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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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DIE REVOLUTION UND GAIUS GRACCHUS.
gen. Die Leichenbestattung ward beschleunigt; verhüllten Haup-
tes ward der letzte aus dem Geschlecht des Siegers von Zama
hinausgetragen, ohne dass jemand zuvor des Todten Antlitz hätte
sehen dürfen, und die Flammen des Scheiterhaufens verzehrten
mit der Hülle des hohen Mannes die letzten Spuren des Verbre-
chens. -- Die Geschichte Roms kennt manchen genialeren Mann
als Scipio Aemilianus war, aber keinen, der an sittlicher Reinheit,
an völliger Abwesenheit des politischen Egoismus, an edelster
Vaterlandsliebe ihm gleich kommt; vielleicht auch keinen, dem
das Geschick eine tragischere Rolle zugewiesen hat. Mit dem
besten Willen und mit nicht gemeinen Fähigkeiten war er dazu
verurtheilt den Ruin seines Vaterlandes vor seinen Augen sich
vollziehen zu sehen und jeden ernstlichen Versuch einer Ret-
tung, in der klaren Einsicht nur übel ärger zu machen, in
sich niederzukämpfen; dazu verurtheilt Unthaten wie die des
Nasica gutheissen und zugleich das Werk des Ermordeten gegen
seine Mörder vertheidigen zu müssen. Dennoch durfte er sich
sagen nicht umsonst gelebt zu haben. Er war es, wenigstens
ebenso sehr wie der Urheber des sempronischen Gesetzes, dem
die römische Bürgerschaft einen Zuwachs von gegen 80000
neuen Bauerhufen verdankt; er war es auch, der diese Domanial-
theilung hemmte, als sie genützt hatte, was sie nützen konnte.
Dass es an der Zeit war damit abzubrechen, ward zwar damals
auch von wohlmeinenden Männern bestritten; aber die That-
sache, dass auch Gaius Gracchus auf diese nach dem Gesetz sei-
nes Bruders zu vertheilenden und unvertheilt gebliebenen Be-
sitzungen nicht ernstlich zurückkam, spricht gar sehr dafür, dass
Scipio im Wesentlichen den richtigen Moment traf. Beide Mass-
regeln wurden den Parteien abgezwungen, die erste der Ari-
stokratie, die zweite den Reformfreunden; die letztere bezahlte
ihr Urheber mit seinem Leben. Es war ihm beschieden auf
manchem Schlachtfeld für sein Vaterland zu fechten und unver-
letzt heimzukehren, um dort den Tod von Mörderhand zu finden;
aber er ist in seiner stillen Kammer nicht minder für Rom ge-
storben, als wenn er vor Karthagos Mauern gefallen wäre.

Die Landauftheilung war zu Ende; die Revolution ging an.
Die revolutionäre Partei, die in der Theilungscommission gleich-
sam eine constituirte Vorstandschaft besass, hatte schon bei Sci-
pios Lebzeiten hie und dort mit dem bestehenden Regiment ge-
plänkelt; namentlich Carbo, eines der ausgezeichnetsten Redner-
talente dieser Zeit, hatte als Volkstribun 623 dem Senat nicht
wenig zu schaffen gemacht, die geheime Abstimmung in den

DIE REVOLUTION UND GAIUS GRACCHUS.
gen. Die Leichenbestattung ward beschleunigt; verhüllten Haup-
tes ward der letzte aus dem Geschlecht des Siegers von Zama
hinausgetragen, ohne daſs jemand zuvor des Todten Antlitz hätte
sehen dürfen, und die Flammen des Scheiterhaufens verzehrten
mit der Hülle des hohen Mannes die letzten Spuren des Verbre-
chens. — Die Geschichte Roms kennt manchen genialeren Mann
als Scipio Aemilianus war, aber keinen, der an sittlicher Reinheit,
an völliger Abwesenheit des politischen Egoismus, an edelster
Vaterlandsliebe ihm gleich kommt; vielleicht auch keinen, dem
das Geschick eine tragischere Rolle zugewiesen hat. Mit dem
besten Willen und mit nicht gemeinen Fähigkeiten war er dazu
verurtheilt den Ruin seines Vaterlandes vor seinen Augen sich
vollziehen zu sehen und jeden ernstlichen Versuch einer Ret-
tung, in der klaren Einsicht nur übel ärger zu machen, in
sich niederzukämpfen; dazu verurtheilt Unthaten wie die des
Nasica gutheiſsen und zugleich das Werk des Ermordeten gegen
seine Mörder vertheidigen zu müssen. Dennoch durfte er sich
sagen nicht umsonst gelebt zu haben. Er war es, wenigstens
ebenso sehr wie der Urheber des sempronischen Gesetzes, dem
die römische Bürgerschaft einen Zuwachs von gegen 80000
neuen Bauerhufen verdankt; er war es auch, der diese Domanial-
theilung hemmte, als sie genützt hatte, was sie nützen konnte.
Daſs es an der Zeit war damit abzubrechen, ward zwar damals
auch von wohlmeinenden Männern bestritten; aber die That-
sache, daſs auch Gaius Gracchus auf diese nach dem Gesetz sei-
nes Bruders zu vertheilenden und unvertheilt gebliebenen Be-
sitzungen nicht ernstlich zurückkam, spricht gar sehr dafür, daſs
Scipio im Wesentlichen den richtigen Moment traf. Beide Maſs-
regeln wurden den Parteien abgezwungen, die erste der Ari-
stokratie, die zweite den Reformfreunden; die letztere bezahlte
ihr Urheber mit seinem Leben. Es war ihm beschieden auf
manchem Schlachtfeld für sein Vaterland zu fechten und unver-
letzt heimzukehren, um dort den Tod von Mörderhand zu finden;
aber er ist in seiner stillen Kammer nicht minder für Rom ge-
storben, als wenn er vor Karthagos Mauern gefallen wäre.

