Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.VIERTES BUCH. KAPITEL VIII. dem fast die ganze Küste des schwarzen Meeres gehorchte unddessen Starrsinn noch die letzten Verhandlungen deutlich zeigten, nahm selbst im günstigsten Fall Jahre in Anspruch und die Lage Italiens war von der Art, dass es fast schon jetzt eine verzweifelte Aufgabe schien mit den wenigen Legionen, die Sulla besass, der dort regierenden Partei entgegenzutreten *. Indess bevor dies ge- schehen konnte, war es schlechterdings nothwendig den kecken Offizier niederzuwerfen, der jetzt in Asien an der Spitze der de- mokratischen Armee stand, damit derselbe nicht wie Sulla jetzt * Auch die armenische Tradition kennt den ersten mithradatischen
Krieg. König Ardasches von Armenien, berichtet Moses von Khoren, be- gnügte sich nicht mit dem zweiten Rang, der ihm im persischen (parthi- schen) Reich von Rechts wegen zukam, sondern zwang den Partherkönig Arschagan ihm die höchste Gewalt abzutreten, worauf er in Persien sich einen Palast bauen und daselbst Münzen mit eigenem Bildniss schlagen liess und den Arschagan zum Unterkönig Persiens, seinen Sohn Dicran (Tigranes) zum Unterkönig Armeniens bestellte, seine Tochter Ardaschama aber vermählte mit dem Grossfürsten der Iberer Mihrdates (Mithradates), einem Nachkommen des Mihrdates Satrapen des Dareios und Statthalter Alexanders über die besiegten Iberer, der in den nördlichen Bergen und über das schwarze Meer befahl. Ardasches nahm darauf den König der Lydier Kroesos gefangen, unterwarf das Festland zwischen den beiden grossen Meeren (Kleinasien) und ging über das Meer mit unzähligen Schif- fen, um den Westen zu bezwingen. Da in Rom damals Anarchie war, fand er nirgends ernstlichen Widerstand, aber seine Soldaten brachten einander um und Ardasches fiel von der Hand seiner Leute. Nach Ardasches Tode rückte sein Nachfolger Dicran gegen die Armee der Griechen (d. i. der Römer), die jetzt ihrerseits in das armenische Land eindrangen; er setzte ihrem Vordringen ein Ziel, übergab seinem Schwager Mihrdates die Ver- waltung von Madschag (Mazaka in Kappadokien) und des Binnenlandes nebst einer ansehnlichen Streitmacht und kehrte zurück nach Armenien. Viele Jahre später zeigte man noch in den armenischen Städten Statuen griechischer Götter von bekannten Meistern, Siegeszeichen aus diesem Feldzug. -- Man erkennt hier verschiedene Thatsachen des ersten mithra- datischen Kriegs ohne Mühe wieder, aber die ganze Erzählung ist augen- scheinlich durcheinandergeworfen, mit fremdartigen Zusätzen ausgestattet und namentlich durch patriotische Fälschung auf Armenien übertragen. Ganz ebenso wird später der Sieg über Crassus den Armeniern beigelegt. Diese orientalischen Nachrichten sind mit um so grösserer Vorsicht aufzu- nehmen, als sie keineswegs reine Volkssage sind, sondern theils mit den armenischen Traditionen die Nachrichten des Josephus, Eusebius und ande- rer den Christen des fünften Jahrh. geläufiger Quellen darin verschmolzen, theils auch die historischen Romane der Griechen und ohne Frage auch die eigenen patriotischen Phantasien des Moses ansehnlich in Contribution ge- setzt sind. So schlecht unsere occidentalische Ueberlieferung an sich ist, so kann die Zuziehung der orientalischen in diesem und ähnlichen Fällen, wie zum Beispiel der unkritische Saint-Martin sie versucht hat, doch nur dahin führen sie noch stärker zu trüben. VIERTES BUCH. KAPITEL VIII. dem fast die ganze Küste des schwarzen