Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

VIERTES BUCH. KAPITEL VII.
rathscommission übte, wenigstens einen Schein her von Einig-
keit und Kraft. Für den Augenblick schwiegen die Parteifehden;
die fähigen Offiziere aller Parteien, Demokraten wie Gaius Marius,
Aristokraten wie Lucius Sulla, Freunde des Drusus wie Publius
Sulpicius Rufus stellten sich der Regierung zur Verfügung; die
Getreidevertheilungen wurden, wie es scheint um diese Zeit, durch
Volksbeschluss wesentlich beschränkt um die finanziellen Kräfte
des Staates für den Krieg disponibel zu halten, was um so noth-
wendiger war, als bei der drohenden Stellung des Königs Mithra-
dates die Provinz Asia jeden Augenblick in Feindeshand gerathen
und damit eine der Hauptquellen des römischen Schatzes ver-
siegen konnte; die Gerichte stellten mit Ausnahme der Hochver-
rathscommission nach Beschluss des Senats vorläufig ihre Thä-
tigkeit ein; alle Geschäfte stockten und man dachte an nichts als
an Aushebung von Soldaten und Anfertigung von Waffen. --
Während also der führende Staat in Voraussicht des bevorstehen-
den schweren Krieges sich straffer zusammennahm, hatten die
Insurgenten die schwierigere Aufgabe zu lösen sich während des
Kampfes politisch zu organisiren. Im Gebiet der Paeligner, das
in der Mitte der marsischen, samnitischen, marrucinischen und
vestinischen Gaue im Herzen der insurgirten Landschaften lag,
ward die Stadt Corfinium in der schönen Ebene unweit des Pe-
scaraflusses auserlesen zum Gegen-Rom oder zur Stadt Italia,
deren Bürgerrecht den Bürgern sämmtlicher insurgirter Gemein-
den ertheilt ward; hier wurden in entsprechender Grösse Markt
und Rathhaus abgesteckt. Ein Senat von fünfhundert Mitgliedern
erhielt den Auftrag die Verfassung festzustellen und die Ober-
leitung des Kriegswesens. Nach seiner Anordnung erlas die Bür-
gerschaft aus den Männern senatorischen Ranges zwei Consuln
und zwölf Praetoren, die eben wie Roms zwei Consuln und sechs
Praetoren die höchste Amtsgewalt in Krieg und Frieden über-
nahmen. Die lateinische Sprache, die damals schon bei den Mar-
sern und Picentern die landübliche war, blieb in officiellem Ge-
brauch, aber es trat ihr die samnitische als die im südlichen Ita-
lien vorherrschende gleichberechtigt zur Seite und beider bediente
man sich abwechselnd auf den Münzen, die man nach römischen
Mustern und nach römischem Fuss zu schlagen anfing. Es geht
aus diesen Bestimmungen hervor, was sich freilich schon von
selbst versteht, dass die Italiker jetzt nicht mehr Gleichberech-
tigung mit den Römern zu erstreiten, sondern diese zu vernichten
oder zu unterwerfen und einen eigenen Staat zu bilden gedachten.
Aber es geht daraus auch hervor, dass ihre Verfassung nichts

VIERTES BUCH. KAPITEL VII.
