Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.VIERTES BUCH. KAPITEL X. ertheilt werden solle über Leben und Eigenthum der Bürger inerster und letzter Instanz zu erkennen, mit den Staatsdomänen nach Gutdünken zu schalten, die Grenzen Roms, Italiens, des Staats nach Ermessen zu verschieben, in Italien Stadtgemeinden aufzulösen oder zu gründen, über die Provinzen und die abhän- gigen Staaten zu verfügen, das höchste Imperium anstatt des Volkes zu vergeben und Proconsuln und Propraetoren zu er- nennen, endlich durch neue Gesetze für die Zukunft den Staat zu ordnen; dass es in sein eigenes Ermessen gestellt werden solle, wann er seine Aufgabe gelöst und es an der Zeit erachte dies ausserordentliche Amt niederzulegen; dass endlich während des- selben es von seinem Gutfinden abhängen solle die ordentliche höchste Magistratur daneben eintreten oder auch ruhen zu lassen. Wie die Gesetze es vorschrieben, entfernte der Proconsul sich aus der Stadt, während über diesen Antrag abgestimmt wurde; es versteht sich, dass die Annahme ohne Widerspruch stattfand (Nov. 672). Den Namen und die äusserlichen Insignien, wie zum Beispiel die vierundzwanzig Lictoren, mit denen ausser seiner bewaffneten Escorte Sulla sich umgab, entlehnte dies neue Amt von der seit dem hannibalischen Kriege thatsächlich abgeschaff- ten Dictatur (I, 607); in der That war diese neue ,Dictatur zur Abfassung von Gesetzen und zur Ordnung des Gemeinwesens', wie die officielle Titulatur lautet, ein ganz anderes als jenes ehe- malige der Zeit und der Competenz nach beschränkte, die Pro- vocation an die Bürgerschaft nicht ausschliessende und die or- dentliche Magistratur nicht annullirende Amt. Es glich dasselbe viel mehr dem ausserordentlichen Amt der ,Zehnmänner zur Ab- fassung von Gesetzen, die ja auch als ausserordentliche Re- gierung mit unbeschränkter Machtvollkommenheit unter Beseiti- gung der ordentlichen Magistratur aufgetreten waren und that- sächlich wenigstens ihr Amt als ein der Zeit nach unbegrenztes verwaltet hatten. Oder vielmehr dies neue Amt mit seiner auf gesetzlichen Basen ruhenden, durch keine Befristung und Colle- gialität eingeengten absoluten Gewalt war nichts anderes als das alte Königthum, das ja eben auch beruhte auf der freien Ver- pflichtung der Bürgerschaft einem aus ihrer Mitte als absolutem Herrn zu gehorchen; selbst von Zeitgenossen wird zur Rechtfer- tigung Sullas es geltend gemacht, dass ein König besser sei als eine schlechte Verfassung* und vermuthlich ward auch der Dic- tatortitel nur gewählt um anzudeuten, dass, wie die ehemalige * Satius est uti regibus quam uti malis legibus (ad Herenn. 2, 26).
VIERTES BUCH. KAPITEL X. ertheilt werden solle über Leben und Eigenthum der Bürger inerster und letzter Instanz zu erkennen, mit den Staatsdomänen nach Gutdünken zu schalten, die Grenzen Roms, Italiens, des Staats nach Ermessen zu verschieben, in Italien Stadtgemeinden aufzulösen oder zu gründen, über die Provinzen und die abhän- gigen Staaten zu verfügen, das höchste Imperium anstatt des Volkes zu vergeben und Proconsuln und Propraetoren zu er- nennen, endlich durch neue Gesetze für die Zukunft den Staat zu ordnen; daſs es in sein eigenes Ermessen gestellt werden solle, wann er seine Aufgabe gelöst und es an der Zeit erachte dies auſserordentliche Amt niederzulegen; daſs endlich während des- selben es von seinem Gutfinden abhängen solle die ordentliche höchste Magistratur daneben eintreten oder auch ruhen zu lassen. Wie die Gesetze es vorschrieben, entfernte der Proconsul sich aus der Stadt, während über diesen Antrag abgestimmt wurde; es versteht sich, daſs die Annahme ohne Widerspruch stattfand (Nov. 672). Den Namen und die äuſserlichen Insignien, wie zum Beispiel die vierundzwanzig Lictoren, mit denen auſser seiner bewaffneten Escorte Sulla sich umgab, entlehnte dies neue Amt von der seit dem hannibalischen Kriege thatsächlich abgeschaff- ten Dictatur (I, 607); in der That war diese neue ‚Dictatur zur Abfassung von Gesetzen und zur Ordnung des