Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.DIE VÖLKER DES NORDENS. völliger Ueberwindung der Barbaren zurückwies, traf auch Mariusselbst bei den vereinigten Armeen ein. Im Frühjahr 653 über- schritten sie, 50000 Mann stark, unter dem Consul Marius und dem Proconsul Catulus wiederum den Po und zogen gegen die Kimbrer, welche ihrerseits flussaufwärts marschirt zu sein schei- nen um den mächtigen Strom an seiner Quelle zu überschreiten. Unterhalb Vercellae unweit der Mündung der Sesia in den Po*, eben da wo Hannibal seine erste Schlacht auf italischem Boden geschlagen hatte, trafen die beiden Heere auf einander. Die Kim- brer wünschten die Schlacht und sandten ihrer Landessitte ge- mäss zu den Römern Zeit und Ort dazu auszumachen; Marius will- fahrte ihnen und nannte den nächsten Tag -- es war der 30. Juli 653 -- und das raudische Feld, eine weite Ebene, auf der die überlegene römische Reiterei einen vortheilhaften Spielraum fand. Hier stiess man auf den Feind, erwartet und doch überraschend; denn in dem dichten Morgennebel fand sich die keltische Reiterei im Handgemenge mit der stärkeren römischen, ehe sie es ver- muthete, und ward von ihr zurückgeworfen auf das Fussvolk, das eben im Begriff war zum Kampfe sich zu ordnen. Mit geringen Opfern ward ein vollständiger Sieg erfochten und die Kimbrer vernichtet. Glücklich mochte heissen, wer den Tod in der Schlacht fand, wie die meisten, unter ihnen der tapfere König Boiorix; glücklicher mindestens als die, die nachher verzweifelnd Hand an sich selbst legten oder gar auf dem Sclavenmarkt in Rom den Herrn suchen mussten, der dem einzelnen Nordmannen die Drei- stigkeit vergalt des schönen Südens begehrt zu haben, ehe denn es Zeit war. Die Tigoriner, die auf den Vorbergen der Alpen zu- rückgeblieben waren um den Kimbrern später zu folgen, verlie- fen sich auf die Kunde von der Niederlage in ihre Heimath. Die Menschenlawine, die dreizehn Jahre hindurch von der Donau bis zum Ebro, von der Seine bis zum Po die Nationen allarmirt hatte, ruhte unter der Scholle oder frohnte im Sclavenjoch; der verlorene Posten der deutschen Wanderungen hatte seine Schul- * Man hat nicht wohl gethan von der Ueberlieferung abweichend das Schlachtfeld nach Verona zu verlegen; wobei übersehen ward, dass zwi- schen den Gefechten an der Etsch und dem entscheidenden Treffen ein ganzer Winter und vielfache Truppenbewegungen liegen, und dass Catulus nach ausdrücklicher Angabe (Plut. Mar. 24) bis auf das rechte Po-Ufer zu- rückgewichen war. Auch die Angaben, dass am Po (Hier. chron.), und dass da, wo Stilicho später die Geten schlug, d. h. bei Cherasco am Tanaro die Kimbrer geschlagen wurden, führen, obwohl beide ungenau, doch viel eher nach Vercellae als nach Verona. Röm. Gesch. II. 12
DIE VÖLKER DES NORDENS. völliger Ueberwindung der Barbaren zurückwies, traf auch Mariusselbst bei den vereinigten Armeen ein. Im Frühjahr 653 über- schritten sie, 50000 Mann stark, unter dem Consul Marius und dem Proconsul Catulus wiederum den Po und zogen gegen die Kimbrer, welche ihrerseits fluſsaufwärts marschirt zu sein schei- nen um den mächtigen Strom an seiner Quelle zu überschreiten. Unterhalb Vercellae unweit der Mündung der Sesia in den Po*, eben da wo Hannibal seine erste Schlacht auf italischem Boden geschlagen hatte, trafen die beiden Heere auf einander. Die Kim- brer wünschten die Schlacht und sandten ihrer Landessitte ge- mäſs zu den Römern Zeit und Ort dazu auszumachen; Marius will- fahrte ihnen und nannte den nächsten Tag — es war der 30. Juli 653 — und das raudische Feld, eine weite Ebene, auf der die überlegene römische Reiterei einen vortheilhaften Spielraum fand. Hier stieſs man auf den Feind, erwartet und doch überraschend; denn in dem dichten Morgennebel fand sich die keltische Reiterei im Handgemenge mit der stärkeren römischen, ehe sie es ver- muthete, und ward von ihr zurückgeworfen auf das Fuſsvolk, das eben im Begriff war zum Kampfe sich zu ordnen. Mit geringen Opfern ward ein vollständiger Sieg erfochten und die Kimbrer vernichtet. Glücklich mochte heiſsen, wer den Tod in der Schlacht fand, wie die meisten, unter ihnen der tapfere König Boiorix; glücklicher mindestens als die, die nachher verzweifelnd Hand an sich selbst legten oder gar auf dem Sclavenmarkt in Rom den Herrn suchen muſsten, der dem einzelnen Nordmannen die Drei- stigkeit vergalt des schönen Südens begehrt zu haben, ehe denn es Zeit war. Die Tigoriner, die auf den Vorbergen der Alpen zu- rückgeblieben waren um den Kimbrern später zu folgen, verlie- fen sich auf die Kunde von der Niederlage in ihre Heimath. Die Menschenlawine, die dreizehn Jahre hindurch von der Donau bis zum Ebro, von der Seine bis zum Po die Nationen allarmirt hatte, ruhte unter der Scholle oder frohnte im Sclavenjoch; der verlorene Posten der deutschen Wanderungen hatte seine Schul- * Man hat nicht wohl gethan von der Ueberlieferung abweichend das Schlachtfeld nach Verona zu verlegen; wobei übersehen ward, daſs zwi- schen den Gefechten an der Etsch und dem entscheidenden Treffen ein ganzer Winter und vielfache Truppenbewegungen liegen, und daſs Catulus nach ausdrücklicher Angabe (Plut. Mar. 24) bis auf das rechte Po-Ufer zu- rückgewichen war. Auch die Angaben, daſs am Po (Hier. chron.), und daſs da, wo Stilicho später die Geten schlug, d. h. bei Cherasco am Tanaro die Kimbrer geschlagen wurden, führen, obwohl beide ungenau, doch viel eher nach Vercellae als nach Verona. Röm. Gesch. II. 12
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DIE VÖLKER DES NORDENS.
völliger Ueberwindung der Barbaren zurückwies, traf auch Marius
selbst bei den vereinigten Armeen ein. Im Frühjahr 653 über-
schritten sie, 50000 Mann stark, unter dem Consul Marius und
dem Proconsul Catulus wiederum den Po und zogen gegen die
Kimbrer, welche ihrerseits fluſsaufwärts marschirt zu sein schei-
nen um den mächtigen Strom an seiner Quelle zu überschreiten.
Unterhalb Vercellae unweit der Mündung der Sesia in den Po *,
eben da wo Hannibal seine erste Schlacht auf italischem Boden
geschlagen hatte, trafen die beiden Heere auf einander. Die Kim-
brer wünschten die Schlacht und sandten ihrer Landessitte ge-
mäſs zu den Römern Zeit und Ort dazu auszumachen; Marius will-
fahrte ihnen und nannte den nächsten Tag — es war der 30. Juli
653 — und das raudische Feld, eine weite Ebene, auf der die
überlegene römische Reiterei einen vortheilhaften Spielraum fand.
Hier stieſs man auf den Feind, erwartet und doch überraschend;
denn in dem dichten Morgennebel fand sich die keltische Reiterei
im Handgemenge mit der stärkeren römischen, ehe sie es ver-
muthete, und ward von ihr zurückgeworfen auf das Fuſsvolk, das
eben im Begriff war zum Kampfe sich zu ordnen. Mit geringen
Opfern ward ein vollständiger Sieg erfochten und die Kimbrer
vernichtet. Glücklich mochte heiſsen, wer den Tod in der Schlacht
fand, wie die meisten, unter ihnen der tapfere König Boiorix;
glücklicher mindestens als die, die nachher verzweifelnd Hand an
sich selbst legten oder gar auf dem Sclavenmarkt in Rom den
Herrn suchen muſsten, der dem einzelnen Nordmannen die Drei-
stigkeit vergalt des schönen Südens begehrt zu haben, ehe denn
es Zeit war. Die Tigoriner, die auf den Vorbergen der Alpen zu-
rückgeblieben waren um den Kimbrern später zu folgen, verlie-
fen sich auf die Kunde von der Niederlage in ihre Heimath. Die
Menschenlawine, die dreizehn Jahre hindurch von der Donau bis
zum Ebro, von der Seine bis zum Po die Nationen allarmirt
hatte, ruhte unter der Scholle oder frohnte im Sclavenjoch; der
verlorene Posten der deutschen Wanderungen hatte seine Schul-
*
Man hat nicht wohl gethan von der Ueberlieferung abweichend das
Schlachtfeld nach Verona zu verlegen; wobei übersehen ward, daſs zwi-
schen den Gefechten an der Etsch und dem entscheidenden Treffen ein
ganzer Winter und vielfache Truppenbewegungen liegen, und daſs Catulus
nach ausdrücklicher Angabe (Plut. Mar. 24) bis auf das rechte Po-Ufer zu-
rückgewichen war. Auch die Angaben, daſs am Po (Hier. chron.), und daſs
da, wo Stilicho später die Geten schlug, d. h. bei Cherasco am Tanaro die
Kimbrer geschlagen wurden, führen, obwohl beide ungenau, doch viel eher
nach Vercellae als nach Verona.
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