rathscommission übte, wenigstens einen Schein her von Einig-
keit und Kraft. Für den Augenblick schwiegen die Parteifehden;
die fähigen Offiziere aller Parteien, Demokraten wie Gaius Marius,
Aristokraten wie Lucius Sulla, Freunde des Drusus wie Publius
Sulpicius Rufus stellten sich der Regierung zur Verfügung; die
Getreidevertheilungen wurden, wie es scheint um diese Zeit, durch
Volksbeschluſs wesentlich beschränkt um die finanziellen Kräfte
des Staates für den Krieg disponibel zu halten, was um so noth-
wendiger war, als bei der drohenden Stellung des Königs Mithra-
dates die Provinz Asia jeden Augenblick in Feindeshand gerathen
und damit eine der Hauptquellen des römischen Schatzes ver-
siegen konnte; die Gerichte stellten mit Ausnahme der Hochver-
rathscommission nach Beschluſs des Senats vorläufig ihre Thä-
tigkeit ein; alle Geschäfte stockten und man dachte an nichts als
an Aushebung von Soldaten und Anfertigung von Waffen. —
Während also der führende Staat in Voraussicht des bevorstehen-
den schweren Krieges sich straffer zusammennahm, hatten die
Insurgenten die schwierigere Aufgabe zu lösen sich während des
Kampfes politisch zu organisiren. Im Gebiet der Paeligner, das
in der Mitte der marsischen, samnitischen, marrucinischen und
vestinischen Gaue im Herzen der insurgirten Landschaften lag,
ward die Stadt Corfinium in der schönen Ebene unweit des Pe-
scarafluſses auserlesen zum Gegen-Rom oder zur Stadt Italia,
deren Bürgerrecht den Bürgern sämmtlicher insurgirter Gemein-
den ertheilt ward; hier wurden in entsprechender Gröſse Markt
und Rathhaus abgesteckt. Ein Senat von fünfhundert Mitgliedern
erhielt den Auftrag die Verfassung festzustellen und die Ober-
leitung des Kriegswesens. Nach seiner Anordnung erlas die Bür-
gerschaft aus den Männern senatorischen Ranges zwei Consuln
und zwölf Praetoren, die eben wie Roms zwei Consuln und sechs
Praetoren die höchste Amtsgewalt in Krieg und Frieden über-
nahmen. Die lateinische Sprache, die damals schon bei den Mar-
sern und Picentern die landübliche war, blieb in officiellem Ge-
brauch, aber es trat ihr die samnitische als die im südlichen Ita-
lien vorherrschende gleichberechtigt zur Seite und beider bediente
man sich abwechselnd auf den Münzen, die man nach römischen
Mustern und nach römischem Fuſs zu schlagen anfing. Es geht
aus diesen Bestimmungen hervor, was sich freilich schon von
selbst versteht, daſs die Italiker jetzt nicht mehr Gleichberech-
tigung mit den Römern zu erstreiten, sondern diese zu vernichten
oder zu unterwerfen und einen eigenen Staat zu bilden gedachten.
Aber es geht daraus auch hervor, daſs ihre Verfassung nichts

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0230" n="220"/><fw place="top" type="header">VIERTES BUCH. KAPITEL VII.</fw><lb/>
rathscommission übte, wenigstens einen Schein her von Einig-<lb/>
keit und Kraft. Für den Augenblick schwiegen die Parteifehden;<lb/>
die fähigen Offiziere aller Parteien, Demokraten wie Gaius Marius,<lb/>
Aristokraten wie Lucius Sulla, Freunde des Drusus wie Publius<lb/>
Sulpicius Rufus stellten sich der Regierung zur Verfügung; die<lb/>
Getreidevertheilungen wurden, wie es scheint um diese Zeit, durch<lb/>
Volksbeschlu&#x017F;s wesentlich beschränkt um die finanziellen Kräfte<lb/>
des Staates für den Krieg disponibel zu halten, was um so noth-<lb/>
wendiger war, als bei der drohenden Stellung des Königs Mithra-<lb/>
dates die Provinz Asia jeden Augenblick in Feindeshand gerathen<lb/>
und damit eine der Hauptquellen des römischen Schatzes ver-<lb/>
siegen konnte; die Gerichte stellten mit Ausnahme der Hochver-<lb/>
rathscommission nach Beschlu&#x017F;s des Senats vorläufig ihre Thä-<lb/>
tigkeit ein; alle Geschäfte stockten und man dachte an nichts als<lb/>
an Aushebung von Soldaten und Anfertigung von Waffen. &#x2014;<lb/>
Während also der führende Staat in Voraussicht des bevorstehen-<lb/>
den schweren Krieges sich straffer zusammennahm, hatten die<lb/>
Insurgenten die schwierigere Aufgabe zu lösen sich während des<lb/>
Kampfes politisch zu organisiren. Im Gebiet der Paeligner, das<lb/>
in der Mitte der marsischen, samnitischen, marrucinischen und<lb/>
vestinischen Gaue im Herzen der insurgirten Landschaften lag,<lb/>
ward die Stadt Corfinium in der schönen Ebene unweit des Pe-<lb/>
