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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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jedem, der etwas zu verlieren hatte, das bestehende Regiment in
einem anderen Licht; es war notorisch elend und staatsverder-
berisch, aber die kümmerliche Furcht vor dem Regiment der
Proletarier, das noch elender, noch staatsverderblicher erschien,
hatte ihm einen relativen Werth verliehen. So ging jetzt die
Strömung, dass die Menge einen Volkstribun zerriss, der es ge-
wagt hatte die Rückkehr des Quintus Metellus zu verzögern, und
dass die Demokraten anfingen ihr Heil zu suchen in dem Bünd-
niss mit Mördern und Giftmischern, wie sie zum Beispiel des
verhassten Metellus durch Gift sich entledigten, oder gar durch
Bündniss mit dem Landesfeind, wie denn einzelne von ihnen
schon flüchteten an den Hof des Königs Mithradates, der im Stil-
len zum Kriege rüstete gegen Rom. Auch die äusseren Verhältnisse
gestalteten für die Regierung sich günstig. Die römischen Waffen
waren in der Zeit vom kimbrischen bis auf den Bundesgenos-
senkrieg nur wenig, überall aber mit Ehren beschäftigt. Nur in
Spanien, wo während der letzten für Rom so schweren Jahre
die Lusitanier (649 fg.) und die Keltiberer sich mit ungewohnter
Heftigkeit gegen die Römer aufgelehnt hatten, wurde ernstlich
gestritten; doch stellten auch hier in den J. 656-661 der Con-
sul Titus Didius in der nördlichen und der Consul Publius Cras-
sus in der südlichen Provinz mit Tapferkeit und Glück das
Uebergewicht der römischen Waffen wieder her und verpflanzten
die aufständischen Gemeinden, so weit sie nicht ein härteres
Loos traf, aus ihren festen Bergstädten in die Ebenen. Dass um
dieselbe Zeit die römische Regierung auch wieder des lange
vernachlässigten Ostens gedachte und mit einer seit lan-
gem unerhörten Energie in Kyrene, Syrien, Kleinasien auftrat,
wird später darzustellen sein. Noch niemals seit dem Beginn
der Revolution war das Regiment der Restauration so festge-
gründet, so populär gewesen. Consularische Gesetze lösten die tri-
bunicischen, Freiheitbeschränkungen die Fortschrittsmassregeln
ab. Die Cassirung der Gesetze des Saturninus verstand sich von
selbst; die überseeischen Colonien des Marius schwanden zusam-
men zu einer einzigen winzigen Ansiedlung auf der wüsten Insel
Corsica. Als der Volkstribun Sextus Titius, ein karrikirter Alki-
biades, der im Tanz und Ballspiel stärker war als in der Politik
und dessen hervorragendstes Talent darin bestand Nachts auf
den Strassen die Götterbilder zu zerschlagen, das appuleische
Ackergesetz im J. 655 wieder aufnahm, konnte der Senat das
neue Gesetz unter einem religiösen Vorwand cassiren, ohne dass
Jemand dafür einzustehen auch nur versucht hätte; den Urheber

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jedem, der etwas zu verlieren hatte, das bestehende Regiment in
einem anderen Licht; es war notorisch elend und staatsverder-
berisch, aber die kümmerliche Furcht vor dem Regiment der
Proletarier, das noch elender, noch staatsverderblicher erschien,
hatte ihm einen relativen Werth verliehen. So ging jetzt die
Strömung, daſs die Menge einen Volkstribun zerriſs, der es ge-
wagt hatte die Rückkehr des Quintus Metellus zu verzögern, und
daſs die Demokraten anfingen ihr Heil zu suchen in dem Bünd-
niſs mit Mördern und Giftmischern, wie sie zum Beispiel des
verhaſsten Metellus durch Gift sich entledigten, oder gar durch
Bündniſs mit dem Landesfeind, wie denn einzelne von ihnen
schon flüchteten an den Hof des Königs Mithradates, der im Stil-
len zum Kriege rüstete gegen Rom. Auch die äuſseren Verhältnisse
gestalteten für die Regierung sich günstig. Die römischen Waffen
waren in der Zeit vom kimbrischen bis auf den Bundesgenos-
senkrieg nur wenig, überall aber mit Ehren beschäftigt. Nur in
Spanien, wo während der letzten für Rom so schweren Jahre
die Lusitanier (649 fg.) und die Keltiberer sich mit ungewohnter
Heftigkeit gegen die Römer aufgelehnt hatten, wurde ernstlich
gestritten; doch stellten auch hier in den J. 656-661 der Con-
sul Titus Didius in der nördlichen und der Consul Publius Cras-
sus in der südlichen Provinz mit Tapferkeit und Glück das
Uebergewicht der römischen Waffen wieder her und verpflanzten
die aufständischen Gemeinden, so weit sie nicht ein härteres
Loos traf, aus ihren festen Bergstädten in die Ebenen. Daſs um
dieselbe Zeit die römische Regierung auch wieder des lange
vernachlässigten Ostens gedachte und mit einer seit lan-
gem unerhörten Energie in Kyrene, Syrien, Kleinasien auftrat,
wird später darzustellen sein. Noch niemals seit dem Beginn
der Revolution war das Regiment der Restauration so festge-
gründet, so populär gewesen. Consularische Gesetze lösten die tri-
bunicischen, Freiheitbeschränkungen die Fortschrittsmaſsregeln
ab. Die Cassirung der Gesetze des Saturninus verstand sich von
selbst; die überseeischen Colonien des Marius schwanden zusam-
men zu einer einzigen winzigen Ansiedlung auf der wüsten Insel
Corsica. Als der Volkstribun Sextus Titius, ein karrikirter Alki-
biades, der im Tanz und Ballspiel stärker war als in der Politik
und dessen hervorragendstes Talent darin bestand Nachts auf
den Straſsen die Götterbilder zu zerschlagen, das appuleische
Ackergesetz im J. 655 wieder aufnahm, konnte der Senat das
neue Gesetz unter einem religiösen Vorwand cassiren, ohne daſs
Jemand dafür einzustehen auch nur versucht hätte; den Urheber

