Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

HANNIBALISCHER KRIEG.
in Apulien Hannibal gegenüber, den keine Botschaft erreicht
und der sich nicht gerührt hatte. Die Botschaft brachte ihm
der Consul mit; es war der Kopf des Bruders, den der Rö-
mer den feindlichen Posten hinwerfen hiess, um also dem
grossen Gegner, der den Krieg mit Todten verschmähte, die
ehrenvolle Bestattung des Paullus, Gracchus und Marcellus
zu vergelten. Hannibal erkannte, dass er umsonst gehofft
hatte und dass alles vorbei war. Er gab Apulien und Luca-
nien, sogar Metapont auf und zog sich mit seinen Truppen
zurück in das brettische Land, dessen Häfen sein einziger
Rückzug waren. Durch die Energie der römischen Feldher-
ren und mehr noch durch eine beispiellos glückliche Fügung
war eine Gefahr von Rom abgewandt, deren Grösse Han-
nibals zähes Ausharren in Italien rechtfertigt und die mit
der Grösse der cannensischen den Vergleich vollkommen aus-
hält. Der Jubel in Rom war grenzenlos; die Geschäfte be-
gannen wieder wie in Friedenszeit; Jeder fühlte, dass die
Gefahr des Krieges überwunden sei.

Indess ein Ende zu machen beeilte man sich in Rom
eben nicht. Der Staat und die Bürger waren erschöpft durch
die übermässige moralische und materielle Anspannung aller
Kräfte; gern gab man der Sorglosigkeit und der Ruhe sich
hin. Heer und Flotte wurden vermindert, die römischen und
latinischen Bauern auf ihre verödeten Höfe zurückgeführt, die
Kasse durch den Verkauf eines Theils der campanischen Do-
mäne gefüllt. Die Staatsverwaltung wurde neu geregelt und
die eingerissenen Unordnungen abgestellt; man fing an das
freiwillige Kriegsanlehen zurückzuzahlen und zwang die wei-
gernden Colonien ihren versäumten Pflichten mit schweren
Zinsen zu genügen. -- Der Krieg in Italien stockte. Es war
ein glänzender Beweis von Hannibals strategischem Talent so
wie freilich auch von der Unfähigkeit der jetzt ihm gegen-
überstehenden römischen Feldherren, dass er vier Jahre im
brettischen Lande das Feld behaupten und von dem weit
überlegenen Gegner weder gezwungen werden konnte sich in
die Festungen einzuschliessen noch sich einzuschiffen. Frei-
lich musste er immer weiter zurückweichen, weniger in Folge
der ihm von den Römern gelieferten nichts entscheidenden
Gefechte, als weil seine brettischen Bundesgenossen immer
schwieriger wurden und er zuletzt nur auf die Städte noch
zählen konnte, die sein Heer besetzt hielt. So gab er Thurii
freiwillig auf; Lokri ward auf Publius Scipios Veranstaltung

HANNIBALISCHER KRIEG.
in Apulien Hannibal gegenüber, den keine Botschaft erreicht
und der sich nicht gerührt hatte. Die Botschaft brachte ihm
der Consul mit; es war der Kopf des Bruders, den der Rö-
mer den feindlichen Posten hinwerfen hieſs, um also dem
groſsen Gegner, der den Krieg mit Todten verschmähte, die
ehrenvolle Bestattung des Paullus, Gracchus und Marcellus
zu vergelten. Hannibal erkannte, daſs er umsonst gehofft
hatte und daſs alles vorbei war. Er gab Apulien und Luca-
nien, sogar Metapont auf und zog sich mit seinen Truppen
zurück in das brettische Land, dessen Häfen sein einziger
Rückzug waren. Durch die Energie der römischen Feldher-
ren und mehr noch durch eine beispiellos glückliche Fügung
war eine Gefahr von Rom abgewandt, deren Gröſse Han-
nibals zähes Ausharren in Italien rechtfertigt und die mit
der Gröſse der cannensischen den Vergleich vollkommen aus-
hält. Der Jubel in Rom war grenzenlos; die Geschäfte be-
gannen wieder wie in Friedenszeit; Jeder fühlte, daſs die
Gefahr des Krieges überwunden sei.

