Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.DIE REVOLUTION UND GAIUS GRACCHUS. gewiesen *, andere Stücke von latinischen Bürgern erlaubter undunerlaubter Weise occupirt worden. Jetzt griff die Theilungs- commission auch diese Besitzungen an. Nach formalem Rechte war die Einziehung der von Nichtbürgern einfach occupirten Stücke unzweifelhaft zulässig, nicht minder vermuthlich die Ein- ziehung des durch Staatsverträge den italischen Gemeinden über- wiesenen Domaniallandes, da der Staat damit keineswegs auf sein Eigenthum verzichtete und allem Anschein nach an Gemeinden eben wie an Private nur auf Widerruf verlieh; allein nichts desto weniger konnte die Beschwerde dieser Bundes- oder Unter- thanengemeinden, dass Rom die mit ihnen abgeschlossenen Ver- träge nicht einhalte, unmöglich ebenso unbeachtet bleiben wie die Klagen der durch die Theilungscommission verletzten römi- schen Bürger. Es handelte sich hier nicht um Privatrechte, son- dern um die Frage, ob es politisch richtig sei die militärisch so wichtigen und schon durch zahlreiche rechtliche und factische Zurücksetzungen (I, 610-613) Rom mehr und mehr entfrem- deten latinischen Gemeinden durch diese empfindliche Verletzung ihrer materiellen Interessen aufs neue gegen Rom zu verstim- men. Die Entscheidung lag in den Händen der Mittelpartei; sie war es gewesen, die nach der Katastrophe des Gracchus im Bunde mit seinen Anhängern seine Reform gegen die Oligarchie geschützt hatte und sie allein vermochte jetzt in Vereinigung mit der Oligarchie der Reform eine Schranke zu setzen. Die Latiner wandten sich persönlich an den hervorragendsten Mann dieser Partei, Scipio Aemilianus, mit der Bitte ihre Rechte zu schützen; er sagte es zu und wesentlich durch seinen Einfluss ** ward im J. 625 der Theilungscommission die Gerichtsbarkeit durch Volksschluss entzogen und die Entscheidung, was Domanial- und was Privatbesitz sei, an die Consuln gewiesen. Es war dies * Ein einzelnes Beispiel der Art erhellt aus dem römischen Schieds- spruch zwischen der Gemeine Genua und einigen unter sie gelegten Dör- fern, wodurch den letzteren an gewissen römischen Domanialländereien das ausschliessliche Nutzungsrecht zugesprochen ward, gegen die Auflage jährlich 400 Victoriati (= 300 Denare = 86 Thlr.) oder im Entstehungs- fall des davon gezogenen Getreides, 1/6 des Weins an die Stadt Genua zu entrichten. Der Schiedsspruch ist vom J. 637, die Zuweisung des Do- maniallandes aber älter. ** Hieher gehört seine Rede contra legem iudiciariam Tiberii Gracchi,
womit nicht, wie man gemeint, ein Gesetz über Quaestionengerichte gemeint ist, sondern das Supplementargesetz zu seiner Ackerrogation: ut triumviri iudicarent, qua publicus ager, qua privatus esset (Liv. ep. 58; oben S. 81). DIE REVOLUTION UND GAIUS GRACCHUS. gewiesen *, andere Stücke von latinischen Bürgern erlaubter undunerlaubter Weise occupirt worden. Jetzt griff die Theilungs- commission auch diese Besitzungen an. Nach formalem Rechte war die Einziehung der von Nichtbürgern einfach occupirten Stücke unzweifelhaft zulässig, nicht minder vermuthlich die Ein- ziehung des durch Staatsverträge den italischen Gemeinden über- wiesenen Domaniallandes, da der Staat damit keineswegs auf sein Eigenthum verzichtete und allem Anschein nach an Gemeinden eben wie an Private nur auf Widerruf verlieh; allein nichts desto weniger konnte die Beschwerde dieser Bundes- oder Unter- thanengemeinden, daſs Rom die mit ihnen abgeschlossenen Ver- träge nicht einhalte, unmöglich ebenso unbeachtet bleiben wie die Klagen der durch die Theilungscommission verletzten römi- schen Bürger. Es handelte sich hier nicht um Privatrechte, son- dern um die Frage, ob es politisch richtig sei die militärisch so wichtigen und schon durch zahlreiche rechtliche und factische Zurücksetzungen (I, 610-613) Rom mehr und mehr entfrem- deten latinischen Gemeinden durch diese empfindliche Verletzung ihrer materiellen Interessen aufs neue gegen Rom zu verstim- men. Die Entscheidung lag in den Händen der Mittelpartei; sie war es gewesen, die nach der Katastrophe des Gracchus im Bunde mit seinen Anhängern seine Reform gegen die Oligarchie geschützt hatte und sie allein vermochte jetzt in Vereinigung mit der Oligarchie der Reform eine Schranke zu setzen. Die Latiner wandten sich persönlich an den hervorragendsten Mann dieser Partei, Scipio