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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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SULPICISCHE REVOLUTION.
war, der Held von Aquae Sextiae ein bankerotter Schwindler, die for-
melle Legalität eine Phrase, Rom selbst eine Stadt ohne Besatzung
und mit halb verfallenen Mauern, die viel leichter erobert werden
konnte als Nola. In diesem Sinne handelte er. Er versammelte seine
Soldaten -- es waren sechs Legionen oder etwa 35000 Mann -- und
setzte ihnen die von Rom angelangte Botschaft auseinander, nicht
vergessend ihnen anzudeuten, dass der neue Oberfeldherr ohne
Zweifel nicht dieses Heer, sondern andere neu gebildete Truppen
nach Kleinasien führen werde. Die höheren Offiziere hielten sich
zurück und folgten mit Ausnahme eines einzigen dem Feldherrn
nicht gegen die Hauptstadt; allein die Soldaten, die nach früheren
Erfahrungen (I, 643) in Asien einen bequemen Krieg und unend-
liche Beute zu finden hofften, brausten auf; in einem Nu waren
die beiden von Rom gekommenen Tribunen zerrissen und von
allen Seiten erscholl der Zuruf, dass der Feldherr sie führen möge
auf Rom zu. Unverweilt brach der Consul auf, und unterwegs
seinen gleichgesinnten Collegen an sich ziehend, gelangte er in
raschen Märschen, wenig sich kümmernd um die von Rom ihm
entgegeneilenden Abgesandten, die ihn aufzuhalten versuchten,
bis unter die Mauern der Hauptstadt. Unerwartet sah man Sul-
las Heersäulen sich aufstellen an der Tiberbrücke und am collini-
schen und esquilinischen Thore, und sodann zwei Legionen in
Reih und Glied, ihre Feldzeichen voran, den gefriedeten Mauer-
ring überschreiten, jenseit dessen das Gesetz den Krieg gebannt
hatte. So viel schlimmer Hader, so viele bedeutende Fehden waren
innerhalb dieser Mauern zum Austrag gekommen, ohne dass ein
römisches Heer den heiligen Stadtfrieden gebrochen hätte; jetzt
geschah es zunächst um der elenden Frage willen, ob dieser oder
jener Offizier berufen sei im Osten zu commandiren. Die ein-
rückenden Legionen gingen vor bis auf die Höhe des Esquilin;
allein die von den Dächern herabregnenden Geschosse und Steine
drängten die Soldaten wieder zurück. Da erhob Sulla hoch die
flammende Fackel und, mit Brandpfeilen und Anzündung der
Häuser drohend, konnten die Legionen bald wieder ihren Marsch
fortsetzen. Auf dem esquilinischen Marktplatz (unweit S. Ma-
ria Maggiore) wartete ihrer die eiligst von Marius und Sulpicius
zusammengeraffte Mannschaft und warf durch Ueberzahl die ein-
dringenden Colonnen zurück. Aber es kam denselben Verstär-
kung von den Thoren; eine andere Abtheilung der Sullaner
machte Anstalt sie auf der Suburastrasse zu umgehen; sie muss-
ten zurück. Am Tempel der Tellus, wo der Esquilin anfängt
sich gegen den grossen Marktplatz zu senken, versuchte Marius

