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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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vorgearbeitet haben, dass diese dort nirgends auf ernstliche
Schwierigkeiten stiessen, so war dagegen der Westen und Nor-
den und das ganze Binnenland besetzt von zahlreichen mehr
oder minder rohen Völkerschaften, die sich ebensowenig unter
einander wie mit den Römern vertrugen. Die Eingebornen
waren voll Unruhe und Kriegslust und selbst in offener Feld-
schlacht nicht verächtliche Gegner, die mit ihrem kurzen
zweischneidigen Schwert, welches später die Römer von ihnen
annahmen, und ihren gefürchteten Sturmcolonnen nicht selten
selbst die römischen Legionen zum Wanken brachten. Wäre
der Sinn nationaler Einheit in ihnen mächtig gewesen, viel-
leicht hätten sie es vermocht sich der aufgedrungenen Fremd-
herrschaft zu entledigen; aber ihre Tapferkeit war die des
Soldaten, nicht des Bürgers, und es fehlte ihr gar sehr am
politischen Verstand. Charakteristisch für dies ritterliche
Wesen der Ahnherren Don Quixotes ist die Ausforderung, die
zwanzig Jahre nach dem Ende des hannibalischen Krieges
die Einwohner der kleinen keltiberischen Stadt Complega (in
der Gegend der Tajoquellen) dem römischen Feldherrn zu-
schickten: er habe ihnen für jeden gefallenen Mann ein Pferd,
ein Schwert und einen Mantel zu senden, sonst werde es ihm
übel ergehen. Stolz auf ihre Waffenehre, so dass sie häufig
es nicht ertrugen die Schmach der Entwaffnung zu überleben,
waren die Spanier dennoch geneigt jedem Werber zu folgen
und für jeden fremden Span ihr Leben einzusetzen -- be-
zeichnend ist die Botschaft, die ein der Landessitte wohl
kundiger römischer Feldherr einem keltiberischen im Solde
der Turdetaner gegen die Römer fechtenden Schwarm zu-
sandte: entweder nach Hause zu kehren, oder für doppelten
Sold in römische Dienste zu treten, oder Tag und Ort zur
Schlacht zu bestimmen. Zeigte sich kein Werbeoffizier, so
trat man auch wohl auf eigene Hand zu Freischaaren zusam-
men um die friedlicheren Landschaften zu brandschatzen, ja
sogar die Städte einzunehmen und zu besetzen, ganz in cam-
panischer Weise. Wie unsicher das Binnenland war, zeigt
zum Beispiel, dass in einigermassen aufgeregten Zeiten die
römischen Commandanten des jenseitigen Spaniens auf der
Heimreise eine Escorte bis zu 6000 Mann mit sich nahmen,
und deutlicher noch der seltsame Verkehr, den in der grie-
chisch-spanischen Doppelstadt Emporiae an der östlichen
Spitze der Pyrenäen die Griechen mit ihren spanischen Nach-
baren pflogen. Die griechische Ansiedlung, die auf einer

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vorgearbeitet haben, daſs diese dort nirgends auf ernstliche
Schwierigkeiten stieſsen, so war dagegen der Westen und Nor-
den und das ganze Binnenland besetzt von zahlreichen mehr
oder minder rohen Völkerschaften, die sich ebensowenig unter
einander wie mit den Römern vertrugen. Die Eingebornen
waren voll Unruhe und Kriegslust und selbst in offener Feld-
schlacht nicht verächtliche Gegner, die mit ihrem kurzen
zweischneidigen Schwert, welches später die Römer von ihnen
annahmen, und ihren gefürchteten Sturmcolonnen nicht selten
selbst die römischen Legionen zum Wanken brachten. Wäre
der Sinn nationaler Einheit in ihnen mächtig gewesen, viel-
leicht hätten sie es vermocht sich der aufgedrungenen Fremd-
herrschaft zu entledigen; aber ihre Tapferkeit war die des
Soldaten, nicht des Bürgers, und es fehlte ihr gar sehr am
politischen Verstand. Charakteristisch für dies ritterliche
Wesen der Ahnherren Don Quixotes ist die Ausforderung, die
zwanzig Jahre nach dem Ende des hannibalischen Krieges
die Einwohner der kleinen keltiberischen Stadt Complega (in
der Gegend der Tajoquellen) dem römischen Feldherrn zu-
schickten: er habe ihnen für jeden gefallenen Mann ein Pferd,
