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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DER DRITTE MAKEDONISCHE KRIEG.
Nation auf den Prinzen, den sie an der Spitze ihrer Jugend
stehen und fechten zu sehen gewohnt war; und es schien in
der That nicht grundlos, dass seine Landsleute und viele Helle-
nen aller Stämme in ihm den rechten Feldherrn für den nahen-
den Befreiungskrieg gefunden zu haben meinten. Aber er war
nicht, was er schien; ihm fehlte Philipps Genialität und Philipps
Spannkraft, die wahrhaft königlichen Eigenschaften, die das
Glück verdunkelt und geschändet, aber die reinigende Macht
der Noth wieder zu Ehren gebracht hatte. Philippos liess sich
und die Dinge gehen, aber wenn es galt, fand er in sich die
Kraft zu raschem und ernstlichem Handeln. Perseus spann
weite und feine Pläne und verfolgte sie mit unermüdlicher
Beharrlichkeit; aber wenn die Stunde schlug und das was er
angelegt und vorbereitet hatte, ihm in der lebendigen Wirk-
lichkeit entgegentrat, erschrak er vor seinem eigenen Werke.
Wie es beschränkten Naturen eigen ist, ward ihm das Mittel
zum Zweck; er häufte Schätze auf Schätze auf für den Römer-
krieg und als die Römer im Lande standen, vermochte er
nicht von seinen Goldstücken sich zu trennen. Es ist be-
zeichnend, dass nach der Niederlage der Vater zuerst eilte
die compromittirenden Papiere in seinem Kabinet zu vernich-
ten, der Sohn dagegen seine Schätze nahm und sich ein-
schiffte. In gewöhnlichen Zeiten hätte er einen König vom
Dutzendschlag so gut und besser wie mancher Andere abgeben
können; aber er war nicht geschaffen ein Unternehmen zu
leiten, das von Haus aus verloren war, wenn nicht ein ausser-
ordentlicher Mann es beseelte.

Makedoniens Macht war nicht gering. Die Ergebenheit
des Landes gegen das Haus der Antigoniden war ungebrochen,
das Nationalgefühl hier allein nicht durch den Hader politi-
scher Parteien paralysirt. Den grossen Vortheil der monar-
chischen Verfassung, dass jeder Regierungswechsel den alten
Groll und Zank beseitigt und eine neue Aera anderer Men-
schen und frischer Hoffnungen mit sich führt, hatte der König
verständig benutzt und seine Regierung begonnen mit allge-
meiner Amnestie, mit Zurückberufung der flüchtigen Bankerot-
tirer und Erlass der rückständigen Steuern. Die gehässige
Härte des Vaters brachte also dem Sohn nicht bloss Vortheil,
sondern auch Liebe. Sechsundzwanzig Friedensjahre hatten
die Lücken in der makedonischen Bevölkerung theils von
selbst ausgefüllt, theils der Regierung gestattet hiefür als für
den eigentlichen wunden Fleck des Landes ernstliche Für-

DER DRITTE MAKEDONISCHE KRIEG.
Nation auf den Prinzen, den sie an der Spitze ihrer Jugend
stehen und fechten zu sehen gewohnt war; und es schien in
der That nicht grundlos, daſs seine Landsleute und viele Helle-
nen aller Stämme in ihm den rechten Feldherrn für den nahen-
den Befreiungskrieg gefunden zu haben meinten. Aber er war
nicht, was er schien; ihm fehlte Philipps Genialität und Philipps
Spannkraft, die wahrhaft königlichen Eigenschaften, die das
Glück verdunkelt und geschändet, aber die reinigende Macht
der Noth wieder zu Ehren gebracht hatte. Philippos lieſs sich
und die Dinge gehen, aber wenn es galt, fand er in sich die
Kraft zu raschem und ernstlichem Handeln. Perseus spann
weite und feine Pläne und verfolgte sie mit unermüdlicher
Beharrlichkeit; aber wenn die Stunde schlug und das was er
angelegt und vorbereitet hatte, ihm in der lebendigen Wirk-
lichkeit entgegentrat, erschrak er vor seinem eigenen Werke.
Wie es beschränkten Naturen eigen ist, ward ihm das Mittel
zum Zweck; er häufte Schätze auf Schätze auf für den Römer-
krieg und als die Römer im Lande standen, vermochte er
nicht von seinen Goldstücken sich zu trennen. Es ist be-
zeichnend, daſs nach der Niederlage der Vater zuerst eilte
die compromittirenden Papiere in seinem Kabinet zu vernich-
ten, der Sohn dagegen seine Schätze nahm und sich ein-
schiffte. In gewöhnlichen Zeiten hätte er einen König vom
Dutzendschlag so gut und besser wie mancher Andere abgeben
können; aber er war nicht geschaffen ein Unternehmen zu
leiten, das von Haus aus verloren war, wenn nicht ein auſser-
ordentlicher Mann es beseelte.

