Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.DIE ETRUSKER. Periode angehört, andrerseits sind die Spuren des Vordringensder Etrusker über die Tiber hinaus auf dem Landweg keines- wegs sicher. In dem grossen Barbarenheer, das im Jahre der Stadt 234 unter den Mauern von Kumae vernichtet ward, werden die Etrusker an erster Stelle genannt; indess selbst wenn man diese Nachricht als durchaus glaubwürdig ansieht, betrifft sie mehr einen Plünderungs- als einen Eroberungszug, und was die Hauptsache ist, wir finden in geschichtlicher Zeit südwärts von der Tiber keine etruskische Bevölkerung mit Ausnahme der campanischen Ansiedlungen, die wahr- scheinlich nicht auf dem Landweg gegründet sind. -- Was die Uebersiedlungen etruskischer Gemeinschaften nach Rom an- langt, so findet sich ein vereinzelter aus tuskischen Annalen gezogener Bericht, dass die Ueberreste einer tuskischen Schaar, welche Caelius Vivenna von Volsinii und nach dessen Untergang der treue Genosse desselben Mastarna geführt habe, unter die- sem nach Rom gezogen und dort auf dem caelischen Berge an- gesiedelt worden sei; wir dürfen die Nachricht für zuverlässig halten, wenn gleich der Zusatz, dass dieser Mastarna in Rom König geworden sei unter dem Namen Servius Tullius, gewiss nichts ist als eine unwahrscheinliche Vermuthung solcher Ar- chäologen, die mit dem Sagenparallelismus sich abgaben. Auf eine ähnliche Ansiedlung deutet das ,Tuskerquartier' unter dem Palatin; beide Plätze, der caelische Berg wie das Tus- kerquartier liegen ausserhalb der vorservianischen Stadtmauer, was auf eine abhängige Stellung der Angesiedelten schliessen lässt. -- Dass das jüngste Königsgeschlecht, das über die Römer geherrscht hat, das der Tarquinier aus Etrurien ent- sprossen ist, leidet kaum einen Zweifel, sei es nun aus Tarquinii, sei es aus Caere, wo das Familiengrab der Tarch- nas vor kurzem aufgefunden worden ist; auch der Name Tanaquil oder Tanchvil ist in Etrurien gemein. Allein mit dieser vereinzelten Thatsache, dass zuletzt ein Geschlecht tus- kischer Abkunft in Rom geherrscht hat, ist wenig zu machen bei dem völligen Untergang der geschichtlichen Kette der Er- eignisse; denn die überlieferte Erzählung, wonach Tarquinius der Sohn eines aus Korinth nach Tarquinii übergesiedelten Griechen und in Rom als Metoeke eingewandert sei, ist weder Geschichte noch Sage, und wenn ein gesunder Kern darin liegt, so kann es nur der sein, dass die Herrschaft eines Mannes tuskischer Herkunft über Rom keineswegs als eine Herrschaft der Tusker oder einer tuskischen Gemeinde über DIE ETRUSKER. Periode angehört, andrerseits sind die Spuren des Vordringensder Etrusker über die Tiber hinaus auf dem Landweg keines- wegs sicher. In dem groſsen Barbarenheer, das im Jahre der Stadt 234 unter den Mauern von Kumae vernichtet ward, werden die Etrusker an erster Stelle genannt; indeſs selbst wenn man diese Nachricht als durchaus glaubwürdig ansieht, betrifft sie mehr einen Plünderungs- als einen Eroberungszug, und was die Hauptsache ist, wir finden in geschichtlicher Zeit südwärts von der Tiber keine etruskische Bevölkerung mit Ausnahme der campanischen Ansiedlungen, die wahr- scheinlich nicht auf dem Landweg gegründet sind. — Was die Uebersiedlungen etruskischer Gemeinschaften nach Rom an- langt, so findet sich ein vereinzelter aus tuskischen Annalen gezogener Bericht, daſs die Ueberreste einer tuskischen Schaar, welche Caelius Vivenna von Volsinii und nach dessen Untergang der treue Genosse desselben Mastarna geführt habe, unter die- sem nach Rom gezogen und dort auf dem caelischen Berge an- gesiedelt worden sei; wir dürfen die Nachricht für zuverlässig halten, wenn gleich der Zusatz, daſs dieser Mastarna in Rom König geworden sei unter dem Namen Servius Tullius, gewiſs nichts ist als eine unwahrscheinliche Vermuthung solcher Ar- chäologen, die mit dem Sagenparallelismus sich abgaben. Auf eine ähnliche Ansiedlung deutet das ‚Tuskerquartier‘ unter dem Palatin; beide Plätze, der