Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.VIERTES BUCH. KAPITEL VI. und Treiben gar viel verschliffen und vergriffen war von der fri-schen Begeisterung, dem felsenfesten Glauben, der sittlichen Reinheit des Strebens, die die Anfangsstadien der Revolutionen bezeichnen. Aber wenn die demokratische Partei nicht mehr war was sie unter Gaius Gracchus gewesen, so standen die Füh- rer der Zwischenzeit jetzt ebenso tief unter ihrer Partei als Gaius Gracchus hoch über derselben gestanden hatte. Es lag in der Na- tur der Sache: bis wieder ein Mann auftrat, der es wagte wie Gaius Gracchus nach der Staatsoberhauptschaft zu greifen, konnten die Führer nur Lückenbüsser sein: entweder politische Anfänger, die ihre jugendliche Oppositionslust austobten und sodann, als sprudelnde Feuerköpfe und beliebte Sprecher legitimirt, mit mehr oder minder Geschicklichkeit ihren Rückzug in das Lager der Regierungspartei bewerkstelligten; oder auch Leute, die an Vermögen und Einfluss nichts zu verlieren, an Ehre gewöhnlich weder zu gewinnen noch zu verlieren hatten, und die aus per- sönlicher Erbitterung oder auch aus blosser Lust am Lärmschla- gen sich ein Geschäft daraus machten die Regierung zu geniren und zu ärgern. Der ersten Gattung gehörten zum Beispiel an Gaius Memmius (S. 136) und der bekannte Redner Lucius Cras- sus, die ihre in den Reihen der Opposition gewonnenen oratori- schen Lorbeern demnächst als eifrige Regierungsmänner verwer- theten. Die namhaftesten Führer der Popularpartei um diese Zeit aber waren Männer der zweiten Gattung; sowohl Gaius Ser- vilius Glaucia, von Cicero der römische Hyperbolos genannt, ein gemeiner Gesell niedrigster Herkunft und unverschämtester Strassenberedsamkeit, aber wirksam und selbst gefürchtet wegen seiner drastischen Witze, als auch sein besserer und fähigerer Genosse Lucius Appuleius Saturninus, der selbst nach den Be- richten seiner Feinde ein feuriger und eindringlicherer Sprecher war und wenigstens nicht von gemein eigennützigen Motiven ge- leitetward. Ihm war als Quaestor die in üblicher Weise ihm zu- gefallene Getreideverwaltung durch Beschluss des Senats entzogen worden, weniger wohl wegen fehlerhafter Amtsführung als um das eben damals populäre Amt lieber einem der Häupter der Regierungspartei, dem Marcus Scaurus als einem unbekannten keiner der herrschenden Familien angehörigen jungen Manne zu- zuwenden. Diese Kränkung hatte den aufstrebenden und lebhaf- ten Mann in die Opposition gedrängt; und er vergalt als Volks- tribun 651 das Empfangene mit Zinsen. Ein ärgerlicher Handel hatte damals den andern gedrängt: er hatte die von den Gesand- ten des Königs Mithradates in Rom vorgenommenen Bestechun- VIERTES BUCH. KAPITEL VI. und Treiben gar viel verschliffen und vergriffen war von der fri-schen Begeisterung, dem felsenfesten Glauben, der sittlichen Reinheit des Strebens, die die Anfangsstadien der Revolutionen bezeichnen. Aber wenn die demokratische Partei nicht mehr war was sie unter Gaius Gracchus gewesen, so standen die Füh- rer der Zwischenzeit jetzt ebenso tief unter ihrer Partei als Gaius Gracchus hoch über derselben gestanden hatte. Es lag in der Na- tur der Sache: bis wieder ein Mann auftrat, der es wagte wie Gaius Gracchus nach der Staatsoberhauptschaft zu greifen, konnten die Führer nur Lückenbüſser sein: entweder politische Anfänger, die ihre jugendliche Oppositionslust austobten und sodann, als sprudelnde Feuerköpfe und beliebte Sprecher legitimirt, mit mehr oder minder Geschicklichkeit ihren Rückzug in das Lager der Regierungspartei bewerkstelligten; oder auch Leute, die an Vermögen und Einfluſs nichts zu verlieren, an Ehre gewöhnlich weder zu gewinnen noch zu verlieren hatten, und die aus per- sönlicher Erbitterung oder auch aus bloſser Lust am Lärmschla- gen sich ein Geschäft daraus machten