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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DER DRITTE MAKEDONISCHE KRIEG.
zunächst eine Wiederaufnahme der Samnitenkriege nicht gerade
wahrscheinlich sei. Die nächtlichen Conferenzen makedoni-
scher Abgeordneten mit dem karthagischen Senat, die Massi-
nissa in Rom denuncirte, konnten gleichfalls ernsthafte und
einsichtige Männer nicht erschrecken, selbst wenn sie nicht,
wie es sehr möglich ist, völlig erfunden waren. Die Könige
von Syrien und Bithynien suchte der makedonische Hof durch
Zwischenheirathen in das makedonische Interesse zu ziehen;
allein es kam dabei weiter nichts heraus, als dass die un-
sterbliche Naivetät der Diplomatie die Länder mit Liebschaften
erobern zu wollen sich einmal mehr prostituirte. Den König
Eumenes, den gewinnen zu wollen lächerlich gewesen wäre,
hätten Perseus Agenten gern beseitigt; er sollte auf der
Rückkehr von Rom, wo er gegen Makedonien gewirkt hatte,
bei Delphoi ermordet werden, allein der saubere Plan miss-
lang. -- Von grösserer Bedeutung waren die Bestrebungen die
nördlichen Barbaren und die Hellenen gegen Rom aufzuwie-
geln. Philippos hatte den Plan entworfen, die alten Feinde
Makedoniens, die Dardaner in dem heutigen Serbien, zu er-
drücken durch einen anderen vom linken Ufer der Donau her-
beigezogenen noch wilderen Schwarm germanischer Abstam-
mung, den der Bastarner, sodann mit diesen und der ganzen
von ihnen in Bewegung gesetzten Völkerlawine selbst nach
Italien auf dem Landweg zu ziehen und in die Lombardei
einzufallen, wohin er die Alpenpässe bereits erkunden liess --
ein grossartiger Hannibals würdiger Entwurf, welchen auch
ohne Zweifel Hannibals Alpenübergang unmittelbar angeregt
hat. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass hiemit die Grün-
dung der römischen Festung Aquileia zusammenhängt, die
eben in Philippos letzte Zeit fällt (573) und nicht passt zu dem
sonst von den Römern in ihren italischen Festungsanlagen
befolgten System. Der Plan scheiterte indess an dem verzwei-
felten Widerstand der Dardaner und der mitbetroffenen nächst-
wohnenden Völkerschaften; die Bastarner mussten wieder ab-
ziehen und der ganze Haufen ertrank auf der Heimkehr unter
dem einbrechenden Eise der Donau. Der König suchte nun
wenigstens unter den Häuptlingen des illyrischen Landes, des
heutigen Dalmatiens und des nördlichen Albaniens, seine Clien-
tel auszubreiten; nicht ohne Perseus Vorwissen kam einer
derselben, der treulich zu Rom hielt, Arthetauros durch Mör-
derhand um, und der bedeutendste von allen, Genthios, der
Sohn und Erbe des Pleuratos, stand zwar dem Namen nach

Röm. Gesch. I. 37

DER DRITTE MAKEDONISCHE KRIEG.
zunächst eine Wiederaufnahme der Samnitenkriege nicht gerade
wahrscheinlich sei. Die nächtlichen Conferenzen makedoni-
scher Abgeordneten mit dem karthagischen Senat, die Massi-
nissa in Rom denuncirte, konnten gleichfalls ernsthafte und
einsichtige Männer nicht erschrecken, selbst wenn sie nicht,
wie es sehr möglich ist, völlig erfunden waren. Die Könige
von Syrien und Bithynien suchte der makedonische Hof durch
Zwischenheirathen in das makedonische Interesse zu ziehen;
allein es kam dabei weiter nichts heraus, als daſs die un-
sterbliche Naivetät der Diplomatie die Länder mit Liebschaften
erobern zu wollen sich einmal mehr prostituirte. Den König
Eumenes, den gewinnen zu wollen lächerlich gewesen wäre,
hätten Perseus Agenten gern beseitigt; er sollte auf der
Rückkehr von Rom, wo er gegen Makedonien gewirkt hatte,
bei Delphoi ermordet werden, allein der saubere Plan miſs-
lang. — Von gröſserer Bedeutung waren die Bestrebungen die
nördlichen Barbaren und die Hellenen gegen Rom aufzuwie-
geln. Philippos hatte den Plan entworfen, die alten Feinde
Makedoniens, die Dardaner in dem heutigen Serbien, zu er-
drücken durch einen anderen vom linken Ufer der Donau her-
beigezogenen noch wilderen Schwarm germanischer Abstam-
mung, den der Bastarner, sodann mit diesen und der ganzen
von ihnen in Bewegung gesetzten Völkerlawine selbst nach
Italien auf dem Landweg zu ziehen und in die Lombardei
einzufallen, wohin er die Alpenpässe bereits erkunden lieſs —
ein groſsartiger Hannibals würdiger Entwurf, welchen auch
ohne Zweifel Hannibals Alpenübergang unmittelbar angeregt
hat. Es ist mehr als wahrscheinlich, daſs hiemit die Grün-
dung der römischen Festung Aquileia zusammenhängt, die
eben in Philippos letzte Zeit fällt (573) und nicht paſst zu dem
sonst von den Römern in ihren italischen Festungsanlagen
befolgten System. Der Plan scheiterte indeſs an dem verzwei-
felten Widerstand der Dardaner und der mitbetroffenen nächst-
wohnenden Völkerschaften; die Bastarner muſsten wieder ab-
ziehen und der ganze Haufen ertrank auf der Heimkehr unter
dem einbrechenden Eise der Donau. Der König suchte nun
wenigstens unter den Häuptlingen des illyrischen Landes, des
heutigen Dalmatiens und des nördlichen Albaniens, seine Clien-
tel auszubreiten; nicht ohne Perseus Vorwissen kam einer
derselben, der treulich zu Rom hielt, Arthetauros durch Mör-
derhand um, und der bedeutendste von allen, Genthios, der
Sohn und Erbe des Pleuratos, stand zwar dem Namen nach