Aemilianus, mit der Bitte ihre Rechte zu schützen; er sagte es zu und wesentlich durch seinen Einfluſs ** ward im J. 625 der Theilungscommission die Gerichtsbarkeit durch Volksschluſs entzogen und die Entscheidung, was Domanial- und was Privatbesitz sei, an die Consuln gewiesen. Es war dies * Ein einzelnes Beispiel der Art erhellt aus dem römischen Schieds- spruch zwischen der Gemeine Genua und einigen unter sie gelegten Dör- fern, wodurch den letzteren an gewissen römischen Domanialländereien das ausschlieſsliche Nutzungsrecht zugesprochen ward, gegen die Auflage jährlich 400 Victoriati (= 300 Denare = 86 Thlr.) oder im Entstehungs- fall des davon gezogenen Getreides, ⅙ des Weins an die Stadt Genua zu entrichten. Der Schiedsspruch ist vom J. 637, die Zuweisung des Do- maniallandes aber älter. ** Hieher gehört seine Rede contra legem iudiciariam Tiberii Gracchi,
womit nicht, wie man gemeint, ein Gesetz über Quaestionengerichte gemeint ist, sondern das Supplementargesetz zu seiner Ackerrogation: ut triumviri iudicarent, qua publicus ager, qua privatus esset (Liv. ep. 58; oben S. 81). <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0103" n="93"/><fw place="top" type="header">DIE REVOLUTION UND GAIUS GRACCHUS.</fw><lb/> gewiesen <note place="foot" n="*">Ein einzelnes Beispiel der Art erhellt aus dem römischen Schieds-<lb/> spruch zwischen der Gemeine Genua und einigen unter sie gelegten Dör-<lb/> fern, wodurch den letzteren an gewissen römischen Domanialländereien<lb/> das ausschlieſsliche Nutzungsrecht zugesprochen ward, gegen die Auflage<lb/> jährlich 400 Victoriati (= 300 Denare = 86 Thlr.) oder im Entstehungs-<lb/> fall <formula notation="TeX">\frac{1}{20}</formula> des davon gezogenen Getreides, ⅙ des Weins an die Stadt Genua<lb/> zu entrichten. Der Schiedsspruch ist vom J. 637, die Zuweisung des Do-<lb/> maniallandes aber älter.</note>, andere Stücke von latinischen Bürgern erlaubter und<lb/> unerlaubter Weise occupirt worden. Jetzt griff die Theilungs-<lb/> commission auch diese Besitzungen an. Nach formalem Rechte<lb/> war die Einziehung der von Nichtbürgern einfach occupirten<lb/> Stücke unzweifelhaft zulässig, nicht minder vermuthlich die Ein-<lb/> ziehung des durch Staatsverträge den italischen Gemeinden über-<lb/> wiesenen Domaniallandes, da der Staat damit keineswegs auf sein<lb/> Eigenthum verzichtete und allem Anschein nach an Gemeinden<lb/> eben wie an Private nur auf Widerruf verlieh; allein nichts desto<lb/> weniger konnte die Beschwerde dieser Bundes- oder Unter-<lb/> thanengemeinden, daſs Rom die mit ihnen abgeschlossenen Ver-<lb/> träge nicht einhalte, unmöglich ebenso unbeachtet bleiben wie<lb/> die Klagen der durch die Theilungscommission verletzten römi-<lb/> schen Bürger. Es handelte sich hier nicht um Privatrechte, son-<lb/> dern um die Frage, ob es politisch richtig sei die militärisch so<lb/> wichtigen und schon durch zahlreiche rechtliche und factische<lb/> Zurücksetzungen (I, 610-613) Rom mehr und mehr entfrem-<lb/> deten latinischen Gemeinden durch diese empfindliche Verletzung<lb/> ihrer materiellen Interessen aufs neue gegen Rom zu verstim-<lb/> men. Die Entscheidung lag in den Händen der Mittelpartei; sie<lb/> war es gewesen, die nach der Katastrophe des Gracchus im<lb/> Bunde mit seinen Anhängern seine Reform gegen die Oligarchie<lb/> geschützt hatte und sie allein vermochte jetzt in Vereinigung mit<lb/> der Oligarchie der Reform eine Schranke zu setzen. Die Latiner<lb/> wandten sich persönlich an den hervorragendsten Mann dieser<lb/> Partei, Scipio Aemilianus, mit der Bitte ihre Rechte zu schützen;<lb/> er sagte es zu und wesentlich durch seinen Einfluſs <note place="foot" n="**">Hieher gehört seine Rede <hi rendition="#i">contra legem iudiciariam Tiberii Gracchi,</hi><lb/> womit nicht, wie man gemeint, ein Gesetz über Quaestionengerichte gemeint<lb/> ist, sondern das Supplementargesetz zu seiner Ackerrogation: <hi rendition="#i">ut triumviri<lb/> iudicarent, qua publicus ager, qua privatus esset</hi> (Liv. ep. 58; oben S. 81).</note> ward im<lb/> J. 625 der Theilungscommission die Gerichtsbarkeit durch<lb/> Volksschluſs entzogen und die Entscheidung, was Domanial-<lb/> und was Privatbesitz sei, an die Consuln gewiesen. Es war dies<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [93/0103]
DIE REVOLUTION UND GAIUS GRACCHUS.