caelische Berg wie das Tus- kerquartier liegen auſserhalb der vorservianischen Stadtmauer, was auf eine abhängige Stellung der Angesiedelten schlieſsen läſst. — Daſs das jüngste Königsgeschlecht, das über die Römer geherrscht hat, das der Tarquinier aus Etrurien ent- sprossen ist, leidet kaum einen Zweifel, sei es nun aus Tarquinii, sei es aus Caere, wo das Familiengrab der Tarch- nas vor kurzem aufgefunden worden ist; auch der Name Tanaquil oder Tanchvil ist in Etrurien gemein. Allein mit dieser vereinzelten Thatsache, daſs zuletzt ein Geschlecht tus- kischer Abkunft in Rom geherrscht hat, ist wenig zu machen bei dem völligen Untergang der geschichtlichen Kette der Er- eignisse; denn die überlieferte Erzählung, wonach Tarquinius der Sohn eines aus Korinth nach Tarquinii übergesiedelten Griechen und in Rom als Metoeke eingewandert sei, ist weder Geschichte noch Sage, und wenn ein gesunder Kern darin liegt, so kann es nur der sein, daſs die Herrschaft eines Mannes tuskischer Herkunft über Rom keineswegs als eine Herrschaft der Tusker oder einer tuskischen Gemeinde über <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0099" n="85"/><fw place="top" type="header">DIE ETRUSKER.</fw><lb/> Periode angehört, andrerseits sind die Spuren des Vordringens<lb/> der Etrusker über die Tiber hinaus auf dem Landweg keines-<lb/> wegs sicher. In dem groſsen Barbarenheer, das im Jahre der<lb/> Stadt 234 unter den Mauern von Kumae vernichtet ward,<lb/> werden die Etrusker an erster Stelle genannt; indeſs selbst<lb/> wenn man diese Nachricht als durchaus glaubwürdig ansieht,<lb/> betrifft sie mehr einen Plünderungs- als einen Eroberungszug,<lb/> und was die Hauptsache ist, wir finden in geschichtlicher<lb/> Zeit südwärts von der Tiber keine etruskische Bevölkerung<lb/> mit Ausnahme der campanischen Ansiedlungen, die wahr-<lb/> scheinlich nicht auf dem Landweg gegründet sind. — Was<lb/> die Uebersiedlungen etruskischer Gemeinschaften nach Rom an-<lb/> langt, so findet sich ein vereinzelter aus tuskischen Annalen<lb/> gezogener Bericht, daſs die Ueberreste einer tuskischen Schaar,<lb/> welche Caelius Vivenna von Volsinii und nach dessen Untergang<lb/> der treue Genosse desselben Mastarna geführt habe, unter die-<lb/> sem nach Rom gezogen und dort auf dem caelischen Berge an-<lb/> gesiedelt worden sei; wir dürfen die Nachricht für zuverlässig<lb/> halten, wenn gleich der Zusatz, daſs dieser Mastarna in Rom<lb/> König geworden sei unter dem Namen Servius Tullius, gewiſs<lb/> nichts ist als eine unwahrscheinliche Vermuthung solcher Ar-<lb/> chäologen, die mit dem Sagenparallelismus sich abgaben. Auf<lb/> eine ähnliche Ansiedlung deutet das ‚Tuskerquartier‘ unter<lb/> dem Palatin; beide Plätze, der caelische Berg wie das Tus-<lb/> kerquartier liegen auſserhalb der vorservianischen Stadtmauer,<lb/> was auf eine abhängige Stellung der Angesiedelten schlieſsen<lb/> läſst. — Daſs das jüngste Königsgeschlecht, das über die<lb/> Römer geherrscht hat, das der Tarquinier aus Etrurien ent-<lb/> sprossen ist, leidet kaum einen Zweifel, sei es nun aus<lb/> Tarquinii, sei es aus Caere, wo das Familiengrab der Tarch-<lb/> nas vor kurzem aufgefunden worden ist; auch der Name<lb/> Tanaquil oder Tanchvil ist in Etrurien gemein. Allein mit<lb/> dieser vereinzelten Thatsache, daſs zuletzt ein Geschlecht tus-<lb/> kischer Abkunft in Rom geherrscht hat, ist wenig zu machen<lb/> bei dem völligen Untergang der geschichtlichen Kette der Er-<lb/> eignisse; denn die überlieferte Erzählung, wonach Tarquinius<lb/> der Sohn eines aus Korinth nach Tarquinii übergesiedelten<lb/> Griechen und in Rom als Metoeke eingewandert sei, ist weder<lb/> Geschichte noch Sage, und wenn ein gesunder Kern darin<lb/> liegt, so kann es nur der sein, daſs die Herrschaft eines<lb/> Mannes tuskischer Herkunft über Rom keineswegs als eine<lb/> Herrschaft der Tusker oder einer tuskischen Gemeinde über<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [85/0099]
DIE ETRUSKER.
