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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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VIERTES BUCH. KAPITEL IV.
schen Annalen zusammenlasen was um einen militärischen Dis-
curs zu führen nöthig war und sodann im Feldlager im besten
Fall das wirkliche Commando einem Offizier von niedriger Her-
kunft und erprobter Bescheidenheit übergaben. In der That,
wenn ein paar Jahrhunderte zuvor der Senat einer Versammlung
von Königen glich, so spielten diese ihre Nachfahren nicht übel
die Prinzen. Aber der Unfähigkeit dieser restaurirten Adlichen
hielt völlig die Wage ihre politische und sittliche Nichtswürdig-
keit. Wenn nicht die religiösen Zustände, auf die zurückzukom-
men sein wird, von der wüsten Zerfahrenheit dieser Zeit ein
treues Spiegelbild böten und ebenso die äussere Geschichte in
dieser Epoche die vollkommene Schlechtigkeit der römischen
Adlichen als einen ihrer wesentlichsten Factoren aufwiese, so
würden die entsetzlichen Verbrechen, die in den höchsten Krei-
sen Roms Schlag auf Schlag zum Vorschein kamen, allein die-
selben hinreichend charakterisiren.

Die Verwaltung war nach innen und nach aussen, was sie
sein konnte unter einem solchen Regiment. Der sociale Ruin
Italiens griff mit erschreckender Geschwindigkeit um sich; seit die
Aristokratie das Auskaufen der Kleinbesitzer sich gesetzlich hatte
erlauben lassen und in ihrem neuen Uebermuth das Austreiben
derselben immer häufiger sich selbst erlaubte, verschwanden die
Bauerstellen wie die Regentropfen im Meer. Wie mit der politi-
schen die ökonomische Oligarchie mindestens Schritt hielt, zeigt
die Aeusserung, die ein gemässigt demokratischer Mann, Lucius
Marcius Philippus um 650 that, dass es in der ganzen Bürger-
schaft kaum 2000 vermögende Familien gebe. Den praktischen
Commentar dazu lieferten abermals die Sclavenaufstände, welche
in den ersten Jahren des kimbrischen Krieges alljährlich in Ita-
lien ausbrachen, so in Nuceria, in Capua, im Gebiet von Thurii.
Diese letzte Zusammenrottung war schon so bedeutend, dass
gegen sie der städtische Praetor mit einer Legion hatte marschi-
ren müssen und dennoch nicht durch Waffengewalt, sondern
durch tückischen Verrath der Insurrection Herr geworden war.
Auch das war eine bedenkliche Erscheinung, dass an der Spitze
derselben kein Sclave gestanden hatte, sondern der römische
Ritter Titus Vettius, den seine Schulden zu dem wahnsinnigen
Schritt getrieben hatten seine Sclaven frei und sich zu ihrem
König zu erklären (650). Wie gefährlich die Anhäufung der
Sclavenmassen in Italien der Regierung erschien, beweist die
Vorsichtsmassregel hinsichtlich der um 611 erworbenen Gold-
wäschereien von Victumulae; die Pächter wurden zuerst ver-

VIERTES BUCH. KAPITEL IV.
schen Annalen zusammenlasen was um einen militärischen Dis-
curs zu führen nöthig war und sodann im Feldlager im besten
Fall das wirkliche Commando einem Offizier von niedriger Her-
kunft und erprobter Bescheidenheit übergaben. In der That,
wenn ein paar Jahrhunderte zuvor der Senat einer Versammlung
von Königen glich, so spielten diese ihre Nachfahren nicht übel
die Prinzen. Aber der Unfähigkeit dieser restaurirten Adlichen
hielt völlig die Wage ihre politische und sittliche Nichtswürdig-
keit. Wenn nicht die religiösen Zustände, auf die zurückzukom-
men sein wird, von der wüsten Zerfahrenheit dieser Zeit ein
treues Spiegelbild böten und ebenso die äuſsere Geschichte in
dieser Epoche die vollkommene Schlechtigkeit der römischen
Adlichen als einen ihrer wesentlichsten Factoren aufwiese, so
würden die entsetzlichen Verbrechen, die in den höchsten Krei-
sen Roms Schlag auf Schlag zum Vorschein kamen, allein die-
selben hinreichend charakterisiren.