Makedoniens Macht war nicht gering. Die Ergebenheit
des Landes gegen das Haus der Antigoniden war ungebrochen,
das Nationalgefühl hier allein nicht durch den Hader politi-
scher Parteien paralysirt. Den groſsen Vortheil der monar-
chischen Verfassung, daſs jeder Regierungswechsel den alten
Groll und Zank beseitigt und eine neue Aera anderer Men-
schen und frischer Hoffnungen mit sich führt, hatte der König
verständig benutzt und seine Regierung begonnen mit allge-
meiner Amnestie, mit Zurückberufung der flüchtigen Bankerot-
tirer und Erlaſs der rückständigen Steuern. Die gehässige
Härte des Vaters brachte also dem Sohn nicht bloſs Vortheil,
sondern auch Liebe. Sechsundzwanzig Friedensjahre hatten
die Lücken in der makedonischen Bevölkerung theils von
selbst ausgefüllt, theils der Regierung gestattet hiefür als für
den eigentlichen wunden Fleck des Landes ernstliche Für-

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[575/0589] DER DRITTE MAKEDONISCHE KRIEG. Nation auf den Prinzen, den sie an der Spitze ihrer Jugend stehen und fechten zu sehen gewohnt war; und es schien in der That nicht grundlos, daſs seine Landsleute und viele Helle- nen aller Stämme in ihm den rechten Feldherrn für den nahen- den Befreiungskrieg gefunden zu haben meinten. Aber er war nicht, was er schien; ihm fehlte Philipps Genialität und Philipps Spannkraft, die wahrhaft königlichen Eigenschaften, die das Glück verdunkelt und geschändet, aber die reinigende Macht der Noth wieder zu Ehren gebracht hatte. Philippos lieſs sich und die Dinge gehen, aber wenn es galt, fand er in sich die Kraft zu raschem und ernstlichem Handeln. Perseus spann weite und feine Pläne und verfolgte sie mit unermüdlicher Beharrlichkeit; aber wenn die Stunde schlug und das was er angelegt und vorbereitet hatte, ihm in der lebendigen Wirk- lichkeit entgegentrat, erschrak er vor seinem eigenen Werke. Wie es beschränkten Naturen eigen ist, ward ihm das Mittel zum Zweck; er häufte Schätze auf Schätze auf für den Römer- krieg und als die Römer im Lande standen, vermochte er nicht von seinen Goldstücken sich zu trennen. Es ist be- zeichnend, daſs nach der Niederlage der Vater zuerst eilte die compromittirenden Papiere in seinem Kabinet zu vernich- ten, der Sohn dagegen seine Schätze nahm und sich ein- schiffte. In gewöhnlichen Zeiten hätte er einen König vom Dutzendschlag so gut und besser wie mancher Andere abgeben können; aber er war nicht geschaffen ein Unternehmen zu leiten, das von Haus aus verloren war, wenn nicht ein auſser- ordentlicher Mann es beseelte. Makedoniens Macht war nicht gering. Die Ergebenheit des Landes gegen das Haus der Antigoniden war ungebrochen, das Nationalgefühl hier allein nicht durch den Hader politi- scher Parteien paralysirt. Den groſsen Vortheil der monar- chischen Verfassung, daſs jeder Regierungswechsel den alten Groll und Zank beseitigt und eine neue Aera anderer Men- schen und frischer Hoffnungen mit sich führt, hatte der König verständig benutzt und seine Regierung begonnen mit allge- meiner Amnestie, mit Zurückberufung der flüchtigen Bankerot- tirer und Erlaſs der rückständigen Steuern. Die gehässige Härte des Vaters brachte also dem Sohn nicht bloſs Vortheil, sondern auch Liebe. Sechsundzwanzig Friedensjahre hatten die Lücken in der makedonischen Bevölkerung theils von selbst ausgefüllt, theils der Regierung gestattet hiefür als für den eigentlichen wunden Fleck des Landes ernstliche Für-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 575. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/589>, abgerufen am 19.05.2024.