Meeres gehorchte unddessen Starrsinn noch die letzten Verhandlungen deutlich zeigten, nahm selbst im günstigsten Fall Jahre in Anspruch und die Lage Italiens war von der Art, daſs es fast schon jetzt eine verzweifelte Aufgabe schien mit den wenigen Legionen, die Sulla besaſs, der dort regierenden Partei entgegenzutreten *. Indeſs bevor dies ge- schehen konnte, war es schlechterdings nothwendig den kecken Offizier niederzuwerfen, der jetzt in Asien an der Spitze der de- mokratischen Armee stand, damit derselbe nicht wie Sulla jetzt * Auch die armenische Tradition kennt den ersten mithradatischen
Krieg. König Ardasches von Armenien, berichtet Moses von Khoren, be- gnügte sich nicht mit dem zweiten Rang, der ihm im persischen (parthi- schen) Reich von Rechts wegen zukam, sondern zwang den Partherkönig Arschagan ihm die höchste Gewalt abzutreten, worauf er in Persien sich einen Palast bauen und daselbst Münzen mit eigenem Bildniſs schlagen lieſs und den Arschagan zum Unterkönig Persiens, seinen Sohn Dicran (Tigranes) zum Unterkönig Armeniens bestellte, seine Tochter Ardaschama aber vermählte mit dem Groſsfürsten der Iberer Mihrdates (Mithradates), einem Nachkommen des Mihrdates Satrapen des Dareios und Statthalter Alexanders über die besiegten Iberer, der in den nördlichen Bergen und über das schwarze Meer befahl. Ardasches nahm darauf den König der Lydier Kroesos gefangen, unterwarf das Festland zwischen den beiden groſsen Meeren (Kleinasien) und ging über das Meer mit unzähligen Schif- fen, um den Westen zu bezwingen. Da in Rom damals Anarchie war, fand er nirgends ernstlichen Widerstand, aber seine Soldaten brachten einander um und Ardasches fiel von der Hand seiner Leute. Nach Ardasches Tode rückte sein Nachfolger Dicran gegen die Armee der Griechen (d. i. der Römer), die jetzt ihrerseits in das armenische Land eindrangen; er setzte ihrem Vordringen ein Ziel, übergab seinem Schwager Mihrdates die Ver- waltung von Madschag (Mazaka in Kappadokien) und des Binnenlandes nebst einer ansehnlichen Streitmacht und kehrte zurück nach Armenien. Viele Jahre später zeigte man noch in den armenischen Städten Statuen griechischer Götter von bekannten Meistern, Siegeszeichen aus diesem Feldzug. — Man erkennt hier verschiedene Thatsachen des ersten mithra- datischen Kriegs ohne Mühe wieder, aber die ganze Erzählung ist augen- scheinlich durcheinandergeworfen, mit fremdartigen Zusätzen ausgestattet und namentlich durch patriotische Fälschung auf Armenien übertragen. Ganz ebenso wird später der Sieg über Crassus den Armeniern beigelegt. Diese orientalischen Nachrichten sind mit um so gröſserer Vorsicht aufzu- nehmen, als sie keineswegs reine Volkssage sind, sondern theils mit den armenischen Traditionen die Nachrichten des Josephus, Eusebius und ande- rer den Christen des fünften Jahrh. geläufiger Quellen darin verschmolzen, theils auch die historischen Romane der Griechen und ohne Frage auch die eigenen patriotischen Phantasien des Moses ansehnlich in Contribution ge- setzt sind. So schlecht unsere occidentalische Ueberlieferung an sich ist, so kann die Zuziehung der orientalischen in diesem und ähnlichen Fällen, wie zum Beispiel der unkritische Saint-Martin sie versucht hat, doch nur dahin führen sie noch stärker zu trüben. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0298" n="288"/><fw place="top" type="header">VIERTES BUCH. 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VIERTES BUCH. KAPITEL VIII.
