Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.VIERTES BUCH. KAPITEL VI. Principes und Triarier ordnete. Man hatte andrerseits schonlängst die italischen Bundesgenossen in sehr ausgedehntem Masse zum Kriegsdienst mit herangezogen, indess auch hier ganz wie bei der römischen Bürgerschaft die Militärpflicht vorzugs- weise auf die besitzenden Klassen gelegt. Allein die ganze Ordnung passte nicht mehr für die bestehenden Verhältnisse. Die besseren Klassen der Gesellschaft zogen theils vom Heerdienst mehr und mehr sich zurück, theils schwand der römische und italische Mit- telstand überhaupt zusammen; dagegen waren einestheils die be- trächtlichen Streitmittel der ausseritalischen Bundesgenossen und Unterthanen disponibel geworden, andrerseits bot das italische Proletariat, richtig verwandt, ein militärisch wenigstens sehr brauchbares Material. Die Bürgerreiterei, die aus der Klasse der Wohlhabenden gebildet werden sollte, war im Felddienst schon vor Marius thatsächlich eingegangen. Ihr Auftreten in dem spa- nischen Feldzug von 614, wo sie den Feldherrn durch ihren Hohn und ihre Unbotmässigkeit zur Verzweiflung bringt und zwischen beiden ein von den Reitern wie vom Feldherrn mit gleicher Ge- wissenlosigkeit geführter Krieg ausbricht, ist bezeichnend für ihren Verfall. Im jugurthinischen Krieg erscheint sie schon nur noch als eine Art Nobelgarde für den Feldherrn und fremde Prinzen: von da an verschwindet sie ganz. Ebenso erwies sich die Er- gänzung der Legionen mit gehörig qualificirten Pflichtigen schon im gewöhnlichen Lauf der Dinge schwierig; so dass Anstrengun- gen, wie sie nach der Schlacht von Arausio nöthig waren, in der That unter Beobachtung der bestehenden Vorschriften über die Dienstpflicht wohl materiell unausführbar gewesen sein würden. Andrerseits wurden schon vor Marius, namentlich in der Cavalle- rie und der leichten Infanterie, die ausseritalischen Unterthanen, die schweren Berittenen Thrakiens, die leichte africanische Rei- terei, das vortreffliche leichte Fussvolk der behenden Ligurer, die Schleuderer von den Balearen, in immer grösserer Anzahl auch ausserhalb ihrer Provinzen bei den römischen Heeren mit ver- wendet; und zugleich drängten sich, während an qualificirten Bürgerrecruten Mangel war, die nicht qualificirten ärmeren Bür- ger ungerufen zum Eintritt in die Armee, wie denn bei der Masse des arbeitlosen oder arbeitscheuen Bürgergesindels und bei den ansehnlichen Vortheilen, die der römische Kriegsdienst abwarf, die Freiwilligenwerbung nicht schwierig sein konnte. Es war demnach nichts als eine nothwendige Consequenz der politischen und socialen Umwandlung des Staats, dass man im Militärwesen überging von dem System des Bürgeraufgebots zu dem Zuzug- VIERTES BUCH. KAPITEL VI. Principes und Triarier ordnete. Man hatte andrerseits schonlängst die italischen Bundesgenossen in sehr ausgedehntem Maſse zum Kriegsdienst mit herangezogen, indeſs auch hier ganz wie bei der römischen Bürgerschaft die Militärpflicht vorzugs- weise auf die besitzenden Klassen gelegt. Allein die ganze Ordnung paſste nicht mehr für die bestehenden Verhältnisse. Die besseren Klassen der Gesellschaft zogen theils vom Heerdienst mehr und mehr sich zurück, theils schwand der römische und italische Mit- telstand überhaupt zusammen; dagegen waren einestheils die be- trächtlichen Streitmittel der auſseritalischen Bundesgenossen und Unterthanen disponibel geworden, andrerseits bot das italische Proletariat, richtig verwandt, ein militärisch wenigstens sehr brauchbares Material. Die Bürgerreiterei, die aus der Klasse der Wohlhabenden gebildet werden sollte, war im Felddienst schon vor Marius thatsächlich eingegangen. Ihr Auftreten in dem spa- nischen Feldzug von 614, wo sie den Feldherrn durch ihren Hohn und ihre Unbotmäſsigkeit zur Verzweiflung bringt und zwischen beiden ein von den Reitern wie vom Feldherrn mit gleicher Ge- wissenlosigkeit geführter Krieg ausbricht, ist bezeichnend für ihren Verfall. Im jugurthinischen Krieg erscheint sie schon nur noch als eine Art Nobelgarde für den Feldherrn und fremde Prinzen: von da an verschwindet sie ganz. Ebenso erwies sich die Er- gänzung der Legionen mit gehörig qualificirten Pflichtigen schon im gewöhnlichen Lauf der Dinge