Periode angehört, andrerseits sind die Spuren des Vordringens
der Etrusker über die Tiber hinaus auf dem Landweg keines-
wegs sicher. In dem groſsen Barbarenheer, das im Jahre der
Stadt 234 unter den Mauern von Kumae vernichtet ward,
werden die Etrusker an erster Stelle genannt; indeſs selbst
wenn man diese Nachricht als durchaus glaubwürdig ansieht,
betrifft sie mehr einen Plünderungs- als einen Eroberungszug,
und was die Hauptsache ist, wir finden in geschichtlicher
Zeit südwärts von der Tiber keine etruskische Bevölkerung
mit Ausnahme der campanischen Ansiedlungen, die wahr-
scheinlich nicht auf dem Landweg gegründet sind. — Was
die Uebersiedlungen etruskischer Gemeinschaften nach Rom an-
langt, so findet sich ein vereinzelter aus tuskischen Annalen
gezogener Bericht, daſs die Ueberreste einer tuskischen Schaar,
welche Caelius Vivenna von Volsinii und nach dessen Untergang
der treue Genosse desselben Mastarna geführt habe, unter die-
sem nach Rom gezogen und dort auf dem caelischen Berge an-
gesiedelt worden sei; wir dürfen die Nachricht für zuverlässig
halten, wenn gleich der Zusatz, daſs dieser Mastarna in Rom
König geworden sei unter dem Namen Servius Tullius, gewiſs
nichts ist als eine unwahrscheinliche Vermuthung solcher Ar-
chäologen, die mit dem Sagenparallelismus sich abgaben. Auf
eine ähnliche Ansiedlung deutet das ‚Tuskerquartier‘ unter
dem Palatin; beide Plätze, der caelische Berg wie das Tus-
kerquartier liegen auſserhalb der vorservianischen Stadtmauer,
was auf eine abhängige Stellung der Angesiedelten schlieſsen
läſst. — Daſs das jüngste Königsgeschlecht, das über die
Römer geherrscht hat, das der Tarquinier aus Etrurien ent-
sprossen ist, leidet kaum einen Zweifel, sei es nun aus
Tarquinii, sei es aus Caere, wo das Familiengrab der Tarch-
nas vor kurzem aufgefunden worden ist; auch der Name
Tanaquil oder Tanchvil ist in Etrurien gemein. Allein mit
dieser vereinzelten Thatsache, daſs zuletzt ein Geschlecht tus-
kischer Abkunft in Rom geherrscht hat, ist wenig zu machen
bei dem völligen Untergang der geschichtlichen Kette der Er-
eignisse; denn die überlieferte Erzählung, wonach Tarquinius
der Sohn eines aus Korinth nach Tarquinii übergesiedelten
Griechen und in Rom als Metoeke eingewandert sei, ist weder
Geschichte noch Sage, und wenn ein gesunder Kern darin
liegt, so kann es nur der sein, daſs die Herrschaft eines
Mannes tuskischer Herkunft über Rom keineswegs als eine
Herrschaft der Tusker oder einer tuskischen Gemeinde über
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |