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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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der ,Glückliche', vielleicht nicht ohne einige Ironie, den Jüngling
als den ,Grossen'.

Auch im Osten hatten nach Sullas Einschiffung im Früh-
ling 671 die Waffen nicht geruht. Die Restauration der alten
Verhältnisse und die Unterwerfung einzelner Städte kostete wie
in Italien so auch in Asien noch manchen blutigen Kampf; na-
mentlich gegen die freie Stadt Mytilene musste Lucius Lucullus,
nachdem er alle milderen Mittel erschöpft hatte, endlich Truppen
führen und selbst ein Sieg in freiem Felde machte dem eigen-
sinnigen Widerstand der Bürgerschaft kein Ende. -- Ernster
waren die neuen Verwicklungen, in die der römische Statthalter
von Asien Lucius Murena mit dem König Mithradates gerieth.
Dieser hatte sich nach dem Frieden beschäftigt seine auch in den
nördlichen Provinzen erschütterte Herrschaft wieder zu befestigen;
er hatte die Kolchier beruhigt, indem er seinen tüchtigen Sohn
Mithradates ihnen zum Statthalter setzte, dann diesen selbst aus
dem Wege geräumt und rüstete nun zu einem Zug in sein bos-
poranisches Reich. Die Behauptung des Archelaos, der inzwischen
bei Murena eine Freistatt hatte suchen müssen (S. 287), dass
diese Rüstungen gegen Rom gerichtet seien, bewog Murena sich
unter dem Vorgeben, dass Mithradates noch kappadokische
Grenzdistricte in Besitz habe, mit seinen Truppen sich nach
dem kappadokischen Komana in Bewegung zu setzen und die
pontische Grenze zu verletzen (671). Mithradates begnügte sich
bei Murena und, da dies vergeblich war, bei der römischen Re-
gierung Beschwerde zu führen. In der That erschienen Beauf-
tragte Sullas den Statthalter abzumahnen; allein er fügte sich
nicht, sondern überschritt den Halys und betrat das unbestritten
pontische Gebiet, worauf Mithradates beschloss Gewalt mit Ge-
walt zu vertreiben. Sein Feldherr Gordios musste das römische
Heer festhalten, bis der König mit weit überlegenen Streitkräften
herankam und die Schlacht erzwang; Murena ward besiegt und
mit grossem Verlust bis über die römische Grenze nach Phry-
gien zurückgeworfen, die römischen Besatzungen aus ganz Kap-
padokien vertrieben. Murena hatte zwar die Stirn wegen dieser
Vorgänge sich Sieger zu nennen und den Imperatorentitel anzu-
nehmen (672); indess die derbe Lection und eine zweite Mah-
nung Sullas bewogen ihn doch endlich die Sache nicht weiter zu
treiben: der Friede zwischen Rom und Mithradates ward erneu-
ert (673). -- Ueber diese thörichte Fehde war die Bezwingung
der Mytilenaeer versäumt worden; erst Murenas Nachfolger gelang
es nach langer Belagerung zu Lande und zur See, wobei die bi-

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der ‚Glückliche‘, vielleicht nicht ohne einige Ironie, den Jüngling
als den ‚Groſsen‘.