scaraflu&#x017F;ses auserlesen zum Gegen-Rom oder zur Stadt Italia,<lb/>
deren Bürgerrecht den Bürgern sämmtlicher insurgirter Gemein-<lb/>
den ertheilt ward; hier wurden in entsprechender Grö&#x017F;se Markt<lb/>
und Rathhaus abgesteckt. Ein Senat von fünfhundert Mitgliedern<lb/>
erhielt den Auftrag die Verfassung festzustellen und die Ober-<lb/>
leitung des Kriegswesens. Nach seiner Anordnung erlas die Bür-<lb/>
gerschaft aus den Männern senatorischen Ranges zwei Consuln<lb/>
und zwölf Praetoren, die eben wie Roms zwei Consuln und sechs<lb/>
Praetoren die höchste Amtsgewalt in Krieg und Frieden über-<lb/>
nahmen. Die lateinische Sprache, die damals schon bei den Mar-<lb/>
sern und Picentern die landübliche war, blieb in officiellem Ge-<lb/>
brauch, aber es trat ihr die samnitische als die im südlichen Ita-<lb/>
lien vorherrschende gleichberechtigt zur Seite und beider bediente<lb/>
man sich abwechselnd auf den Münzen, die man nach römischen<lb/>
Mustern und nach römischem Fu&#x017F;s zu schlagen anfing. Es geht<lb/>
aus diesen Bestimmungen hervor, was sich freilich schon von<lb/>
selbst versteht, da&#x017F;s die Italiker jetzt nicht mehr Gleichberech-<lb/>
tigung mit den Römern zu erstreiten, sondern diese zu vernichten<lb/>
oder zu unterwerfen und einen eigenen Staat zu bilden gedachten.<lb/>
Aber es geht daraus auch hervor, da&#x017F;s ihre Verfassung nichts<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[220/0230] VIERTES BUCH. KAPITEL VII. rathscommission übte, wenigstens einen Schein her von Einig- keit und Kraft. Für den Augenblick schwiegen die Parteifehden; die fähigen Offiziere aller Parteien, Demokraten wie Gaius Marius, Aristokraten wie Lucius Sulla, Freunde des Drusus wie Publius Sulpicius Rufus stellten sich der Regierung zur Verfügung; die Getreidevertheilungen wurden, wie es scheint um diese Zeit, durch Volksbeschluſs wesentlich beschränkt um die finanziellen Kräfte des Staates für den Krieg disponibel zu halten, was um so noth- wendiger war, als bei der drohenden Stellung des Königs Mithra- dates die Provinz Asia jeden Augenblick in Feindeshand gerathen und damit eine der Hauptquellen des römischen Schatzes ver- siegen konnte; die Gerichte stellten mit Ausnahme der Hochver- rathscommission nach Beschluſs des Senats vorläufig ihre Thä- tigkeit ein; alle Geschäfte stockten und man dachte an nichts als an Aushebung von Soldaten und Anfertigung von Waffen. — Während also der führende Staat in Voraussicht des bevorstehen- den schweren Krieges sich straffer zusammennahm, hatten die Insurgenten die schwierigere Aufgabe zu lösen sich während des Kampfes politisch zu organisiren. Im Gebiet der Paeligner, das in der Mitte der marsischen, samnitischen, marrucinischen und vestinischen Gaue im Herzen der insurgirten Landschaften lag, ward die Stadt Corfinium in der schönen Ebene unweit des Pe- scarafluſses auserlesen zum Gegen-Rom oder zur Stadt Italia, deren Bürgerrecht den Bürgern sämmtlicher insurgirter Gemein- den ertheilt ward; hier wurden in entsprechender Gröſse Markt und Rathhaus abgesteckt. Ein Senat von fünfhundert Mitgliedern erhielt den Auftrag die Verfassung festzustellen und die Ober- leitung des Kriegswesens. Nach seiner Anordnung erlas die Bür- gerschaft aus den Männern senatorischen Ranges zwei Consuln und zwölf Praetoren, die eben wie Roms zwei Consuln und sechs Praetoren die höchste Amtsgewalt in Krieg und Frieden über- nahmen. Die lateinische Sprache, die damals schon bei den Mar- sern und Picentern die landübliche war, blieb in officiellem Ge- brauch, aber es trat ihr die samnitische als die im südlichen Ita- lien vorherrschende gleichberechtigt zur Seite und beider bediente man sich abwechselnd auf den Münzen, die man nach römischen Mustern und nach römischem Fuſs zu schlagen anfing. Es geht aus diesen Bestimmungen hervor, was sich freilich schon von selbst versteht, daſs die Italiker jetzt nicht mehr Gleichberech- tigung mit den Römern zu erstreiten, sondern diese zu vernichten oder zu unterwerfen und einen eigenen Staat zu bilden gedachten. Aber es geht daraus auch hervor, daſs ihre Verfassung nichts

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/230
Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/230>, abgerufen am 02.05.2024.