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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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ERSTES BUCH. KAPITEL VI.
selbst von einem gemeinschaftlichen Ahnherrn darthun können,
aber nicht mehr vollständig die Zwischenglieder, also nicht den
Grad. Sehr klar spricht sich das in den römischen Namen
aus; wenn es heisst: ,Marcus, Sohn des Marcus, Enkel des
Marcus und so weiter, der Marcier', so reicht die Familie so
weit, als die Ascendenten individuell bezeichnet werden und
wo dies aufhört, tritt ergänzend ein das Geschlecht, die Ab-
stammung von dem gemeinschaftlichen Urahn, der auf alle
seine Nachkommen den Namen der Marcuskinder vererbt hat.

Neben diesen streng geschlossenen unter der Gewalt
eines lebenden Herrn vereinigten oder aus der Auflösung
solcher Häuser hervorgegangenen Familien- und Geschlechts-
einheiten standen die freien Leute, die entweder als Gäste
für kürzere oder längere, auch wohl für Lebenszeit im Hause
verweilten, oder die früher als Knechte darin gelebt hatten
und von dem Herrn mit der Freiheit waren beschenkt worden.
Dies Verhältniss war nicht, wie das des Herrn zum Sclaven
oder des Vaters zum Sohne, ein rechtliches; der Gast wie der
Freigelassene war Familienhaupt und erkannte keinen über
sich als Herrn. Wohl aber forderte die Sitte, theils dass der
Hausherr die ihm zugewandten Leute schütze und vertrete,
theils dass sie den Hausherrn ehrten gleich dem Vater und
ihm willig gehorchten; davon heisst er der Ehrenvater (pa-
tronus
wie matrona, die der Mutter gleich zu ehrende Frau),
sie die Hörigen (clientes von cluere). Der Vater kann rechtlich
nicht klagen gegen den Sohn noch der Sohn gegen den Vater;
zwischen Patron und Clienten verbietet die Klage die Sitte,
welche dem Patron die Schutzpflicht, dem Clienten Ehrerbie-
tung befiehlt. Regelmässige vermögensrechtliche Folgen hat
dies Verhältniss nicht; wohl aber werden in allen ausser-
ordentlichen Fällen, die den Patron zu Ehren- oder Nothaus-
gaben zwingen, die Clienten zur Beisteuer aufgefordert, und
ebenso natürlich ist es, dass wenn der Gast oder der Frei-
gelassene starb ohne eigene Erben, seine Habe dem Schutz-
herrn zufiel, der nach den Seinigen ihm der Nächste war.

Auf diesem römischen Hause beruht der römische Staat
sowohl den Elementen als der Form nach. Die Volksgemeinde
entstand aus der wie immer erfolgten Zusammenfügung jener
alten Geschlechtsgenossenschaften der Romilier, Voltinier, Fa-
bier und so ferner, das römische Gebiet aus den vereinigten
Marken dieser Geschlechter. Römischer Bürger war, wer
einem jener Geschlechter angehörte; desshalb nannten sich

ERSTES BUCH. KAPITEL VI.
selbst von einem gemeinschaftlichen Ahnherrn darthun können,
aber nicht mehr vollständig die Zwischenglieder, also nicht den
Grad. Sehr klar spricht sich das in den römischen Namen
aus; wenn es heiſst: ‚Marcus, Sohn des Marcus, Enkel des
Marcus und so weiter, der Marcier‘, so reicht die Familie so
weit, als die Ascendenten individuell bezeichnet werden und
wo dies aufhört, tritt ergänzend ein das Geschlecht, die Ab-
stammung von dem gemeinschaftlichen Urahn, der auf alle
seine Nachkommen den Namen der Marcuskinder vererbt hat.

Neben diesen streng geschlossenen unter der Gewalt
eines lebenden Herrn vereinigten oder aus der Auflösung
solcher Häuser hervorgegangenen Familien- und Geschlechts-
einheiten standen die freien Leute, die entweder als Gäste
für kürzere oder längere, auch wohl für Lebenszeit im Hause
verweilten, oder die früher als Knechte darin gelebt hatten
und von dem Herrn mit der Freiheit waren beschenkt worden.
Dies Verhältniſs war nicht, wie das des Herrn zum Sclaven
oder des Vaters zum Sohne, ein rechtliches; der Gast wie der
Freigelassene war Familienhaupt und erkannte keinen über
sich als Herrn. Wohl aber forderte die Sitte, theils daſs der
Hausherr die ihm zugewandten Leute schütze und vertrete,
theils daſs sie den Hausherrn ehrten gleich dem Vater und
ihm willig gehorchten; davon heiſst er der Ehrenvater (pa-
tronus
wie matrona, die der Mutter gleich zu ehrende Frau),
sie die Hörigen (clientes von cluere). Der Vater kann rechtlich
nicht klagen gegen den Sohn noch der Sohn gegen den Vater;
zwischen Patron und Clienten verbietet die Klage die Sitte,
welche dem Patron die Schutzpflicht, dem Clienten Ehrerbie-
tung befiehlt. Regelmäſsige vermögensrechtliche Folgen hat
dies Verhältniſs nicht; wohl aber werden in allen auſser-
ordentlichen Fällen, die den Patron zu Ehren- oder Nothaus-
gaben zwingen, die Clienten zur Beisteuer aufgefordert, und
ebenso natürlich ist es, daſs wenn der Gast oder der Frei-
gelassene starb ohne eigene Erben, seine Habe dem Schutz-
herrn zufiel, der nach den Seinigen ihm der Nächste war.

Auf diesem römischen Hause beruht der römische Staat
sowohl den Elementen als der Form nach. Die Volksgemeinde
entstand aus der wie immer erfolgten Zusammenfügung jener
alten Geschlechtsgenossenschaften der Romilier, Voltinier, Fa-
bier und so ferner, das römische Gebiet aus den vereinigten
Marken dieser Geschlechter. Römischer Bürger war, wer
einem jener Geschlechter angehörte; deſshalb nannten sich

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[52/0066] ERSTES BUCH. KAPITEL VI. selbst von einem gemeinschaftlichen Ahnherrn darthun können, aber nicht mehr vollständig die Zwischenglieder, also nicht den Grad. Sehr klar spricht sich das in den römischen Namen aus; wenn es heiſst: ‚Marcus, Sohn des Marcus, Enkel des Marcus und so weiter, der Marcier‘, so reicht die Familie so weit, als die Ascendenten individuell bezeichnet werden und wo dies aufhört, tritt ergänzend ein das Geschlecht, die Ab- stammung von dem gemeinschaftlichen Urahn, der auf alle seine Nachkommen den Namen der Marcuskinder vererbt hat. Neben diesen streng geschlossenen unter der Gewalt eines lebenden Herrn vereinigten oder aus der Auflösung solcher Häuser hervorgegangenen Familien- und Geschlechts- einheiten standen die freien Leute, die entweder als Gäste für kürzere oder längere, auch wohl für Lebenszeit im Hause verweilten, oder die früher als Knechte darin gelebt hatten und von dem Herrn mit der Freiheit waren beschenkt worden. Dies Verhältniſs war nicht, wie das des Herrn zum Sclaven oder des Vaters zum Sohne, ein rechtliches; der Gast wie der Freigelassene war Familienhaupt und erkannte keinen über sich als Herrn. Wohl aber forderte die Sitte, theils daſs der Hausherr die ihm zugewandten Leute schütze und vertrete, theils daſs sie den Hausherrn ehrten gleich dem Vater und ihm willig gehorchten; davon heiſst er der Ehrenvater (pa- tronus wie matrona, die der Mutter gleich zu ehrende Frau), sie die Hörigen (clientes von cluere). Der Vater kann rechtlich nicht klagen gegen den Sohn noch der Sohn gegen den Vater; zwischen Patron und Clienten verbietet die Klage die Sitte, welche dem Patron die Schutzpflicht, dem Clienten Ehrerbie- tung befiehlt. Regelmäſsige vermögensrechtliche Folgen hat dies Verhältniſs nicht; wohl aber werden in allen auſser- ordentlichen Fällen, die den Patron zu Ehren- oder Nothaus- gaben zwingen, die Clienten zur Beisteuer aufgefordert, und ebenso natürlich ist es, daſs wenn der Gast oder der Frei- gelassene starb ohne eigene Erben, seine Habe dem Schutz- herrn zufiel, der nach den Seinigen ihm der Nächste war. Auf diesem römischen Hause beruht der römische Staat sowohl den Elementen als der Form nach. Die Volksgemeinde entstand aus der wie immer erfolgten Zusammenfügung jener alten Geschlechtsgenossenschaften der Romilier, Voltinier, Fa- bier und so ferner, das römische Gebiet aus den vereinigten Marken dieser Geschlechter. Römischer Bürger war, wer einem jener Geschlechter angehörte; deſshalb nannten sich

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/66>, abgerufen am 22.11.2024.