Auch im Osten hatten nach Sullas Einschiffung im Früh-
ling 671 die Waffen nicht geruht. Die Restauration der alten
Verhältnisse und die Unterwerfung einzelner Städte kostete wie
in Italien so auch in Asien noch manchen blutigen Kampf; na-
mentlich gegen die freie Stadt Mytilene muſste Lucius Lucullus,
nachdem er alle milderen Mittel erschöpft hatte, endlich Truppen
führen und selbst ein Sieg in freiem Felde machte dem eigen-
sinnigen Widerstand der Bürgerschaft kein Ende. — Ernster
waren die neuen Verwicklungen, in die der römische Statthalter
von Asien Lucius Murena mit dem König Mithradates gerieth.
Dieser hatte sich nach dem Frieden beschäftigt seine auch in den
nördlichen Provinzen erschütterte Herrschaft wieder zu befestigen;
er hatte die Kolchier beruhigt, indem er seinen tüchtigen Sohn
Mithradates ihnen zum Statthalter setzte, dann diesen selbst aus
dem Wege geräumt und rüstete nun zu einem Zug in sein bos-
poranisches Reich. Die Behauptung des Archelaos, der inzwischen
bei Murena eine Freistatt hatte suchen müssen (S. 287), daſs
diese Rüstungen gegen Rom gerichtet seien, bewog Murena sich
unter dem Vorgeben, daſs Mithradates noch kappadokische
Grenzdistricte in Besitz habe, mit seinen Truppen sich nach
dem kappadokischen Komana in Bewegung zu setzen und die
pontische Grenze zu verletzen (671). Mithradates begnügte sich
bei Murena und, da dies vergeblich war, bei der römischen Re-
gierung Beschwerde zu führen. In der That erschienen Beauf-
tragte Sullas den Statthalter abzumahnen; allein er fügte sich
nicht, sondern überschritt den Halys und betrat das unbestritten
pontische Gebiet, worauf Mithradates beschloſs Gewalt mit Ge-
walt zu vertreiben. Sein Feldherr Gordios muſste das römische
Heer festhalten, bis der König mit weit überlegenen Streitkräften
herankam und die Schlacht erzwang; Murena ward besiegt und
mit groſsem Verlust bis über die römische Grenze nach Phry-
gien zurückgeworfen, die römischen Besatzungen aus ganz Kap-
padokien vertrieben. Murena hatte zwar die Stirn wegen dieser
Vorgänge sich Sieger zu nennen und den Imperatorentitel anzu-
nehmen (672); indeſs die derbe Lection und eine zweite Mah-
nung Sullas bewogen ihn doch endlich die Sache nicht weiter zu
treiben: der Friede zwischen Rom und Mithradates ward erneu-
ert (673). — Ueber diese thörichte Fehde war die Bezwingung
der Mytilenaeer versäumt worden; erst Murenas Nachfolger gelang
es nach langer Belagerung zu Lande und zur See, wobei die bi-

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[320/0330] VIERTES BUCH. KAPITEL IX. der ‚Glückliche‘, vielleicht nicht ohne einige Ironie, den Jüngling als den ‚Groſsen‘. Auch im Osten hatten nach Sullas Einschiffung im Früh- ling 671 die Waffen nicht geruht. Die Restauration der alten Verhältnisse und die Unterwerfung einzelner Städte kostete wie in Italien so auch in Asien noch manchen blutigen Kampf; na- mentlich gegen die freie Stadt Mytilene muſste Lucius Lucullus, nachdem er alle milderen Mittel erschöpft hatte, endlich Truppen führen und selbst ein Sieg in freiem Felde machte dem eigen- sinnigen Widerstand der Bürgerschaft kein Ende. — Ernster waren die neuen Verwicklungen, in die der römische Statthalter von Asien Lucius Murena mit dem König Mithradates gerieth. Dieser hatte sich nach dem Frieden beschäftigt seine auch in den nördlichen Provinzen erschütterte Herrschaft wieder zu befestigen; er hatte die Kolchier beruhigt, indem er seinen tüchtigen Sohn Mithradates ihnen zum Statthalter setzte, dann diesen selbst aus dem Wege geräumt und rüstete nun zu einem Zug in sein bos- poranisches Reich. Die Behauptung des Archelaos, der inzwischen bei Murena eine Freistatt hatte suchen müssen (S. 287), daſs diese Rüstungen gegen Rom gerichtet seien, bewog Murena sich unter dem Vorgeben, daſs Mithradates noch kappadokische Grenzdistricte in Besitz habe, mit seinen Truppen sich nach dem kappadokischen Komana in Bewegung zu setzen und die pontische Grenze zu verletzen (671). Mithradates begnügte sich bei Murena und, da dies vergeblich war, bei der römischen Re- gierung Beschwerde zu führen. In der That erschienen Beauf- tragte Sullas den Statthalter abzumahnen; allein er fügte sich nicht, sondern überschritt den Halys und betrat das unbestritten pontische Gebiet, worauf Mithradates beschloſs Gewalt mit Ge- walt zu vertreiben. Sein Feldherr Gordios muſste das römische Heer festhalten, bis der König mit weit überlegenen Streitkräften herankam und die Schlacht erzwang; Murena ward besiegt und mit groſsem Verlust bis über die römische Grenze nach Phry- gien zurückgeworfen, die römischen Besatzungen aus ganz Kap- padokien vertrieben. Murena hatte zwar die Stirn wegen dieser Vorgänge sich Sieger zu nennen und den Imperatorentitel anzu- nehmen (672); indeſs die derbe Lection und eine zweite Mah- nung Sullas bewogen ihn doch endlich die Sache nicht weiter zu treiben: der Friede zwischen Rom und Mithradates ward erneu- ert (673). — Ueber diese thörichte Fehde war die Bezwingung der Mytilenaeer versäumt worden; erst Murenas Nachfolger gelang es nach langer Belagerung zu Lande und zur See, wobei die bi-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/330>, abgerufen am 15.05.2024.