schwierig; so daſs Anstrengun- gen, wie sie nach der Schlacht von Arausio nöthig waren, in der That unter Beobachtung der bestehenden Vorschriften über die Dienstpflicht wohl materiell unausführbar gewesen sein würden. Andrerseits wurden schon vor Marius, namentlich in der Cavalle- rie und der leichten Infanterie, die auſseritalischen Unterthanen, die schweren Berittenen Thrakiens, die leichte africanische Rei- terei, das vortreffliche leichte Fuſsvolk der behenden Ligurer, die Schleuderer von den Balearen, in immer gröſserer Anzahl auch auſserhalb ihrer Provinzen bei den römischen Heeren mit ver- wendet; und zugleich drängten sich, während an qualificirten Bürgerrecruten Mangel war, die nicht qualificirten ärmeren Bür- ger ungerufen zum Eintritt in die Armee, wie denn bei der Masse des arbeitlosen oder arbeitscheuen Bürgergesindels und bei den ansehnlichen Vortheilen, die der römische Kriegsdienst abwarf, die Freiwilligenwerbung nicht schwierig sein konnte. Es war demnach nichts als eine nothwendige Consequenz der politischen und socialen Umwandlung des Staats, daſs man im Militärwesen überging von dem System des Bürgeraufgebots zu dem Zuzug- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0194" n="184"/><fw place="top" type="header">VIERTES BUCH. KAPITEL VI.</fw><lb/> Principes und Triarier ordnete. Man hatte andrerseits schon<lb/> längst die italischen Bundesgenossen in sehr ausgedehntem<lb/> Maſse zum Kriegsdienst mit herangezogen, indeſs auch hier ganz<lb/> wie bei der römischen Bürgerschaft die Militärpflicht vorzugs-<lb/> weise auf die besitzenden Klassen gelegt. Allein die ganze Ordnung<lb/> paſste nicht mehr für die bestehenden Verhältnisse. Die besseren<lb/> Klassen der Gesellschaft zogen theils vom Heerdienst mehr und<lb/> mehr sich zurück, theils schwand der römische und italische Mit-<lb/> telstand überhaupt zusammen; dagegen waren einestheils die be-<lb/> trächtlichen Streitmittel der auſseritalischen Bundesgenossen und<lb/> Unterthanen disponibel geworden, andrerseits bot das italische<lb/> Proletariat, richtig verwandt, ein militärisch wenigstens sehr<lb/> brauchbares Material. Die Bürgerreiterei, die aus der Klasse der<lb/> Wohlhabenden gebildet werden sollte, war im Felddienst schon<lb/> vor Marius thatsächlich eingegangen. Ihr Auftreten in dem spa-<lb/> nischen Feldzug von 614, wo sie den Feldherrn durch ihren Hohn<lb/> und ihre Unbotmäſsigkeit zur Verzweiflung bringt und zwischen<lb/> beiden ein von den Reitern wie vom Feldherrn mit gleicher Ge-<lb/> wissenlosigkeit geführter Krieg ausbricht, ist bezeichnend für ihren<lb/> Verfall. Im jugurthinischen Krieg erscheint sie schon nur noch<lb/> als eine Art Nobelgarde für den Feldherrn und fremde Prinzen:<lb/> von da an verschwindet sie ganz. Ebenso erwies sich die Er-<lb/> gänzung der Legionen mit gehörig qualificirten Pflichtigen schon<lb/> im gewöhnlichen Lauf der Dinge schwierig; so daſs Anstrengun-<lb/> gen, wie sie nach der Schlacht von Arausio nöthig waren, in der<lb/> That unter Beobachtung der bestehenden Vorschriften über die<lb/> Dienstpflicht wohl materiell unausführbar gewesen sein würden.<lb/> Andrerseits wurden schon vor Marius, namentlich in der Cavalle-<lb/> rie und der leichten Infanterie, die auſseritalischen Unterthanen,<lb/> die schweren Berittenen Thrakiens, die leichte africanische Rei-<lb/> terei, das vortreffliche leichte Fuſsvolk der behenden Ligurer, die<lb/> Schleuderer von den Balearen, in immer gröſserer Anzahl auch<lb/> auſserhalb ihrer Provinzen bei den römischen Heeren mit ver-<lb/> wendet; und zugleich drängten sich, während an qualificirten<lb/> Bürgerrecruten Mangel war, die nicht qualificirten ärmeren Bür-<lb/> ger ungerufen zum Eintritt in die Armee, wie denn bei der Masse<lb/> des arbeitlosen oder arbeitscheuen Bürgergesindels und bei den<lb/> ansehnlichen Vortheilen, die der römische Kriegsdienst abwarf,<lb/> die Freiwilligenwerbung nicht schwierig sein konnte. Es war<lb/> demnach nichts als eine nothwendige Consequenz der politischen<lb/> und socialen Umwandlung des Staats, daſs man im Militärwesen<lb/> überging von dem System des Bürgeraufgebots zu dem Zuzug-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [184/0194]
VIERTES BUCH. KAPITEL VI.
