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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DRITTES BUCH. KAPITEL VIII.
ständiger politischer Nullität herabgedrückt und ihm nur so
viel Macht gelassen war als es bedurfte um die Grenze zu
hüten, schritt man dazu über die vom König abgetretenen Be-
sitzungen zu verfügen. Die Römer, die eben damals in
Spanien erfuhren, dass die überseeischen Provinzen ein sehr
zweifelhafter Gewinn seien, und die überhaupt keineswegs des
Ländererwerbes wegen den Krieg begonnen hatten, nahmen
nichts von der Beute für sich und zwangen dadurch auch
ihre Bundesgenossen zur Mässigung. Sie beschlossen sämmt-
liche Staaten Griechenlands, die bisher unter Philippos ge-
standen, frei zu erklären; und Flamininus erhielt den Auftrag
das dessfällige Decret den zu den isthmischen Spielen ver-
sammelten Griechen zu verlesen (558). Der Jubel war gross
und mag aufrichtig gewesen sein wie die Absicht, in der der
Senat die Freiheit verlieh*, freilich mochte es auch nicht
fehlen an ernsthaften Männern, die fragten, ob die Freiheit
ein verschenkbares Gut sei und was Freiheit ohne Einigkeit
und Einheit der Nation bedeute. -- Ausgenommen waren von
dieser allgemeinen Massregel nur die illyrischen Landschaften
östlich von Epidamnos, die an den Herrn von Skodra Pleu-
ratos fielen und diesen ein Menschenalter zuvor von den Rö-
mern gedemüthigten Land- und Seeräuberstaat wieder zu der
mächtigsten unter all den kleinen Herrschaften in diesen Stri-
chen machten; ferner einige Ortschaften im westlichen Thes-
salien, die Amynander besetzt hatte und die man ihm liess,
und die drei Inseln Paros, Skyros und Imbros, welche Athen
für seine vielen Drangsale und seine noch zahlreicheren Dank-
adressen und Höflichkeiten aller Art zum Geschenk erhielt.
Dass die Rhodier ihre karischen Besitzungen behielten und
Aegina den Pergamenern blieb, versteht sich. Sonst ward nur
mittelbar den Bundesgenossen gelohnt durch den Zutritt der
neu befreiten Städte zu den verschiedenen Eidgenossenschaften.
Am besten wurden die Achaeer bedacht, die doch am späte-
sten der Coalition gegen Philippos beigetreten waren; wie es
scheint aus dem ehrenwerthen Grunde, dass dieser Bundes-
staat unter allen griechischen der geordnetste und ehrbarste
war. Die sämmtlichen Besitzungen Philipps auf dem Pelo-
ponnes und dem Isthmos, also namentlich Korinth, wurden

* Wir haben noch Goldstater mit dem Kopf des Flamininus und der
Inschrift ,T. Quincti', die zum Andenken an den siegreichen Befreier der
Hellenen in Griechenland geschlagen wurden. Der Gebrauch der lateini-
schen Sprache ist eine bezeichnende Artigkeit.

DRITTES BUCH. KAPITEL VIII.
ständiger politischer Nullität herabgedrückt und ihm nur so
viel Macht gelassen war als es bedurfte um die Grenze zu
hüten, schritt man dazu über die vom König abgetretenen Be-
sitzungen zu verfügen. Die Römer, die eben damals in
Spanien erfuhren, daſs die überseeischen Provinzen ein sehr
zweifelhafter Gewinn seien, und die überhaupt keineswegs des
Ländererwerbes wegen den Krieg begonnen hatten, nahmen
nichts von der Beute für sich und zwangen dadurch auch
ihre Bundesgenossen zur Mäſsigung. Sie beschlossen sämmt-
liche Staaten Griechenlands, die bisher unter Philippos ge-
standen, frei zu erklären; und Flamininus erhielt den Auftrag
das deſsfällige Decret den zu den isthmischen Spielen ver-
sammelten Griechen zu verlesen (558). Der Jubel war groſs
und mag aufrichtig gewesen sein wie die Absicht, in der der
Senat die Freiheit verlieh*, freilich mochte es auch nicht
fehlen an ernsthaften Männern, die fragten, ob die Freiheit
ein verschenkbares Gut sei und was Freiheit ohne Einigkeit
und Einheit der Nation bedeute. — Ausgenommen waren von
dieser allgemeinen Maſsregel nur die illyrischen Landschaften
östlich von Epidamnos, die an den Herrn von Skodra Pleu-
ratos fielen und diesen ein Menschenalter zuvor von den Rö-
mern gedemüthigten Land- und Seeräuberstaat wieder zu der
mächtigsten unter all den kleinen Herrschaften in diesen Stri-
chen machten; ferner einige Ortschaften im westlichen Thes-
salien, die Amynander besetzt hatte und die man ihm lieſs,
und die drei Inseln Paros, Skyros und Imbros, welche Athen
für seine vielen Drangsale und seine noch zahlreicheren Dank-
adressen und Höflichkeiten aller Art zum Geschenk erhielt.
Daſs die Rhodier ihre karischen Besitzungen behielten und
Aegina den Pergamenern blieb, versteht sich. Sonst ward nur
mittelbar den Bundesgenossen gelohnt durch den Zutritt der
neu befreiten Städte zu den verschiedenen Eidgenossenschaften.
Am besten wurden die Achaeer bedacht, die doch am späte-
sten der Coalition gegen Philippos beigetreten waren; wie es
scheint aus dem ehrenwerthen Grunde, daſs dieser Bundes-
staat unter allen griechischen der geordnetste und ehrbarste
war. Die sämmtlichen Besitzungen Philipps auf dem Pelo-
ponnes und dem Isthmos, also namentlich Korinth, wurden