dem fast die ganze Küste des schwarzen Meeres gehorchte und
dessen Starrsinn noch die letzten Verhandlungen deutlich zeigten,
nahm selbst im günstigsten Fall Jahre in Anspruch und die Lage
Italiens war von der Art, daſs es fast schon jetzt eine verzweifelte
Aufgabe schien mit den wenigen Legionen, die Sulla besaſs, der
dort regierenden Partei entgegenzutreten *. Indeſs bevor dies ge-
schehen konnte, war es schlechterdings nothwendig den kecken
Offizier niederzuwerfen, der jetzt in Asien an der Spitze der de-
mokratischen Armee stand, damit derselbe nicht wie Sulla jetzt
* Auch die armenische Tradition kennt den ersten mithradatischen
Krieg. König Ardasches von Armenien, berichtet Moses von Khoren, be-
gnügte sich nicht mit dem zweiten Rang, der ihm im persischen (parthi-
schen) Reich von Rechts wegen zukam, sondern zwang den Partherkönig
Arschagan ihm die höchste Gewalt abzutreten, worauf er in Persien sich
einen Palast bauen und daselbst Münzen mit eigenem Bildniſs schlagen
lieſs und den Arschagan zum Unterkönig Persiens, seinen Sohn Dicran
(Tigranes) zum Unterkönig Armeniens bestellte, seine Tochter Ardaschama
aber vermählte mit dem Groſsfürsten der Iberer Mihrdates (Mithradates),
einem Nachkommen des Mihrdates Satrapen des Dareios und Statthalter
Alexanders über die besiegten Iberer, der in den nördlichen Bergen und
über das schwarze Meer befahl. Ardasches nahm darauf den König der
Lydier Kroesos gefangen, unterwarf das Festland zwischen den beiden
groſsen Meeren (Kleinasien) und ging über das Meer mit unzähligen Schif-
fen, um den Westen zu bezwingen. Da in Rom damals Anarchie war, fand
er nirgends ernstlichen Widerstand, aber seine Soldaten brachten einander
um und Ardasches fiel von der Hand seiner Leute. Nach Ardasches Tode
rückte sein Nachfolger Dicran gegen die Armee der Griechen (d. i. der
Römer), die jetzt ihrerseits in das armenische Land eindrangen; er setzte
ihrem Vordringen ein Ziel, übergab seinem Schwager Mihrdates die Ver-
waltung von Madschag (Mazaka in Kappadokien) und des Binnenlandes
nebst einer ansehnlichen Streitmacht und kehrte zurück nach Armenien.
Viele Jahre später zeigte man noch in den armenischen Städten Statuen
griechischer Götter von bekannten Meistern, Siegeszeichen aus diesem
Feldzug. — Man erkennt hier verschiedene Thatsachen des ersten mithra-
datischen Kriegs ohne Mühe wieder, aber die ganze Erzählung ist augen-
scheinlich durcheinandergeworfen, mit fremdartigen Zusätzen ausgestattet
und namentlich durch patriotische Fälschung auf Armenien übertragen.
Ganz ebenso wird später der Sieg über Crassus den Armeniern beigelegt.
Diese orientalischen Nachrichten sind mit um so gröſserer Vorsicht aufzu-
nehmen, als sie keineswegs reine Volkssage sind, sondern theils mit den
armenischen Traditionen die Nachrichten des Josephus, Eusebius und ande-
rer den Christen des fünften Jahrh. geläufiger Quellen darin verschmolzen,
theils auch die historischen Romane der Griechen und ohne Frage auch die
eigenen patriotischen Phantasien des Moses ansehnlich in Contribution ge-
setzt sind. So schlecht unsere occidentalische Ueberlieferung an sich ist, so
kann die Zuziehung der orientalischen in diesem und ähnlichen Fällen, wie
zum Beispiel der unkritische Saint-Martin sie versucht hat, doch nur dahin
führen sie noch stärker zu trüben.
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