Röm. Gesch. I. 37
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[577/0591] DER DRITTE MAKEDONISCHE KRIEG. zunächst eine Wiederaufnahme der Samnitenkriege nicht gerade wahrscheinlich sei. Die nächtlichen Conferenzen makedoni- scher Abgeordneten mit dem karthagischen Senat, die Massi- nissa in Rom denuncirte, konnten gleichfalls ernsthafte und einsichtige Männer nicht erschrecken, selbst wenn sie nicht, wie es sehr möglich ist, völlig erfunden waren. Die Könige von Syrien und Bithynien suchte der makedonische Hof durch Zwischenheirathen in das makedonische Interesse zu ziehen; allein es kam dabei weiter nichts heraus, als daſs die un- sterbliche Naivetät der Diplomatie die Länder mit Liebschaften erobern zu wollen sich einmal mehr prostituirte. Den König Eumenes, den gewinnen zu wollen lächerlich gewesen wäre, hätten Perseus Agenten gern beseitigt; er sollte auf der Rückkehr von Rom, wo er gegen Makedonien gewirkt hatte, bei Delphoi ermordet werden, allein der saubere Plan miſs- lang. — Von gröſserer Bedeutung waren die Bestrebungen die nördlichen Barbaren und die Hellenen gegen Rom aufzuwie- geln. Philippos hatte den Plan entworfen, die alten Feinde Makedoniens, die Dardaner in dem heutigen Serbien, zu er- drücken durch einen anderen vom linken Ufer der Donau her- beigezogenen noch wilderen Schwarm germanischer Abstam- mung, den der Bastarner, sodann mit diesen und der ganzen von ihnen in Bewegung gesetzten Völkerlawine selbst nach Italien auf dem Landweg zu ziehen und in die Lombardei einzufallen, wohin er die Alpenpässe bereits erkunden lieſs — ein groſsartiger Hannibals würdiger Entwurf, welchen auch ohne Zweifel Hannibals Alpenübergang unmittelbar angeregt hat. Es ist mehr als wahrscheinlich, daſs hiemit die Grün- dung der römischen Festung Aquileia zusammenhängt, die eben in Philippos letzte Zeit fällt (573) und nicht paſst zu dem sonst von den Römern in ihren italischen Festungsanlagen befolgten System. Der Plan scheiterte indeſs an dem verzwei- felten Widerstand der Dardaner und der mitbetroffenen nächst- wohnenden Völkerschaften; die Bastarner muſsten wieder ab- ziehen und der ganze Haufen ertrank auf der Heimkehr unter dem einbrechenden Eise der Donau. Der König suchte nun wenigstens unter den Häuptlingen des illyrischen Landes, des heutigen Dalmatiens und des nördlichen Albaniens, seine Clien- tel auszubreiten; nicht ohne Perseus Vorwissen kam einer derselben, der treulich zu Rom hielt, Arthetauros durch Mör- derhand um, und der bedeutendste von allen, Genthios, der Sohn und Erbe des Pleuratos, stand zwar dem Namen nach Röm. Gesch. I. 37

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 577. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/591>, abgerufen am 19.05.2024.