Die Verwaltung war nach innen und nach auſsen, was sie
sein konnte unter einem solchen Regiment. Der sociale Ruin
Italiens griff mit erschreckender Geschwindigkeit um sich; seit die
Aristokratie das Auskaufen der Kleinbesitzer sich gesetzlich hatte
erlauben lassen und in ihrem neuen Uebermuth das Austreiben
derselben immer häufiger sich selbst erlaubte, verschwanden die
Bauerstellen wie die Regentropfen im Meer. Wie mit der politi-
schen die ökonomische Oligarchie mindestens Schritt hielt, zeigt
die Aeuſserung, die ein gemäſsigt demokratischer Mann, Lucius
Marcius Philippus um 650 that, daſs es in der ganzen Bürger-
schaft kaum 2000 vermögende Familien gebe. Den praktischen
Commentar dazu lieferten abermals die Sclavenaufstände, welche
in den ersten Jahren des kimbrischen Krieges alljährlich in Ita-
lien ausbrachen, so in Nuceria, in Capua, im Gebiet von Thurii.
Diese letzte Zusammenrottung war schon so bedeutend, daſs
gegen sie der städtische Praetor mit einer Legion hatte marschi-
ren müssen und dennoch nicht durch Waffengewalt, sondern
durch tückischen Verrath der Insurrection Herr geworden war.
Auch das war eine bedenkliche Erscheinung, daſs an der Spitze
derselben kein Sclave gestanden hatte, sondern der römische
Ritter Titus Vettius, den seine Schulden zu dem wahnsinnigen
Schritt getrieben hatten seine Sclaven frei und sich zu ihrem
König zu erklären (650). Wie gefährlich die Anhäufung der
Sclavenmassen in Italien der Regierung erschien, beweist die
Vorsichtsmaſsregel hinsichtlich der um 611 erworbenen Gold-
wäschereien von Victumulae; die Pächter wurden zuerst ver-

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[126/0136] VIERTES BUCH. KAPITEL IV. schen Annalen zusammenlasen was um einen militärischen Dis- curs zu führen nöthig war und sodann im Feldlager im besten Fall das wirkliche Commando einem Offizier von niedriger Her- kunft und erprobter Bescheidenheit übergaben. In der That, wenn ein paar Jahrhunderte zuvor der Senat einer Versammlung von Königen glich, so spielten diese ihre Nachfahren nicht übel die Prinzen. Aber der Unfähigkeit dieser restaurirten Adlichen hielt völlig die Wage ihre politische und sittliche Nichtswürdig- keit. Wenn nicht die religiösen Zustände, auf die zurückzukom- men sein wird, von der wüsten Zerfahrenheit dieser Zeit ein treues Spiegelbild böten und ebenso die äuſsere Geschichte in dieser Epoche die vollkommene Schlechtigkeit der römischen Adlichen als einen ihrer wesentlichsten Factoren aufwiese, so würden die entsetzlichen Verbrechen, die in den höchsten Krei- sen Roms Schlag auf Schlag zum Vorschein kamen, allein die- selben hinreichend charakterisiren. Die Verwaltung war nach innen und nach auſsen, was sie sein konnte unter einem solchen Regiment. Der sociale Ruin Italiens griff mit erschreckender Geschwindigkeit um sich; seit die Aristokratie das Auskaufen der Kleinbesitzer sich gesetzlich hatte erlauben lassen und in ihrem neuen Uebermuth das Austreiben derselben immer häufiger sich selbst erlaubte, verschwanden die Bauerstellen wie die Regentropfen im Meer. Wie mit der politi- schen die ökonomische Oligarchie mindestens Schritt hielt, zeigt die Aeuſserung, die ein gemäſsigt demokratischer Mann, Lucius Marcius Philippus um 650 that, daſs es in der ganzen Bürger- schaft kaum 2000 vermögende Familien gebe. Den praktischen Commentar dazu lieferten abermals die Sclavenaufstände, welche in den ersten Jahren des kimbrischen Krieges alljährlich in Ita- lien ausbrachen, so in Nuceria, in Capua, im Gebiet von Thurii. Diese letzte Zusammenrottung war schon so bedeutend, daſs gegen sie der städtische Praetor mit einer Legion hatte marschi- ren müssen und dennoch nicht durch Waffengewalt, sondern durch tückischen Verrath der Insurrection Herr geworden war. Auch das war eine bedenkliche Erscheinung, daſs an der Spitze derselben kein Sclave gestanden hatte, sondern der römische Ritter Titus Vettius, den seine Schulden zu dem wahnsinnigen Schritt getrieben hatten seine Sclaven frei und sich zu ihrem König zu erklären (650). Wie gefährlich die Anhäufung der Sclavenmassen in Italien der Regierung erschien, beweist die Vorsichtsmaſsregel hinsichtlich der um 611 erworbenen Gold- wäschereien von Victumulae; die Pächter wurden zuerst ver-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/136>, abgerufen am 26.11.2024.