Gemeinwesens‘, wie die officielle Titulatur lautet, ein ganz anderes als jenes ehe- malige der Zeit und der Competenz nach beschränkte, die Pro- vocation an die Bürgerschaft nicht ausschlieſsende und die or- dentliche Magistratur nicht annullirende Amt. Es glich dasselbe viel mehr dem auſserordentlichen Amt der ‚Zehnmänner zur Ab- fassung von Gesetzen, die ja auch als auſserordentliche Re- gierung mit unbeschränkter Machtvollkommenheit unter Beseiti- gung der ordentlichen Magistratur aufgetreten waren und that- sächlich wenigstens ihr Amt als ein der Zeit nach unbegrenztes verwaltet hatten. Oder vielmehr dies neue Amt mit seiner auf gesetzlichen Basen ruhenden, durch keine Befristung und Colle- gialität eingeengten absoluten Gewalt war nichts anderes als das alte Königthum, das ja eben auch beruhte auf der freien Ver- pflichtung der Bürgerschaft einem aus ihrer Mitte als absolutem Herrn zu gehorchen; selbst von Zeitgenossen wird zur Rechtfer- tigung Sullas es geltend gemacht, daſs ein König besser sei als eine schlechte Verfassung* und vermuthlich ward auch der Dic- tatortitel nur gewählt um anzudeuten, daſs, wie die ehemalige * Satius est uti regibus quam uti malis legibus (ad Herenn. 2, 26).
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VIERTES BUCH. KAPITEL X.
ertheilt werden solle über Leben und Eigenthum der Bürger in
erster und letzter Instanz zu erkennen, mit den Staatsdomänen
nach Gutdünken zu schalten, die Grenzen Roms, Italiens, des
Staats nach Ermessen zu verschieben, in Italien Stadtgemeinden
aufzulösen oder zu gründen, über die Provinzen und die abhän-
gigen Staaten zu verfügen, das höchste Imperium anstatt des
Volkes zu vergeben und Proconsuln und Propraetoren zu er-
nennen, endlich durch neue Gesetze für die Zukunft den Staat
zu ordnen; daſs es in sein eigenes Ermessen gestellt werden solle,
wann er seine Aufgabe gelöst und es an der Zeit erachte dies
auſserordentliche Amt niederzulegen; daſs endlich während des-
selben es von seinem Gutfinden abhängen solle die ordentliche
höchste Magistratur daneben eintreten oder auch ruhen zu lassen.
Wie die Gesetze es vorschrieben, entfernte der Proconsul sich
aus der Stadt, während über diesen Antrag abgestimmt wurde;
es versteht sich, daſs die Annahme ohne Widerspruch stattfand
(Nov. 672). Den Namen und die äuſserlichen Insignien, wie zum
Beispiel die vierundzwanzig Lictoren, mit denen auſser seiner
bewaffneten Escorte Sulla sich umgab, entlehnte dies neue Amt
von der seit dem hannibalischen Kriege thatsächlich abgeschaff-
ten Dictatur (I, 607); in der That war diese neue ‚Dictatur zur
Abfassung von Gesetzen und zur Ordnung des Gemeinwesens‘,
wie die officielle Titulatur lautet, ein ganz anderes als jenes ehe-
malige der Zeit und der Competenz nach beschränkte, die Pro-
vocation an die Bürgerschaft nicht ausschlieſsende und die or-
dentliche Magistratur nicht annullirende Amt. Es glich dasselbe
viel mehr dem auſserordentlichen Amt der ‚Zehnmänner zur Ab-
fassung von Gesetzen, die ja auch als auſserordentliche Re-
gierung mit unbeschränkter Machtvollkommenheit unter Beseiti-
gung der ordentlichen Magistratur aufgetreten waren und that-
sächlich wenigstens ihr Amt als ein der Zeit nach unbegrenztes
verwaltet hatten. Oder vielmehr dies neue Amt mit seiner auf
gesetzlichen Basen ruhenden, durch keine Befristung und Colle-
gialität eingeengten absoluten Gewalt war nichts anderes als das
alte Königthum, das ja eben auch beruhte auf der freien Ver-
pflichtung der Bürgerschaft einem aus ihrer Mitte als absolutem
Herrn zu gehorchen; selbst von Zeitgenossen wird zur Rechtfer-
tigung Sullas es geltend gemacht, daſs ein König besser sei als
eine schlechte Verfassung * und vermuthlich ward auch der Dic-
tatortitel nur gewählt um anzudeuten, daſs, wie die ehemalige
* Satius est uti regibus quam uti malis legibus (ad Herenn. 2, 26).
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Zitationshilfe: | Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/334>, abgerufen am 16.02.2025. |