Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.DIE REVOLUTION UND GAIUS GRACCHUS. Damit war das Fundament seiner Machthaberschaft zusammen-gebrochen. Ein zweiter Schlag traf ihn durch die Consulwahlen, die nicht bloss im Allgemeinen gegen die Demokratie ausfielen, sondern durch welche in Lucius Opimius der Mann, der als Praetor 629 Fregellae erobert hatte, an die Spitze des Staates gestellt ward, eines der entschiedensten und am wenigsten be- denklichen Häupter der strengen Adelspartei und fest entschlos- sen den gefährlichen Gegner bei erster Gelegenheit zu beseitigen. Sie fand sich bald. Am 10 Dec. 632 hörte Gracchus auf Volks- tribun zu sein; am 1 Jan. 633 trat Opimius sein Amt an. Der erste Angriff traf wie billig die nützlichste und die unpopulärste Massregel des Gracchus, die Wiederherstellung von Karthago. Hatte man bisher indirect durch die lockenderen italischen Co- lonien die überseeischen angegriffen, so wühlten jetzt africanische Hyänen die Grenzsteine der neugesetzten Colonie auf und die rö- mischen Pfaffen bescheinigten auf Verlangen, dass solches Wun- der und Zeichen ausdrücklich warnen solle vor dem Wiederanbau der gottverfluchten Stätte; der Senat konnte nicht umhin ein Gesetz vorschlagen zu lassen, das die Ausführung der Colonie Junonia untersagte. Gracchus, der mit den andern zur Anle- gung derselben ernannten Männern eben damals die Colonisten auslas, erschien auf dem Capitol, wohin die Bürgerschaft beru- fen war an dem Tag der Abstimmung, um mit seinem Anhang die Verwerfung des Gesetzes zu bewirken. Gewaltthätigkeiten wünschte er zu vermeiden, um den Gegnern nicht den Vorwand den sie suchten selbst an die Hand zu geben; indess hatte er nicht wehren können, dass ein grosser Theil seiner Getreuen, der Katastrophe des Tiberius sich erinnernd und wohl bekannt mit den Absichten der Aristokratie, bewaffnet gekommen war und bei der ungeheuren Aufregung auf beiden Seiten waren Händel kaum zu vermeiden. In der Halle des capitolinischen Tempels verrichtete der Consul Lucius Opimius das übliche Brandopfer; einer der ihm dabei behülflichen Gerichtsdiener, Quintus Antul- lius herrschte, die heiligen Eingeweide in der Hand, die ,schlech- ten Bürger' an die Halle zu räumen und schien sogar an Gaius selbst Hand legen zu wollen; worauf ein eifriger Graccha- ner das Schwert zog und den Menschen niederstiess. Es ent- stand ein furchtbarer Lärm. Gracchus versuchte vergeblich zum Volk zu sprechen und die Verantwortung der gotteslästerlichen Mordthat von sich abzulehnen; er lieferte den Gegnern nur einen formalen Anklagegrund mehr, indem er ohne es in dem Getüm- mel zu bemerken, einem eben zum Volk sprechenden Tribun in 8*
DIE REVOLUTION UND GAIUS GRACCHUS. Damit war das Fundament seiner Machthaberschaft zusammen-gebrochen. Ein zweiter Schlag traf ihn durch die Consulwahlen, die nicht bloſs im Allgemeinen gegen die Demokratie ausfielen, sondern durch welche in Lucius Opimius der Mann, der als Praetor 629 Fregellae erobert hatte, an die Spitze des Staates gestellt ward, eines der entschiedensten und am wenigsten be- denklichen Häupter der strengen Adelspartei und fest entschlos- sen den gefährlichen Gegner bei erster Gelegenheit zu beseitigen. Sie fand sich bald. Am 10 Dec. 632 hörte Gracchus auf Volks- tribun zu sein; am 1 Jan. 633 trat Opimius sein Amt an. Der erste Angriff traf wie billig die nützlichste und die unpopulärste Maſsregel des Gracchus, die Wiederherstellung von Karthago. Hatte man bisher indirect durch die lockenderen italischen Co- lonien die überseeischen angegriffen, so wühlten jetzt africanische Hyänen die Grenzsteine der neugesetzten Colonie auf und die rö- mischen Pfaffen bescheinigten auf Verlangen, daſs solches Wun- der und Zeichen ausdrücklich warnen solle vor dem Wiederanbau der gottverfluchten Stätte; der Senat konnte nicht umhin ein Gesetz vorschlagen zu lassen, das die Ausführung der Colonie Junonia untersagte. Gracchus, der mit den andern zur Anle- gung derselben ernannten Männern eben damals die Colonisten