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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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VIERTES BUCH. KAPITEL VII.
reiche Gemeinden vom Liris und den Abruzzen bis hinab nach
Calabrien und Apulien; so dass bald in ganz Mittel- und Süd-
italien gerüstet ward gegen Rom. Die Etrusker und Umbrer da-
gegen hielten zu Rom, wie sie bereits früher mit den Rittern
zusammengehalten hatten gegen Drusus (S. 206). Es ist be-
zeichnend, dass in diesen Landschaften seit alten Zeiten die
Grund- und Geldaristokratie übermächtig und der Mittelstand
gänzlich verschwunden war, wogegen in und an den Abruzzen der
Bauernstand sich reiner und frischer als irgendwo sonst in Italien
bewahrt hatte; der Bauern- und überhaupt der Mittelstand also war
es, aus dem der Aufstand wesentlich hervorging, wogegen die
municipale Aristokratie auch jetzt noch Hand in Hand ging mit
der hauptstädtischen Regierung. Danach ist es auch leicht er-
klärlich, dass in den aufständischen Districten einzelne Gemein-
den und in den aufständischen Gemeinden Minoritäten festhielten
an dem römischen Bündniss; wie zum Beispiel die Vestinerstadt
Pinna für Rom eine schwere Belagerung aushielt und ein im Hir-
pinerland gebildetes Loyalistencorps unter Minatius Magius von
Aeclanum die römischen Operationen in Campanien unterstützte.
Endlich hielten fest an Rom die am besten gestellten bundesge-
nössischen Gemeinden, in Campanien Nola und Nuceria und die
griechischen Seestädte Neapolis und Rhegion, dessgleichen wenig-
stens die meisten latinischen Colonien, wie zum Beispiel Alba
und Aesernia -- eben wie im hannibalischen Kriege die latini-
schen und die griechischen Städte im Ganzen für, die sabelli-
schen gegen Rom Partei genommen hatten. Die Vorfahren hatten
Italiens Beherrschung auf die aristokratische Gliederung gegrün-
det und mit geschickter Abstufung der Abhängigkeiten die schlech-
ter gestellten Gemeinden durch die besseren Rechts, innerhalb
jeder Gemeinde aber die Bürgerschaft durch die Municipalaristo-
kratie in Unterthänigkeit gehalten. Der wohlgefügte Bau erwies
sich auch in dieser Sturmfluth als noch keineswegs verfallen; erst
jetzt unter dem unvergleichlich schlechten Regiment der Oligar-
chie erprobte es sich vollständig, wie fest und gewaltig die Staats-
männer des vierten und fünften Jahrhunderts ihre Werksteine
in einander gefugt hatten. Freilich war damit, dass diese besser
gestellten Städte nicht auf den ersten Stoss von Rom liessen,
noch keineswegs gesagt, dass sie auch jetzt, wie im hannibali-
schen Kriege, auf die Länge und nach schweren Niederlagen
Roms ausdauern würden, ohne in ihrer Treue zu schwanken; die
Feuerprobe war noch nicht überstanden.

Das erste Blut war also geflossen und Italien in zwei grosse

VIERTES BUCH. KAPITEL VII.
reiche Gemeinden vom Liris und den Abruzzen bis hinab nach
Calabrien und Apulien; so daſs bald in ganz Mittel- und Süd-
italien gerüstet ward gegen Rom. Die Etrusker und Umbrer da-
gegen hielten zu Rom, wie sie bereits früher mit den Rittern
zusammengehalten hatten gegen Drusus (S. 206). Es ist be-
zeichnend, daſs in diesen Landschaften seit alten Zeiten die
Grund- und Geldaristokratie übermächtig und der Mittelstand
gänzlich verschwunden war, wogegen in und an den Abruzzen der
Bauernstand sich reiner und frischer als irgendwo sonst in Italien
bewahrt hatte; der Bauern- und überhaupt der Mittelstand also war
es, aus dem der Aufstand wesentlich hervorging, wogegen die
municipale Aristokratie auch jetzt noch Hand in Hand ging mit
der hauptstädtischen Regierung. Danach ist es auch leicht er-
klärlich, daſs in den aufständischen Districten einzelne Gemein-
den und in den aufständischen Gemeinden Minoritäten festhielten
an dem römischen Bündniſs; wie zum Beispiel die Vestinerstadt
Pinna für Rom eine schwere Belagerung aushielt und ein im Hir-
pinerland gebildetes Loyalistencorps unter Minatius Magius von
Aeclanum die römischen Operationen in Campanien unterstützte.
Endlich hielten fest an Rom die am besten gestellten bundesge-
nössischen Gemeinden, in Campanien Nola und Nuceria und die
griechischen Seestädte Neapolis und Rhegion, deſsgleichen wenig-
stens die meisten latinischen Colonien, wie zum Beispiel Alba
und Aesernia — eben wie im hannibalischen Kriege die latini-
schen und die griechischen Städte im Ganzen für, die sabelli-
schen gegen Rom Partei genommen hatten. Die Vorfahren hatten
Italiens Beherrschung auf die aristokratische Gliederung gegrün-
det und mit geschickter Abstufung der Abhängigkeiten die schlech-
ter gestellten Gemeinden durch die besseren Rechts, innerhalb
jeder Gemeinde aber die Bürgerschaft durch die Municipalaristo-
kratie in Unterthänigkeit gehalten. Der wohlgefügte Bau erwies
sich auch in dieser Sturmfluth als noch keineswegs verfallen; erst
jetzt unter dem unvergleichlich schlechten Regiment der Oligar-
chie erprobte es sich vollständig, wie fest und gewaltig die Staats-
männer des vierten und fünften Jahrhunderts ihre Werksteine
in einander gefugt hatten. Freilich war damit, daſs diese besser
gestellten Städte nicht auf den ersten Stoſs von Rom lieſsen,
noch keineswegs gesagt, daſs sie auch jetzt, wie im hannibali-
schen Kriege, auf die Länge und nach schweren Niederlagen
Roms ausdauern würden, ohne in ihrer Treue zu schwanken; die
Feuerprobe war noch nicht überstanden.