die Regierung zu geniren und zu ärgern. Der ersten Gattung gehörten zum Beispiel an Gaius Memmius (S. 136) und der bekannte Redner Lucius Cras- sus, die ihre in den Reihen der Opposition gewonnenen oratori- schen Lorbeern demnächst als eifrige Regierungsmänner verwer- theten. Die namhaftesten Führer der Popularpartei um diese Zeit aber waren Männer der zweiten Gattung; sowohl Gaius Ser- vilius Glaucia, von Cicero der römische Hyperbolos genannt, ein gemeiner Gesell niedrigster Herkunft und unverschämtester Straſsenberedsamkeit, aber wirksam und selbst gefürchtet wegen seiner drastischen Witze, als auch sein besserer und fähigerer Genosse Lucius Appuleius Saturninus, der selbst nach den Be- richten seiner Feinde ein feuriger und eindringlicherer Sprecher war und wenigstens nicht von gemein eigennützigen Motiven ge- leitetward. Ihm war als Quaestor die in üblicher Weise ihm zu- gefallene Getreideverwaltung durch Beschluſs des Senats entzogen worden, weniger wohl wegen fehlerhafter Amtsführung als um das eben damals populäre Amt lieber einem der Häupter der Regierungspartei, dem Marcus Scaurus als einem unbekannten keiner der herrschenden Familien angehörigen jungen Manne zu- zuwenden. Diese Kränkung hatte den aufstrebenden und lebhaf- ten Mann in die Opposition gedrängt; und er vergalt als Volks- tribun 651 das Empfangene mit Zinsen. Ein ärgerlicher Handel hatte damals den andern gedrängt: er hatte die von den Gesand- ten des Königs Mithradates in Rom vorgenommenen Bestechun- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0200" n="190"/><fw place="top" type="header">VIERTES BUCH. KAPITEL VI.</fw><lb/> und Treiben gar viel verschliffen und vergriffen war von der fri-<lb/> schen Begeisterung, dem felsenfesten Glauben, der sittlichen<lb/> Reinheit des Strebens, die die Anfangsstadien der Revolutionen<lb/> bezeichnen. Aber wenn die demokratische Partei nicht mehr<lb/> war was sie unter Gaius Gracchus gewesen, so standen die Füh-<lb/> rer der Zwischenzeit jetzt ebenso tief unter ihrer Partei als Gaius<lb/> Gracchus hoch über derselben gestanden hatte. Es lag in der Na-<lb/> tur der Sache: bis wieder ein Mann auftrat, der es wagte wie Gaius<lb/> Gracchus nach der Staatsoberhauptschaft zu greifen, konnten die<lb/> Führer nur Lückenbüſser sein: entweder politische Anfänger,<lb/> die ihre jugendliche Oppositionslust austobten und sodann, als<lb/> sprudelnde Feuerköpfe und beliebte Sprecher legitimirt, mit<lb/> mehr oder minder Geschicklichkeit ihren Rückzug in das Lager<lb/> der Regierungspartei bewerkstelligten; oder auch Leute, die an<lb/> Vermögen und Einfluſs nichts zu verlieren, an Ehre gewöhnlich<lb/> weder zu gewinnen noch zu verlieren hatten, und die aus per-<lb/> sönlicher Erbitterung oder auch aus bloſser Lust am Lärmschla-<lb/> gen sich ein Geschäft daraus machten die Regierung zu geniren<lb/> und zu ärgern. Der ersten Gattung gehörten zum Beispiel an<lb/> Gaius Memmius (S. 136) und der bekannte Redner Lucius Cras-<lb/> sus, die ihre in den Reihen der Opposition gewonnenen oratori-<lb/> schen Lorbeern demnächst als eifrige Regierungsmänner verwer-<lb/> theten. Die namhaftesten Führer der Popularpartei um diese<lb/> Zeit aber waren Männer der zweiten Gattung; sowohl Gaius Ser-<lb/> vilius Glaucia, von Cicero der römische Hyperbolos genannt, ein<lb/> gemeiner Gesell niedrigster Herkunft und unverschämtester<lb/> Straſsenberedsamkeit, aber wirksam und selbst gefürchtet wegen<lb/> seiner drastischen Witze, als auch sein besserer und fähigerer<lb/> Genosse Lucius Appuleius Saturninus, der selbst nach den Be-<lb/> richten seiner Feinde ein feuriger und eindringlicherer Sprecher<lb/> war und wenigstens nicht von gemein eigennützigen Motiven ge-<lb/> leitetward. 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VIERTES BUCH. KAPITEL VI.