auslas, erschien auf dem Capitol, wohin die Bürgerschaft beru- fen war an dem Tag der Abstimmung, um mit seinem Anhang die Verwerfung des Gesetzes zu bewirken. Gewaltthätigkeiten wünschte er zu vermeiden, um den Gegnern nicht den Vorwand den sie suchten selbst an die Hand zu geben; indeſs hatte er nicht wehren können, daſs ein groſser Theil seiner Getreuen, der Katastrophe des Tiberius sich erinnernd und wohl bekannt mit den Absichten der Aristokratie, bewaffnet gekommen war und bei der ungeheuren Aufregung auf beiden Seiten waren Händel kaum zu vermeiden. In der Halle des capitolinischen Tempels verrichtete der Consul Lucius Opimius das übliche Brandopfer; einer der ihm dabei behülflichen Gerichtsdiener, Quintus Antul- lius herrschte, die heiligen Eingeweide in der Hand, die ‚schlech- ten Bürger‘ an die Halle zu räumen und schien sogar an Gaius selbst Hand legen zu wollen; worauf ein eifriger Graccha- ner das Schwert zog und den Menschen niederstieſs. Es ent- stand ein furchtbarer Lärm. Gracchus versuchte vergeblich zum Volk zu sprechen und die Verantwortung der gotteslästerlichen Mordthat von sich abzulehnen; er lieferte den Gegnern nur einen formalen Anklagegrund mehr, indem er ohne es in dem Getüm- mel zu bemerken, einem eben zum Volk sprechenden Tribun in 8*
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DIE REVOLUTION UND GAIUS GRACCHUS.
Damit war das Fundament seiner Machthaberschaft zusammen-
gebrochen. Ein zweiter Schlag traf ihn durch die Consulwahlen,
die nicht bloſs im Allgemeinen gegen die Demokratie ausfielen,
sondern durch welche in Lucius Opimius der Mann, der als
Praetor 629 Fregellae erobert hatte, an die Spitze des Staates
gestellt ward, eines der entschiedensten und am wenigsten be-
denklichen Häupter der strengen Adelspartei und fest entschlos-
sen den gefährlichen Gegner bei erster Gelegenheit zu beseitigen.
Sie fand sich bald. Am 10 Dec. 632 hörte Gracchus auf Volks-
tribun zu sein; am 1 Jan. 633 trat Opimius sein Amt an. Der
erste Angriff traf wie billig die nützlichste und die unpopulärste
Maſsregel des Gracchus, die Wiederherstellung von Karthago.
Hatte man bisher indirect durch die lockenderen italischen Co-
lonien die überseeischen angegriffen, so wühlten jetzt africanische
Hyänen die Grenzsteine der neugesetzten Colonie auf und die rö-
mischen Pfaffen bescheinigten auf Verlangen, daſs solches Wun-
der und Zeichen ausdrücklich warnen solle vor dem Wiederanbau
der gottverfluchten Stätte; der Senat konnte nicht umhin ein
Gesetz vorschlagen zu lassen, das die Ausführung der Colonie
Junonia untersagte. Gracchus, der mit den andern zur Anle-
gung derselben ernannten Männern eben damals die Colonisten
auslas, erschien auf dem Capitol, wohin die Bürgerschaft beru-
fen war an dem Tag der Abstimmung, um mit seinem Anhang
die Verwerfung des Gesetzes zu bewirken. Gewaltthätigkeiten
wünschte er zu vermeiden, um den Gegnern nicht den Vorwand
den sie suchten selbst an die Hand zu geben; indeſs hatte er
nicht wehren können, daſs ein groſser Theil seiner Getreuen, der
Katastrophe des Tiberius sich erinnernd und wohl bekannt mit
den Absichten der Aristokratie, bewaffnet gekommen war und
bei der ungeheuren Aufregung auf beiden Seiten waren Händel
kaum zu vermeiden. In der Halle des capitolinischen Tempels
verrichtete der Consul Lucius Opimius das übliche Brandopfer;
einer der ihm dabei behülflichen Gerichtsdiener, Quintus Antul-
lius herrschte, die heiligen Eingeweide in der Hand, die ‚schlech-
ten Bürger‘ an die Halle zu räumen und schien sogar an
Gaius selbst Hand legen zu wollen; worauf ein eifriger Graccha-
ner das Schwert zog und den Menschen niederstieſs. Es ent-
stand ein furchtbarer Lärm. Gracchus versuchte vergeblich zum
Volk zu sprechen und die Verantwortung der gotteslästerlichen
Mordthat von sich abzulehnen; er lieferte den Gegnern nur einen
formalen Anklagegrund mehr, indem er ohne es in dem Getüm-
mel zu bemerken, einem eben zum Volk sprechenden Tribun in
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