (Cassiodor chron. 670) und
die Zugrundelegung der sullanischen Repartition bei späteren Ausschrei-
bungen (Cic. pro Flacc. 14, 32), ferner dass bei dem Flottenbau 672 die
hiezu verwandten Summen an der Steuerzahlung (ex pecunia vectigali po-
pulo Romano)
gekürzt werden (Cic. Verr. I. I, 35, 89). Geradezu sagt
endlich Cicero (ad Q. fr. I, 1, 11, 33), dass die Griechen ,nicht im Stande
waren von sich aus den von Sulla ihnen auferlegten Zins zu zahlen ohne
Steuerpächter'.

DIE SULLANISCHE VERFASSUNG.
war zu Ende. Die gracchische Verfassung, noch geschont in der
ersten sullanischen Reform von 666, ward jetzt von Grund aus
beseitigt. Seit Gaius Gracchus hatte die Regierung dem haupt-
städtischen Proletariat das Recht der Emeute gleichsam zugestan-
den und es abgekauft durch regelmäſsige Getreidevertheilungen
an die in der Hauptstadt domicilirten Bürger; Sulla schaffte die-
selben ab. Durch die Verpachtung der Zehnten und Zölle der
Provinz Asia in Rom hatte Gaius Gracchus den Capitalistenstand
organisirt und fundirt; Sulla hob das System der Mittelsmänner
auf und verwandelte die bisherigen Leistungen der Asiaten in
feste Abgaben, welche nach den zum Zweck der Nachzahlung
der Rückstände entworfenen Schätzungslisten auf die einzel-
nen Bezirke umgelegt wurden.* Gaius Gracchus hatte durch
Uebergabe der Geschworenenposten an die Männer vom Ritter-
census dem Capitalistenstand eine indirecte Mitverwaltung und
Mitregierung gestattet, die nicht selten sich stärker als die officielle
Verwaltung und Regierung erwies; Sulla schaffte die Ritter-
gerichte ab und stellte die senatorischen wieder her. Der Ritter-
stand, durch Gaius Gracchus politisch constituirt, verlor seine
politische Existenz durch Sulla. Unbedingt, ungetheilt und auf
die Dauer sollte der Senat die höchste Macht in Gesetzgebung,
Verwaltung und Gerichten überkommen.

Vor allem muſste zu diesem Ende die Regierungsbehörde
ergänzt und selber unabhängig gestellt werden. Nach der bishe-
rigen Verfassung saſsen von Rechtswegen im Senat alle diejenigen,
die eines der drei curulischen Aemter, Consulat, Prätur oder
Aedilität bekleidet hatten, auſserdem, da deren Zahl nicht aus-
reichte, die von den Censoren nach Ermessen in den Senat ge-
wählten Mitglieder, welche Wahl begreiflicher Weise vorzugsweise
auf die gewesenen niederen Beamten sich lenkte. Augenblicklich
war natürlich durch die letzten Krisen die Zahl der Senatoren
sehr zusammengeschwunden. Zwar stellte Sulla den durch die

* Daſs Sullas Umlage der rückständigen fünf Jahreszieler und der
Kriegskosten auf die Gemeinden von Asia (Appian Mithr. 62 und sonst)
auch für die Zukunft maſsgebend war, zeigt schon die Zurückführung der
Eintheilung Asias in vierzig Districte auf Sulla (Cassiodor chron. 670) und
die Zugrundelegung der sullanischen Repartition bei späteren Ausschrei-
bungen (Cic. pro Flacc. 14, 32), ferner daſs bei dem Flottenbau 672 die
hiezu verwandten Summen an der Steuerzahlung (ex pecunia vectigali po-
pulo Romano)
gekürzt werden (Cic. Verr. I. I, 35, 89). Geradezu sagt
endlich Cicero (ad Q. fr. I, 1, 11, 33), daſs die Griechen ‚nicht im Stande
waren von sich aus den von Sulla ihnen auferlegten Zins zu zahlen ohne
Steuerpächter‘.
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[333/0343] DIE SULLANISCHE VERFASSUNG. war zu Ende. Die gracchische Verfassung, noch geschont in der ersten sullanischen Reform von 666, ward jetzt von Grund aus beseitigt. Seit Gaius Gracchus hatte die Regierung dem haupt- städtischen Proletariat das Recht der Emeute gleichsam zugestan- den und es abgekauft durch regelmäſsige Getreidevertheilungen an die in der Hauptstadt domicilirten Bürger; Sulla schaffte die- selben ab. Durch die Verpachtung der Zehnten und Zölle der Provinz Asia in Rom hatte Gaius Gracchus den Capitalistenstand organisirt und fundirt; Sulla hob das System der Mittelsmänner auf und verwandelte die bisherigen Leistungen der Asiaten in feste Abgaben, welche nach den zum Zweck der Nachzahlung der Rückstände entworfenen Schätzungslisten auf die einzel- nen Bezirke umgelegt wurden. * Gaius Gracchus hatte durch Uebergabe der Geschworenenposten an die Männer vom Ritter- census dem Capitalistenstand eine indirecte Mitverwaltung und Mitregierung gestattet, die nicht selten sich stärker als die officielle Verwaltung und Regierung erwies; Sulla schaffte die Ritter- gerichte ab und stellte die senatorischen wieder her. Der Ritter- stand, durch Gaius Gracchus politisch constituirt, verlor seine politische Existenz durch Sulla. Unbedingt, ungetheilt und auf die Dauer sollte der Senat die höchste Macht in Gesetzgebung, Verwaltung und Gerichten überkommen. Vor allem muſste zu diesem Ende die Regierungsbehörde ergänzt und selber unabhängig gestellt werden. Nach der bishe- rigen Verfassung saſsen von Rechtswegen im Senat alle diejenigen, die eines der drei curulischen Aemter, Consulat, Prätur oder Aedilität bekleidet hatten, auſserdem, da deren Zahl nicht aus- reichte, die von den Censoren nach Ermessen in den Senat ge- wählten Mitglieder, welche Wahl begreiflicher Weise vorzugsweise auf die gewesenen niederen Beamten sich lenkte. Augenblicklich war natürlich durch die letzten Krisen die Zahl der Senatoren sehr zusammengeschwunden. Zwar stellte Sulla den durch die * Daſs Sullas Umlage der rückständigen fünf Jahreszieler und der Kriegskosten auf die Gemeinden von Asia (Appian Mithr. 62 und sonst) auch für die Zukunft maſsgebend war, zeigt schon die Zurückführung der Eintheilung Asias in vierzig Districte auf Sulla (Cassiodor chron. 670) und die Zugrundelegung der sullanischen Repartition bei späteren Ausschrei- bungen (Cic. pro Flacc. 14, 32), ferner daſs bei dem Flottenbau 672 die hiezu verwandten Summen an der Steuerzahlung (ex pecunia vectigali po- pulo Romano) gekürzt werden (Cic. Verr. I. I, 35, 89). Geradezu sagt endlich Cicero (ad Q. fr. I, 1, 11, 33), daſs die Griechen ‚nicht im Stande waren von sich aus den von Sulla ihnen auferlegten Zins zu zahlen ohne Steuerpächter‘.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/343>, abgerufen am 22.05.2024.