Das erste Blut war also geflossen und Italien in zwei groſse

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[218/0228] VIERTES BUCH. KAPITEL VII. reiche Gemeinden vom Liris und den Abruzzen bis hinab nach Calabrien und Apulien; so daſs bald in ganz Mittel- und Süd- italien gerüstet ward gegen Rom. Die Etrusker und Umbrer da- gegen hielten zu Rom, wie sie bereits früher mit den Rittern zusammengehalten hatten gegen Drusus (S. 206). Es ist be- zeichnend, daſs in diesen Landschaften seit alten Zeiten die Grund- und Geldaristokratie übermächtig und der Mittelstand gänzlich verschwunden war, wogegen in und an den Abruzzen der Bauernstand sich reiner und frischer als irgendwo sonst in Italien bewahrt hatte; der Bauern- und überhaupt der Mittelstand also war es, aus dem der Aufstand wesentlich hervorging, wogegen die municipale Aristokratie auch jetzt noch Hand in Hand ging mit der hauptstädtischen Regierung. Danach ist es auch leicht er- klärlich, daſs in den aufständischen Districten einzelne Gemein- den und in den aufständischen Gemeinden Minoritäten festhielten an dem römischen Bündniſs; wie zum Beispiel die Vestinerstadt Pinna für Rom eine schwere Belagerung aushielt und ein im Hir- pinerland gebildetes Loyalistencorps unter Minatius Magius von Aeclanum die römischen Operationen in Campanien unterstützte. Endlich hielten fest an Rom die am besten gestellten bundesge- nössischen Gemeinden, in Campanien Nola und Nuceria und die griechischen Seestädte Neapolis und Rhegion, deſsgleichen wenig- stens die meisten latinischen Colonien, wie zum Beispiel Alba und Aesernia — eben wie im hannibalischen Kriege die latini- schen und die griechischen Städte im Ganzen für, die sabelli- schen gegen Rom Partei genommen hatten. Die Vorfahren hatten Italiens Beherrschung auf die aristokratische Gliederung gegrün- det und mit geschickter Abstufung der Abhängigkeiten die schlech- ter gestellten Gemeinden durch die besseren Rechts, innerhalb jeder Gemeinde aber die Bürgerschaft durch die Municipalaristo- kratie in Unterthänigkeit gehalten. Der wohlgefügte Bau erwies sich auch in dieser Sturmfluth als noch keineswegs verfallen; erst jetzt unter dem unvergleichlich schlechten Regiment der Oligar- chie erprobte es sich vollständig, wie fest und gewaltig die Staats- männer des vierten und fünften Jahrhunderts ihre Werksteine in einander gefugt hatten. Freilich war damit, daſs diese besser gestellten Städte nicht auf den ersten Stoſs von Rom lieſsen, noch keineswegs gesagt, daſs sie auch jetzt, wie im hannibali- schen Kriege, auf die Länge und nach schweren Niederlagen Roms ausdauern würden, ohne in ihrer Treue zu schwanken; die Feuerprobe war noch nicht überstanden. Das erste Blut war also geflossen und Italien in zwei groſse

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/228>, abgerufen am 25.11.2024.