Die Landauftheilung war zu Ende; die Revolution ging an.
Die revolutionäre Partei, die in der Theilungscommission gleich-
sam eine constituirte Vorstandschaft besaſs, hatte schon bei Sci-
pios Lebzeiten hie und dort mit dem bestehenden Regiment ge-
plänkelt; namentlich Carbo, eines der ausgezeichnetsten Redner-
talente dieser Zeit, hatte als Volkstribun 623 dem Senat nicht
wenig zu schaffen gemacht, die geheime Abstimmung in den

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[95/0105] DIE REVOLUTION UND GAIUS GRACCHUS. gen. Die Leichenbestattung ward beschleunigt; verhüllten Haup- tes ward der letzte aus dem Geschlecht des Siegers von Zama hinausgetragen, ohne daſs jemand zuvor des Todten Antlitz hätte sehen dürfen, und die Flammen des Scheiterhaufens verzehrten mit der Hülle des hohen Mannes die letzten Spuren des Verbre- chens. — Die Geschichte Roms kennt manchen genialeren Mann als Scipio Aemilianus war, aber keinen, der an sittlicher Reinheit, an völliger Abwesenheit des politischen Egoismus, an edelster Vaterlandsliebe ihm gleich kommt; vielleicht auch keinen, dem das Geschick eine tragischere Rolle zugewiesen hat. Mit dem besten Willen und mit nicht gemeinen Fähigkeiten war er dazu verurtheilt den Ruin seines Vaterlandes vor seinen Augen sich vollziehen zu sehen und jeden ernstlichen Versuch einer Ret- tung, in der klaren Einsicht nur übel ärger zu machen, in sich niederzukämpfen; dazu verurtheilt Unthaten wie die des Nasica gutheiſsen und zugleich das Werk des Ermordeten gegen seine Mörder vertheidigen zu müssen. Dennoch durfte er sich sagen nicht umsonst gelebt zu haben. Er war es, wenigstens ebenso sehr wie der Urheber des sempronischen Gesetzes, dem die römische Bürgerschaft einen Zuwachs von gegen 80000 neuen Bauerhufen verdankt; er war es auch, der diese Domanial- theilung hemmte, als sie genützt hatte, was sie nützen konnte. Daſs es an der Zeit war damit abzubrechen, ward zwar damals auch von wohlmeinenden Männern bestritten; aber die That- sache, daſs auch Gaius Gracchus auf diese nach dem Gesetz sei- nes Bruders zu vertheilenden und unvertheilt gebliebenen Be- sitzungen nicht ernstlich zurückkam, spricht gar sehr dafür, daſs Scipio im Wesentlichen den richtigen Moment traf. Beide Maſs- regeln wurden den Parteien abgezwungen, die erste der Ari- stokratie, die zweite den Reformfreunden; die letztere bezahlte ihr Urheber mit seinem Leben. Es war ihm beschieden auf manchem Schlachtfeld für sein Vaterland zu fechten und unver- letzt heimzukehren, um dort den Tod von Mörderhand zu finden; aber er ist in seiner stillen Kammer nicht minder für Rom ge- storben, als wenn er vor Karthagos Mauern gefallen wäre. Die Landauftheilung war zu Ende; die Revolution ging an. Die revolutionäre Partei, die in der Theilungscommission gleich- sam eine constituirte Vorstandschaft besaſs, hatte schon bei Sci- pios Lebzeiten hie und dort mit dem bestehenden Regiment ge- plänkelt; namentlich Carbo, eines der ausgezeichnetsten Redner- talente dieser Zeit, hatte als Volkstribun 623 dem Senat nicht wenig zu schaffen gemacht, die geheime Abstimmung in den

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/105>, abgerufen am 23.11.2024.