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unerlaubter Weise occupirt worden. Jetzt griff die Theilungs-
commission auch diese Besitzungen an. Nach formalem Rechte
war die Einziehung der von Nichtbürgern einfach occupirten
Stücke unzweifelhaft zulässig, nicht minder vermuthlich die Ein-
ziehung des durch Staatsverträge den italischen Gemeinden über-
wiesenen Domaniallandes, da der Staat damit keineswegs auf sein
Eigenthum verzichtete und allem Anschein nach an Gemeinden
eben wie an Private nur auf Widerruf verlieh; allein nichts desto
weniger konnte die Beschwerde dieser Bundes- oder Unter-
thanengemeinden, daſs Rom die mit ihnen abgeschlossenen Ver-
träge nicht einhalte, unmöglich ebenso unbeachtet bleiben wie
die Klagen der durch die Theilungscommission verletzten römi-
schen Bürger. Es handelte sich hier nicht um Privatrechte, son-
dern um die Frage, ob es politisch richtig sei die militärisch so
wichtigen und schon durch zahlreiche rechtliche und factische
Zurücksetzungen (I, 610-613) Rom mehr und mehr entfrem-
deten latinischen Gemeinden durch diese empfindliche Verletzung
ihrer materiellen Interessen aufs neue gegen Rom zu verstim-
men. Die Entscheidung lag in den Händen der Mittelpartei; sie
war es gewesen, die nach der Katastrophe des Gracchus im
Bunde mit seinen Anhängern seine Reform gegen die Oligarchie
geschützt hatte und sie allein vermochte jetzt in Vereinigung mit
der Oligarchie der Reform eine Schranke zu setzen. Die Latiner
wandten sich persönlich an den hervorragendsten Mann dieser
Partei, Scipio Aemilianus, mit der Bitte ihre Rechte zu schützen;
er sagte es zu und wesentlich durch seinen Einfluſs ** ward im
J. 625 der Theilungscommission die Gerichtsbarkeit durch
Volksschluſs entzogen und die Entscheidung, was Domanial-
und was Privatbesitz sei, an die Consuln gewiesen. Es war dies
* Ein einzelnes Beispiel der Art erhellt aus dem römischen Schieds-
spruch zwischen der Gemeine Genua und einigen unter sie gelegten Dör-
fern, wodurch den letzteren an gewissen römischen Domanialländereien
das ausschlieſsliche Nutzungsrecht zugesprochen ward, gegen die Auflage
jährlich 400 Victoriati (= 300 Denare = 86 Thlr.) oder im Entstehungs-
fall [FORMEL] des davon gezogenen Getreides, ⅙ des Weins an die Stadt Genua
zu entrichten. Der Schiedsspruch ist vom J. 637, die Zuweisung des Do-
maniallandes aber älter.
** Hieher gehört seine Rede contra legem iudiciariam Tiberii Gracchi,
womit nicht, wie man gemeint, ein Gesetz über Quaestionengerichte gemeint
ist, sondern das Supplementargesetz zu seiner Ackerrogation: ut triumviri
iudicarent, qua publicus ager, qua privatus esset (Liv. ep. 58; oben S. 81).
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