* Wir haben noch Goldstater mit dem Kopf des Flamininus und der
Inschrift ‚T. Quincti‘, die zum Andenken an den siegreichen Befreier der
Hellenen in Griechenland geschlagen wurden. Der Gebrauch der lateini-
schen Sprache ist eine bezeichnende Artigkeit.
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[534/0548] DRITTES BUCH. KAPITEL VIII. ständiger politischer Nullität herabgedrückt und ihm nur so viel Macht gelassen war als es bedurfte um die Grenze zu hüten, schritt man dazu über die vom König abgetretenen Be- sitzungen zu verfügen. Die Römer, die eben damals in Spanien erfuhren, daſs die überseeischen Provinzen ein sehr zweifelhafter Gewinn seien, und die überhaupt keineswegs des Ländererwerbes wegen den Krieg begonnen hatten, nahmen nichts von der Beute für sich und zwangen dadurch auch ihre Bundesgenossen zur Mäſsigung. Sie beschlossen sämmt- liche Staaten Griechenlands, die bisher unter Philippos ge- standen, frei zu erklären; und Flamininus erhielt den Auftrag das deſsfällige Decret den zu den isthmischen Spielen ver- sammelten Griechen zu verlesen (558). Der Jubel war groſs und mag aufrichtig gewesen sein wie die Absicht, in der der Senat die Freiheit verlieh *, freilich mochte es auch nicht fehlen an ernsthaften Männern, die fragten, ob die Freiheit ein verschenkbares Gut sei und was Freiheit ohne Einigkeit und Einheit der Nation bedeute. — Ausgenommen waren von dieser allgemeinen Maſsregel nur die illyrischen Landschaften östlich von Epidamnos, die an den Herrn von Skodra Pleu- ratos fielen und diesen ein Menschenalter zuvor von den Rö- mern gedemüthigten Land- und Seeräuberstaat wieder zu der mächtigsten unter all den kleinen Herrschaften in diesen Stri- chen machten; ferner einige Ortschaften im westlichen Thes- salien, die Amynander besetzt hatte und die man ihm lieſs, und die drei Inseln Paros, Skyros und Imbros, welche Athen für seine vielen Drangsale und seine noch zahlreicheren Dank- adressen und Höflichkeiten aller Art zum Geschenk erhielt. Daſs die Rhodier ihre karischen Besitzungen behielten und Aegina den Pergamenern blieb, versteht sich. Sonst ward nur mittelbar den Bundesgenossen gelohnt durch den Zutritt der neu befreiten Städte zu den verschiedenen Eidgenossenschaften. Am besten wurden die Achaeer bedacht, die doch am späte- sten der Coalition gegen Philippos beigetreten waren; wie es scheint aus dem ehrenwerthen Grunde, daſs dieser Bundes- staat unter allen griechischen der geordnetste und ehrbarste war. Die sämmtlichen Besitzungen Philipps auf dem Pelo- ponnes und dem Isthmos, also namentlich Korinth, wurden * Wir haben noch Goldstater mit dem Kopf des Flamininus und der Inschrift ‚T. Quincti‘, die zum Andenken an den siegreichen Befreier der Hellenen in Griechenland geschlagen wurden. Der Gebrauch der lateini- schen Sprache ist eine bezeichnende Artigkeit.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 534. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/548>, abgerufen am 19.05.2024.