Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.DRITTES BUCH. KAPITEL XI. da die Männer der popularen Partei noch nicht genau wuss-ten was sie wollten und mehr für den Fortschritt im Allge- meinen, als für ein bestimmtes Parteiprogramm, mehr um einzelne Massregeln der Regierung abzuzwingen als um die Verfassung umzustürzen sprachen und handelten; allein der gegenwärtige Uebelstand und die künftige Gefahr waren gross genug um eine Reform dringend zu erheischen und der han- nibalische Krieg vor allem hatte die Nothwendigkeit einer tapferen Verbesserung der Verfassung wahrlich klar genug dargethan. Indess die conservative Partei machte nicht einmal einen Versuch in dieser Richtung, sondern liess die Dinge eben gehen und bereitete, sei es durch ihre Kurzsichtigkeit, sei es durch ihre Feigheit, den Nachkommen eine böse Zeit; indem der Acker nicht rechtzeitig umgebrochen ward, säeten Unkraut auch die es nicht wollten. Den späteren Geschlech- tern, die die Stürme der Revolution erlebten, erschien die Zeit nach dem hannibalischen Kriege als die goldene Roms und Cato als das Muster des römischen Staatsmannes. Es war vielmehr die Windstille vor dem Sturm und die Epoche der politischen Mittelmässigkeiten, eine Zeit wie die des wal- poleschen Regiments in England; und es trat in Rom kein Chatham auf, der die stockenden Adern der Nation in frische Wallung gebracht hätte. Die Stabilität der Verfassung war hier wie überall ein Zeichen nicht der Gesundheit des Staats, sondern der beginnenden Erkrankung und der Vorbote einer Revolution. In demselben Geiste gestalteten sich die Verhältnisse zu DRITTES BUCH. KAPITEL XI. da die Männer der popularen Partei noch nicht genau wuſs-ten was sie wollten und mehr für den Fortschritt im Allge- meinen, als für ein bestimmtes Parteiprogramm, mehr um einzelne Maſsregeln der Regierung abzuzwingen als um die Verfassung umzustürzen sprachen und handelten; allein der gegenwärtige Uebelstand und die künftige Gefahr waren groſs genug um eine Reform dringend zu erheischen und der han- nibalische Krieg vor allem hatte die Nothwendigkeit einer tapferen Verbesserung der Verfassung wahrlich klar genug dargethan. Indeſs die conservative Partei machte nicht einmal einen Versuch in dieser Richtung, sondern lieſs die Dinge eben gehen und bereitete, sei es durch ihre Kurzsichtigkeit, sei es durch ihre Feigheit, den Nachkommen eine böse Zeit; indem der Acker nicht rechtzeitig umgebrochen ward, säeten Unkraut auch die es nicht wollten. Den späteren Geschlech- tern, die die Stürme der Revolution erlebten, erschien die Zeit nach dem hannibalischen Kriege als die goldene Roms und Cato als das Muster des römischen Staatsmannes. Es war vielmehr die Windstille vor dem Sturm und die Epoche der politischen Mittelmäſsigkeiten, eine Zeit wie die des wal- poleschen Regiments in England; und es trat in Rom kein Chatham auf, der die stockenden Adern der Nation in frische Wallung gebracht hätte. Die Stabilität der Verfassung war hier wie überall ein Zeichen nicht der Gesundheit des Staats, sondern der beginnenden Erkrankung und der Vorbote einer Revolution. In demselben Geiste gestalteten sich die Verhältnisse zu <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0622" n="608"/><fw place="top" type="header">DRITTES BUCH. 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Die römische Eidgenos-<lb/> senschaft bestand zu Anfang dieser Periode aus Vollbürgern,<lb/> Passivbürgern ohne Stimmrecht und Bundesgenossen sehr ver-<lb/> schiedenen Rechtes, unter denen die Städte in Latium, soweit<lb/> sie nicht bereits in die römische Bürgerschaft eingetreten<lb/> waren, und die von Rom gegründeten föderirten Städte, die<lb/> sogenannten latinischen Colonien, die wichtigste und bevor-<lb/> zugteste Klasse ausmachten. Von diesen drei Klassen wurde<lb/> die zweite insofern abgeschafft, als alle Stadtgemeinden mit<lb/> Passivbürgerrecht entweder ganz aufgelöst wurden, wie in<lb/> Folge des hannibalischen Krieges auſser andern namentlich<lb/> Capua, oder das Vollbürgerrecht empfingen, das im Laufe des<lb/> sechsten Jahrhunderts Roms den übrigen Halbbürgergemeinden<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [608/0622]
DRITTES BUCH. KAPITEL XI.
da die Männer der popularen Partei noch nicht genau wuſs-
ten was sie wollten und mehr für den Fortschritt im Allge-
meinen, als für ein bestimmtes Parteiprogramm, mehr um
einzelne Maſsregeln der Regierung abzuzwingen als um die
Verfassung umzustürzen sprachen und handelten; allein der
gegenwärtige Uebelstand und die künftige Gefahr waren groſs
genug um eine Reform dringend zu erheischen und der han-
nibalische Krieg vor allem hatte die Nothwendigkeit einer
tapferen Verbesserung der Verfassung wahrlich klar genug
dargethan. Indeſs die conservative Partei machte nicht einmal
einen Versuch in dieser Richtung, sondern lieſs die Dinge
eben gehen und bereitete, sei es durch ihre Kurzsichtigkeit,
sei es durch ihre Feigheit, den Nachkommen eine böse Zeit;
indem der Acker nicht rechtzeitig umgebrochen ward, säeten
Unkraut auch die es nicht wollten. Den späteren Geschlech-
tern, die die Stürme der Revolution erlebten, erschien die
Zeit nach dem hannibalischen Kriege als die goldene Roms
und Cato als das Muster des römischen Staatsmannes. Es
war vielmehr die Windstille vor dem Sturm und die Epoche
der politischen Mittelmäſsigkeiten, eine Zeit wie die des wal-
poleschen Regiments in England; und es trat in Rom kein
Chatham auf, der die stockenden Adern der Nation in frische
Wallung gebracht hätte. Die Stabilität der Verfassung war
hier wie überall ein Zeichen nicht der Gesundheit des Staats,
sondern der beginnenden Erkrankung und der Vorbote einer
Revolution.
In demselben Geiste gestalteten sich die Verhältnisse zu
der italischen Eidgenossenschaft in dieser Epoche allmählich
um; die wichtigsten Veränderungen sind gleichfalls mehr that-
sächliche als rechtliche Neuerungen. Die römische Eidgenos-
senschaft bestand zu Anfang dieser Periode aus Vollbürgern,
Passivbürgern ohne Stimmrecht und Bundesgenossen sehr ver-
schiedenen Rechtes, unter denen die Städte in Latium, soweit
sie nicht bereits in die römische Bürgerschaft eingetreten
waren, und die von Rom gegründeten föderirten Städte, die
sogenannten latinischen Colonien, die wichtigste und bevor-
zugteste Klasse ausmachten. Von diesen drei Klassen wurde
die zweite insofern abgeschafft, als alle Stadtgemeinden mit
Passivbürgerrecht entweder ganz aufgelöst wurden, wie in
Folge des hannibalischen Krieges auſser andern namentlich
Capua, oder das Vollbürgerrecht empfingen, das im Laufe des
sechsten Jahrhunderts Roms den übrigen Halbbürgergemeinden
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