Principes und Triarier ordnete. Man hatte andrerseits schon
längst die italischen Bundesgenossen in sehr ausgedehntem
Maſse zum Kriegsdienst mit herangezogen, indeſs auch hier ganz
wie bei der römischen Bürgerschaft die Militärpflicht vorzugs-
weise auf die besitzenden Klassen gelegt. Allein die ganze Ordnung
paſste nicht mehr für die bestehenden Verhältnisse. Die besseren
Klassen der Gesellschaft zogen theils vom Heerdienst mehr und
mehr sich zurück, theils schwand der römische und italische Mit-
telstand überhaupt zusammen; dagegen waren einestheils die be-
trächtlichen Streitmittel der auſseritalischen Bundesgenossen und
Unterthanen disponibel geworden, andrerseits bot das italische
Proletariat, richtig verwandt, ein militärisch wenigstens sehr
brauchbares Material. Die Bürgerreiterei, die aus der Klasse der
Wohlhabenden gebildet werden sollte, war im Felddienst schon
vor Marius thatsächlich eingegangen. Ihr Auftreten in dem spa-
nischen Feldzug von 614, wo sie den Feldherrn durch ihren Hohn
und ihre Unbotmäſsigkeit zur Verzweiflung bringt und zwischen
beiden ein von den Reitern wie vom Feldherrn mit gleicher Ge-
wissenlosigkeit geführter Krieg ausbricht, ist bezeichnend für ihren
Verfall. Im jugurthinischen Krieg erscheint sie schon nur noch
als eine Art Nobelgarde für den Feldherrn und fremde Prinzen:
von da an verschwindet sie ganz. Ebenso erwies sich die Er-
gänzung der Legionen mit gehörig qualificirten Pflichtigen schon
im gewöhnlichen Lauf der Dinge schwierig; so daſs Anstrengun-
gen, wie sie nach der Schlacht von Arausio nöthig waren, in der
That unter Beobachtung der bestehenden Vorschriften über die
Dienstpflicht wohl materiell unausführbar gewesen sein würden.
Andrerseits wurden schon vor Marius, namentlich in der Cavalle-
rie und der leichten Infanterie, die auſseritalischen Unterthanen,
die schweren Berittenen Thrakiens, die leichte africanische Rei-
terei, das vortreffliche leichte Fuſsvolk der behenden Ligurer, die
Schleuderer von den Balearen, in immer gröſserer Anzahl auch
auſserhalb ihrer Provinzen bei den römischen Heeren mit ver-
wendet; und zugleich drängten sich, während an qualificirten
Bürgerrecruten Mangel war, die nicht qualificirten ärmeren Bür-
ger ungerufen zum Eintritt in die Armee, wie denn bei der Masse
des arbeitlosen oder arbeitscheuen Bürgergesindels und bei den
ansehnlichen Vortheilen, die der römische Kriegsdienst abwarf,
die Freiwilligenwerbung nicht schwierig sein konnte. Es war
demnach nichts als eine nothwendige Consequenz der politischen
und socialen Umwandlung des Staats, daſs man im Militärwesen
überging von dem System des Bürgeraufgebots zu dem Zuzug-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |