Landvogtspielen den römischen Beamtenstand demoralisiren musste, ist schon in einem andern Zusammenhang angedeutet worden; derselbe Mann, der heute im Ausland eine gesetz- liche Militärtyrannis geführt hatte, konnte unmöglich sich wieder zurückfinden in die bürgerliche Gemeinschaft, die wohl Befehlende und Gehorchende, aber nicht Herren und Knechte unterschied. Wo man den Blick auch hinwendet, klaffen in dem alten Bau Risse und Spalten; es ist nur eine Zeitfrage, wann er stürzen wird, und was die Hauptsache ist, nirgends gewahrt man die Vorbereitungen zu einem ernstlichen und ehrlichen Neubau.
Endlich das Familienleben und die Sittenzucht sind gleich- falls im Sinken. In den vornehmsten Häusern kamen ent- setzliche Verbrechen vor; in denen zum Beispiel der Calpur- ner und der Fulvier ward der Vater ermordet von der Mutter um dem Sohn Platz zu machen für das Consulat; Pläne ka- men zur Anzeige die Hauptstadt an allen Ecken anzuzünden. Die Familienbande erschlafften; die Ehelosigkeit ward immer häufiger -- schon 520 suchten die Censoren ihr entgegen zu wirken --, ebenso die Geldheirathen und die Ehescheidungen. Aber nichts ist so auffallend wie die beginnende Emancipation der Frauen zunächst in ökonomischer, demnächst auch in anderen Beziehungen. Die alte Sitte der Römer stellte die verheiratheten Frauen unter die eheherrliche Gewalt, die der väterlichen durchaus gleich war, die unverheiratheten unter die ihrer nächsten Verwandten, die der väterlichen nahe kam; allein es ward immer gewöhnlicher die Ehe einzugehen ohne Uebertragung der eheherrlichen Vormundschaft an den Mann und der Frau dabei die vermögensrechtliche Selbstständigkeit zu wahren, die Vogtschaft der Verwandten aber durch Schein- ehen zu sprengen. Wie bedenklich die Anzahl der reichen und selbstständigen Frauen der Regierung erschien, zeigt das exorbitante Gesetz vom Jahre 585, das die Erbeinsetzung der Frauen überhaupt verbot, und die Erstreckung dieses Satzes durch die Praxis auf die wichtigsten Fälle der Collateralerb- schaften, die ohne Testament an Frauen fielen. Aber auch in öffentlichen Dingen fingen die Frauen an einen Willen zu haben und ,die Herrscher der Welt zu beherrschen', wie Cato sagte, der in seiner Rede über die Mitgiften vergeblich an die guten alten Zeiten erinnerte, da die Frau dem Mann unter- than war und ihm Busse thun musste für den Ehebruch wie für das Weintrinken. Schon erhoben sich in den Provinzen
Röm. Gesch. I. 41
VERFASSUNG UND INNERE VERHAELTNISSE.
Landvogtspielen den römischen Beamtenstand demoralisiren muſste, ist schon in einem andern Zusammenhang angedeutet worden; derselbe Mann, der heute im Ausland eine gesetz- liche Militärtyrannis geführt hatte, konnte unmöglich sich wieder zurückfinden in die bürgerliche Gemeinschaft, die wohl Befehlende und Gehorchende, aber nicht Herren und Knechte unterschied. Wo man den Blick auch hinwendet, klaffen in dem alten Bau Risse und Spalten; es ist nur eine Zeitfrage, wann er stürzen wird, und was die Hauptsache ist, nirgends gewahrt man die Vorbereitungen zu einem ernstlichen und ehrlichen Neubau.