ein Schwert und einen Mantel zu senden, sonst werde es ihm
übel ergehen. Stolz auf ihre Waffenehre, so daſs sie häufig
es nicht ertrugen die Schmach der Entwaffnung zu überleben,
waren die Spanier dennoch geneigt jedem Werber zu folgen
und für jeden fremden Span ihr Leben einzusetzen — be-
zeichnend ist die Botschaft, die ein der Landessitte wohl
kundiger römischer Feldherr einem keltiberischen im Solde
der Turdetaner gegen die Römer fechtenden Schwarm zu-
sandte: entweder nach Hause zu kehren, oder für doppelten
Sold in römische Dienste zu treten, oder Tag und Ort zur
Schlacht zu bestimmen. Zeigte sich kein Werbeoffizier, so
trat man auch wohl auf eigene Hand zu Freischaaren zusam-
men um die friedlicheren Landschaften zu brandschatzen, ja
sogar die Städte einzunehmen und zu besetzen, ganz in cam-
panischer Weise. Wie unsicher das Binnenland war, zeigt
zum Beispiel, daſs in einigermaſsen aufgeregten Zeiten die
römischen Commandanten des jenseitigen Spaniens auf der
Heimreise eine Escorte bis zu 6000 Mann mit sich nahmen,
und deutlicher noch der seltsame Verkehr, den in der grie-
chisch-spanischen Doppelstadt Emporiae an der östlichen
Spitze der Pyrenäen die Griechen mit ihren spanischen Nach-
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[496/0510] DRITTES BUCH. KAPITEL VII. vorgearbeitet haben, daſs diese dort nirgends auf ernstliche Schwierigkeiten stieſsen, so war dagegen der Westen und Nor- den und das ganze Binnenland besetzt von zahlreichen mehr oder minder rohen Völkerschaften, die sich ebensowenig unter einander wie mit den Römern vertrugen. Die Eingebornen waren voll Unruhe und Kriegslust und selbst in offener Feld- schlacht nicht verächtliche Gegner, die mit ihrem kurzen zweischneidigen Schwert, welches später die Römer von ihnen annahmen, und ihren gefürchteten Sturmcolonnen nicht selten selbst die römischen Legionen zum Wanken brachten. Wäre der Sinn nationaler Einheit in ihnen mächtig gewesen, viel- leicht hätten sie es vermocht sich der aufgedrungenen Fremd- herrschaft zu entledigen; aber ihre Tapferkeit war die des Soldaten, nicht des Bürgers, und es fehlte ihr gar sehr am politischen Verstand. Charakteristisch für dies ritterliche Wesen der Ahnherren Don Quixotes ist die Ausforderung, die zwanzig Jahre nach dem Ende des hannibalischen Krieges die Einwohner der kleinen keltiberischen Stadt Complega (in der Gegend der Tajoquellen) dem römischen Feldherrn zu- schickten: er habe ihnen für jeden gefallenen Mann ein Pferd, ein Schwert und einen Mantel zu senden, sonst werde es ihm übel ergehen. Stolz auf ihre Waffenehre, so daſs sie häufig es nicht ertrugen die Schmach der Entwaffnung zu überleben, waren die Spanier dennoch geneigt jedem Werber zu folgen und für jeden fremden Span ihr Leben einzusetzen — be- zeichnend ist die Botschaft, die ein der Landessitte wohl kundiger römischer Feldherr einem keltiberischen im Solde der Turdetaner gegen die Römer fechtenden Schwarm zu- sandte: entweder nach Hause zu kehren, oder für doppelten Sold in römische Dienste zu treten, oder Tag und Ort zur Schlacht zu bestimmen. Zeigte sich kein Werbeoffizier, so trat man auch wohl auf eigene Hand zu Freischaaren zusam- men um die friedlicheren Landschaften zu brandschatzen, ja sogar die Städte einzunehmen und zu besetzen, ganz in cam- panischer Weise. Wie unsicher das Binnenland war, zeigt zum Beispiel, daſs in einigermaſsen aufgeregten Zeiten die römischen Commandanten des jenseitigen Spaniens auf der Heimreise eine Escorte bis zu 6000 Mann mit sich nahmen, und deutlicher noch der seltsame Verkehr, den in der grie- chisch-spanischen Doppelstadt Emporiae an der östlichen Spitze der Pyrenäen die Griechen mit ihren spanischen Nach- baren pflogen. Die griechische Ansiedlung, die auf einer

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 496. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/510>, abgerufen am 19.05.2024.