SULPICISCHE REVOLUTION.
war, der Held von Aquae Sextiae ein bankerotter Schwindler, die for-
melle Legalität eine Phrase, Rom selbst eine Stadt ohne Besatzung
und mit halb verfallenen Mauern, die viel leichter erobert werden
konnte als Nola. In diesem Sinne handelte er. Er versammelte seine
Soldaten — es waren sechs Legionen oder etwa 35000 Mann — und
setzte ihnen die von Rom angelangte Botschaft auseinander, nicht
vergessend ihnen anzudeuten, daſs der neue Oberfeldherr ohne
Zweifel nicht dieses Heer, sondern andere neu gebildete Truppen
nach Kleinasien führen werde. Die höheren Offiziere hielten sich
zurück und folgten mit Ausnahme eines einzigen dem Feldherrn
nicht gegen die Hauptstadt; allein die Soldaten, die nach früheren
Erfahrungen (I, 643) in Asien einen bequemen Krieg und unend-
liche Beute zu finden hofften, brausten auf; in einem Nu waren
die beiden von Rom gekommenen Tribunen zerrissen und von
allen Seiten erscholl der Zuruf, daſs der Feldherr sie führen möge
auf Rom zu. Unverweilt brach der Consul auf, und unterwegs
seinen gleichgesinnten Collegen an sich ziehend, gelangte er in
raschen Märschen, wenig sich kümmernd um die von Rom ihm
entgegeneilenden Abgesandten, die ihn aufzuhalten versuchten,
bis unter die Mauern der Hauptstadt. Unerwartet sah man Sul-
las Heersäulen sich aufstellen an der Tiberbrücke und am collini-
schen und esquilinischen Thore, und sodann zwei Legionen in
Reih und Glied, ihre Feldzeichen voran, den gefriedeten Mauer-
ring überschreiten, jenseit dessen das Gesetz den Krieg gebannt
hatte. So viel schlimmer Hader, so viele bedeutende Fehden waren
innerhalb dieser Mauern zum Austrag gekommen, ohne daſs ein
römisches Heer den heiligen Stadtfrieden gebrochen hätte; jetzt
geschah es zunächst um der elenden Frage willen, ob dieser oder
jener Offizier berufen sei im Osten zu commandiren. Die ein-
rückenden Legionen gingen vor bis auf die Höhe des Esquilin;
allein die von den Dächern herabregnenden Geschosse und Steine
drängten die Soldaten wieder zurück. Da erhob Sulla hoch die
flammende Fackel und, mit Brandpfeilen und Anzündung der
Häuser drohend, konnten die Legionen bald wieder ihren Marsch
fortsetzen. Auf dem esquilinischen Marktplatz (unweit S. Ma-
ria Maggiore) wartete ihrer die eiligst von Marius und Sulpicius
zusammengeraffte Mannschaft und warf durch Ueberzahl die ein-
dringenden Colonnen zurück. Aber es kam denselben Verstär-
kung von den Thoren; eine andere Abtheilung der Sullaner
machte Anstalt sie auf der Suburastraſse zu umgehen; sie muſs-
ten zurück. Am Tempel der Tellus, wo der Esquilin anfängt
sich gegen den groſsen Marktplatz zu senken, versuchte Marius

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[245/0255] SULPICISCHE REVOLUTION. war, der Held von Aquae Sextiae ein bankerotter Schwindler, die for- melle Legalität eine Phrase, Rom selbst eine Stadt ohne Besatzung und mit halb verfallenen Mauern, die viel leichter erobert werden konnte als Nola. In diesem Sinne handelte er. Er versammelte seine Soldaten — es waren sechs Legionen oder etwa 35000 Mann — und setzte ihnen die von Rom angelangte Botschaft auseinander, nicht vergessend ihnen anzudeuten, daſs der neue Oberfeldherr ohne Zweifel nicht dieses Heer, sondern andere neu gebildete Truppen nach Kleinasien führen werde. Die höheren Offiziere hielten sich zurück und folgten mit Ausnahme eines einzigen dem Feldherrn nicht gegen die Hauptstadt; allein die Soldaten, die nach früheren Erfahrungen (I, 643) in Asien einen bequemen Krieg und unend- liche Beute zu finden hofften, brausten auf; in einem Nu waren die beiden von Rom gekommenen Tribunen zerrissen und von allen Seiten erscholl der Zuruf, daſs der Feldherr sie führen möge auf Rom zu. Unverweilt brach der Consul auf, und unterwegs seinen gleichgesinnten Collegen an sich ziehend, gelangte er in raschen Märschen, wenig sich kümmernd um die von Rom ihm entgegeneilenden Abgesandten, die ihn aufzuhalten versuchten, bis unter die Mauern der Hauptstadt. Unerwartet sah man Sul- las Heersäulen sich aufstellen an der Tiberbrücke und am collini- schen und esquilinischen Thore, und sodann zwei Legionen in Reih und Glied, ihre Feldzeichen voran, den gefriedeten Mauer- ring überschreiten, jenseit dessen das Gesetz den Krieg gebannt hatte. So viel schlimmer Hader, so viele bedeutende Fehden waren innerhalb dieser Mauern zum Austrag gekommen, ohne daſs ein römisches Heer den heiligen Stadtfrieden gebrochen hätte; jetzt geschah es zunächst um der elenden Frage willen, ob dieser oder jener Offizier berufen sei im Osten zu commandiren. Die ein- rückenden Legionen gingen vor bis auf die Höhe des Esquilin; allein die von den Dächern herabregnenden Geschosse und Steine drängten die Soldaten wieder zurück. Da erhob Sulla hoch die flammende Fackel und, mit Brandpfeilen und Anzündung der Häuser drohend, konnten die Legionen bald wieder ihren Marsch fortsetzen. Auf dem esquilinischen Marktplatz (unweit S. Ma- ria Maggiore) wartete ihrer die eiligst von Marius und Sulpicius zusammengeraffte Mannschaft und warf durch Ueberzahl die ein- dringenden Colonnen zurück. Aber es kam denselben Verstär- kung von den Thoren; eine andere Abtheilung der Sullaner machte Anstalt sie auf der Suburastraſse zu umgehen; sie muſs- ten zurück. Am Tempel der Tellus, wo der Esquilin anfängt sich gegen den groſsen Marktplatz zu senken, versuchte Marius

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/255>, abgerufen am 22.11.2024.