und Treiben gar viel verschliffen und vergriffen war von der fri-
schen Begeisterung, dem felsenfesten Glauben, der sittlichen
Reinheit des Strebens, die die Anfangsstadien der Revolutionen
bezeichnen. Aber wenn die demokratische Partei nicht mehr
war was sie unter Gaius Gracchus gewesen, so standen die Füh-
rer der Zwischenzeit jetzt ebenso tief unter ihrer Partei als Gaius
Gracchus hoch über derselben gestanden hatte. Es lag in der Na-
tur der Sache: bis wieder ein Mann auftrat, der es wagte wie Gaius
Gracchus nach der Staatsoberhauptschaft zu greifen, konnten die
Führer nur Lückenbüſser sein: entweder politische Anfänger,
die ihre jugendliche Oppositionslust austobten und sodann, als
sprudelnde Feuerköpfe und beliebte Sprecher legitimirt, mit
mehr oder minder Geschicklichkeit ihren Rückzug in das Lager
der Regierungspartei bewerkstelligten; oder auch Leute, die an
Vermögen und Einfluſs nichts zu verlieren, an Ehre gewöhnlich
weder zu gewinnen noch zu verlieren hatten, und die aus per-
sönlicher Erbitterung oder auch aus bloſser Lust am Lärmschla-
gen sich ein Geschäft daraus machten die Regierung zu geniren
und zu ärgern. Der ersten Gattung gehörten zum Beispiel an
Gaius Memmius (S. 136) und der bekannte Redner Lucius Cras-
sus, die ihre in den Reihen der Opposition gewonnenen oratori-
schen Lorbeern demnächst als eifrige Regierungsmänner verwer-
theten. Die namhaftesten Führer der Popularpartei um diese
Zeit aber waren Männer der zweiten Gattung; sowohl Gaius Ser-
vilius Glaucia, von Cicero der römische Hyperbolos genannt, ein
gemeiner Gesell niedrigster Herkunft und unverschämtester
Straſsenberedsamkeit, aber wirksam und selbst gefürchtet wegen
seiner drastischen Witze, als auch sein besserer und fähigerer
Genosse Lucius Appuleius Saturninus, der selbst nach den Be-
richten seiner Feinde ein feuriger und eindringlicherer Sprecher
war und wenigstens nicht von gemein eigennützigen Motiven ge-
leitetward. Ihm war als Quaestor die in üblicher Weise ihm zu-
gefallene Getreideverwaltung durch Beschluſs des Senats entzogen
worden, weniger wohl wegen fehlerhafter Amtsführung als um
das eben damals populäre Amt lieber einem der Häupter der
Regierungspartei, dem Marcus Scaurus als einem unbekannten
keiner der herrschenden Familien angehörigen jungen Manne zu-
zuwenden. Diese Kränkung hatte den aufstrebenden und lebhaf-
ten Mann in die Opposition gedrängt; und er vergalt als Volks-
tribun 651 das Empfangene mit Zinsen. Ein ärgerlicher Handel
hatte damals den andern gedrängt: er hatte die von den Gesand-
ten des Königs Mithradates in Rom vorgenommenen Bestechun-
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