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[200/0210] VIERTES BUCH. KAPITEL VI. jedem, der etwas zu verlieren hatte, das bestehende Regiment in einem anderen Licht; es war notorisch elend und staatsverder- berisch, aber die kümmerliche Furcht vor dem Regiment der Proletarier, das noch elender, noch staatsverderblicher erschien, hatte ihm einen relativen Werth verliehen. So ging jetzt die Strömung, daſs die Menge einen Volkstribun zerriſs, der es ge- wagt hatte die Rückkehr des Quintus Metellus zu verzögern, und daſs die Demokraten anfingen ihr Heil zu suchen in dem Bünd- niſs mit Mördern und Giftmischern, wie sie zum Beispiel des verhaſsten Metellus durch Gift sich entledigten, oder gar durch Bündniſs mit dem Landesfeind, wie denn einzelne von ihnen schon flüchteten an den Hof des Königs Mithradates, der im Stil- len zum Kriege rüstete gegen Rom. Auch die äuſseren Verhältnisse gestalteten für die Regierung sich günstig. Die römischen Waffen waren in der Zeit vom kimbrischen bis auf den Bundesgenos- senkrieg nur wenig, überall aber mit Ehren beschäftigt. Nur in Spanien, wo während der letzten für Rom so schweren Jahre die Lusitanier (649 fg.) und die Keltiberer sich mit ungewohnter Heftigkeit gegen die Römer aufgelehnt hatten, wurde ernstlich gestritten; doch stellten auch hier in den J. 656-661 der Con- sul Titus Didius in der nördlichen und der Consul Publius Cras- sus in der südlichen Provinz mit Tapferkeit und Glück das Uebergewicht der römischen Waffen wieder her und verpflanzten die aufständischen Gemeinden, so weit sie nicht ein härteres Loos traf, aus ihren festen Bergstädten in die Ebenen. Daſs um dieselbe Zeit die römische Regierung auch wieder des lange vernachlässigten Ostens gedachte und mit einer seit lan- gem unerhörten Energie in Kyrene, Syrien, Kleinasien auftrat, wird später darzustellen sein. Noch niemals seit dem Beginn der Revolution war das Regiment der Restauration so festge- gründet, so populär gewesen. Consularische Gesetze lösten die tri- bunicischen, Freiheitbeschränkungen die Fortschrittsmaſsregeln ab. Die Cassirung der Gesetze des Saturninus verstand sich von selbst; die überseeischen Colonien des Marius schwanden zusam- men zu einer einzigen winzigen Ansiedlung auf der wüsten Insel Corsica. Als der Volkstribun Sextus Titius, ein karrikirter Alki- biades, der im Tanz und Ballspiel stärker war als in der Politik und dessen hervorragendstes Talent darin bestand Nachts auf den Straſsen die Götterbilder zu zerschlagen, das appuleische Ackergesetz im J. 655 wieder aufnahm, konnte der Senat das neue Gesetz unter einem religiösen Vorwand cassiren, ohne daſs Jemand dafür einzustehen auch nur versucht hätte; den Urheber

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/210>, abgerufen am 02.05.2024.