Endlich das Familienleben und die Sittenzucht sind gleich- falls im Sinken. In den vornehmsten Häusern kamen ent- setzliche Verbrechen vor; in denen zum Beispiel der Calpur- ner und der Fulvier ward der Vater ermordet von der Mutter um dem Sohn Platz zu machen für das Consulat; Pläne ka- men zur Anzeige die Hauptstadt an allen Ecken anzuzünden. Die Familienbande erschlafften; die Ehelosigkeit ward immer häufiger — schon 520 suchten die Censoren ihr entgegen zu wirken —, ebenso die Geldheirathen und die Ehescheidungen. Aber nichts ist so auffallend wie die beginnende Emancipation der Frauen zunächst in ökonomischer, demnächst auch in anderen Beziehungen. Die alte Sitte der Römer stellte die verheiratheten Frauen unter die eheherrliche Gewalt, die der väterlichen durchaus gleich war, die unverheiratheten unter die ihrer nächsten Verwandten, die der väterlichen nahe kam; allein es ward immer gewöhnlicher die Ehe einzugehen ohne Uebertragung der eheherrlichen Vormundschaft an den Mann und der Frau dabei die vermögensrechtliche Selbstständigkeit zu wahren, die Vogtschaft der Verwandten aber durch Schein- ehen zu sprengen. Wie bedenklich die Anzahl der reichen und selbstständigen Frauen der Regierung erschien, zeigt das exorbitante Gesetz vom Jahre 585, das die Erbeinsetzung der Frauen überhaupt verbot, und die Erstreckung dieses Satzes durch die Praxis auf die wichtigsten Fälle der Collateralerb- schaften, die ohne Testament an Frauen fielen. Aber auch in öffentlichen Dingen fingen die Frauen an einen Willen zu haben und ‚die Herrscher der Welt zu beherrschen‘, wie Cato sagte, der in seiner Rede über die Mitgiften vergeblich an die guten alten Zeiten erinnerte, da die Frau dem Mann unter- than war und ihm Buſse thun muſste für den Ehebruch wie für das Weintrinken. Schon erhoben sich in den Provinzen
Röm. Gesch. I. 41
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VERFASSUNG UND INNERE VERHAELTNISSE.
Landvogtspielen den römischen Beamtenstand demoralisiren
muſste, ist schon in einem andern Zusammenhang angedeutet
worden; derselbe Mann, der heute im Ausland eine gesetz-
liche Militärtyrannis geführt hatte, konnte unmöglich sich
wieder zurückfinden in die bürgerliche Gemeinschaft, die wohl
Befehlende und Gehorchende, aber nicht Herren und Knechte
unterschied. Wo man den Blick auch hinwendet, klaffen in
dem alten Bau Risse und Spalten; es ist nur eine Zeitfrage,
wann er stürzen wird, und was die Hauptsache ist, nirgends
gewahrt man die Vorbereitungen zu einem ernstlichen und
ehrlichen Neubau.
Endlich das Familienleben und die Sittenzucht sind gleich-
falls im Sinken. In den vornehmsten Häusern kamen ent-
setzliche Verbrechen vor; in denen zum Beispiel der Calpur-
ner und der Fulvier ward der Vater ermordet von der Mutter
um dem Sohn Platz zu machen für das Consulat; Pläne ka-
men zur Anzeige die Hauptstadt an allen Ecken anzuzünden.
Die Familienbande erschlafften; die Ehelosigkeit ward immer
häufiger — schon 520 suchten die Censoren ihr entgegen zu
wirken —, ebenso die Geldheirathen und die Ehescheidungen.
Aber nichts ist so auffallend wie die beginnende Emancipation
der Frauen zunächst in ökonomischer, demnächst auch in
anderen Beziehungen. Die alte Sitte der Römer stellte die
verheiratheten Frauen unter die eheherrliche Gewalt, die der
väterlichen durchaus gleich war, die unverheiratheten unter die
ihrer nächsten Verwandten, die der väterlichen nahe kam;
allein es ward immer gewöhnlicher die Ehe einzugehen ohne
Uebertragung der eheherrlichen Vormundschaft an den Mann
und der Frau dabei die vermögensrechtliche Selbstständigkeit zu
wahren, die Vogtschaft der Verwandten aber durch Schein-
ehen zu sprengen. Wie bedenklich die Anzahl der reichen
und selbstständigen Frauen der Regierung erschien, zeigt das
exorbitante Gesetz vom Jahre 585, das die Erbeinsetzung der
Frauen überhaupt verbot, und die Erstreckung dieses Satzes
durch die Praxis auf die wichtigsten Fälle der Collateralerb-
schaften, die ohne Testament an Frauen fielen. Aber auch in
öffentlichen Dingen fingen die Frauen an einen Willen zu
haben und ‚die Herrscher der Welt zu beherrschen‘, wie Cato
sagte, der in seiner Rede über die Mitgiften vergeblich an die
guten alten Zeiten erinnerte, da die Frau dem Mann unter-
than war und ihm Buſse thun muſste für den Ehebruch wie
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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 641. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/655>, abgerufen am 22.11.2024.
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