Indeſs ein Ende zu machen beeilte man sich in Rom
eben nicht. Der Staat und die Bürger waren erschöpft durch
die übermäſsige moralische und materielle Anspannung aller
Kräfte; gern gab man der Sorglosigkeit und der Ruhe sich
hin. Heer und Flotte wurden vermindert, die römischen und
latinischen Bauern auf ihre verödeten Höfe zurückgeführt, die
Kasse durch den Verkauf eines Theils der campanischen Do-
mäne gefüllt. Die Staatsverwaltung wurde neu geregelt und
die eingerissenen Unordnungen abgestellt; man fing an das
freiwillige Kriegsanlehen zurückzuzahlen und zwang die wei-
gernden Colonien ihren versäumten Pflichten mit schweren
Zinsen zu genügen. — Der Krieg in Italien stockte. Es war
ein glänzender Beweis von Hannibals strategischem Talent so
wie freilich auch von der Unfähigkeit der jetzt ihm gegen-
überstehenden römischen Feldherren, daſs er vier Jahre im
brettischen Lande das Feld behaupten und von dem weit
überlegenen Gegner weder gezwungen werden konnte sich in
die Festungen einzuschlieſsen noch sich einzuschiffen. Frei-
lich muſste er immer weiter zurückweichen, weniger in Folge
der ihm von den Römern gelieferten nichts entscheidenden
Gefechte, als weil seine brettischen Bundesgenossen immer
schwieriger wurden und er zuletzt nur auf die Städte noch
zählen konnte, die sein Heer besetzt hielt. So gab er Thurii
freiwillig auf; Lokri ward auf Publius Scipios Veranstaltung

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0483" n="469"/><fw place="top" type="header">HANNIBALISCHER KRIEG.</fw><lb/>
in Apulien Hannibal gegenüber, den keine Botschaft erreicht<lb/>
und der sich nicht gerührt hatte. Die Botschaft brachte ihm<lb/>
der Consul mit; es war der Kopf des Bruders, den der Rö-<lb/>
mer den feindlichen Posten hinwerfen hie&#x017F;s, um also dem<lb/>
gro&#x017F;sen Gegner, der den Krieg mit Todten verschmähte, die<lb/>
ehrenvolle Bestattung des Paullus, Gracchus und Marcellus<lb/>
zu vergelten. Hannibal erkannte, da&#x017F;s er umsonst gehofft<lb/>
hatte und da&#x017F;s alles vorbei war. Er gab Apulien und Luca-<lb/>
nien, sogar Metapont auf und zog sich mit seinen Truppen<lb/>
zurück in das brettische Land, dessen Häfen sein einziger<lb/>
Rückzug waren. Durch die Energie der römischen Feldher-<lb/>
ren und mehr noch durch eine beispiellos glückliche Fügung<lb/>
war eine Gefahr von Rom abgewandt, deren Grö&#x017F;se Han-<lb/>
nibals zähes Ausharren in Italien rechtfertigt und die mit<lb/>
der Grö&#x017F;se der cannensischen den Vergleich vollkommen aus-<lb/>
hält. Der Jubel in Rom war grenzenlos; die Geschäfte be-<lb/>
gannen wieder wie in Friedenszeit; Jeder fühlte, da&#x017F;s die<lb/>
Gefahr des Krieges überwunden sei.</p><lb/>
          <p>Inde&#x017F;s ein Ende zu machen beeilte man sich in Rom<lb/>
eben nicht. Der Staat und die Bürger waren erschöpft durch<lb/>
die übermä&#x017F;sige moralische und materielle Anspannung aller<lb/>
Kräfte; gern gab man der Sorglosigkeit und der Ruhe sich<lb/>
hin. Heer und Flotte wurden vermindert, die römischen und<lb/>
latinischen Bauern auf ihre verödeten Höfe zurückgeführt, die<lb/>
Kasse durch den Verkauf eines Theils der campanischen Do-<lb/>
mäne gefüllt. Die Staatsverwaltung wurde neu geregelt und<lb/>
die eingerissenen Unordnungen abgestellt; man fing an das<lb/>
freiwillige Kriegsanlehen zurückzuzahlen und zwang die wei-<lb/>
gernden Colonien ihren versäumten Pflichten mit schweren<lb/>
Zinsen zu genügen. &#x2014; Der Krieg in Italien stockte. Es war<lb/>
ein glänzender Beweis von Hannibals strategischem Talent so<lb/>
wie freilich auch von der Unfähigkeit der jetzt ihm gegen-<lb/>
überstehenden römischen Feldherren, da&#x017F;s er vier Jahre im<lb/>
brettischen Lande das Feld behaupten und von dem weit<lb/>
überlegenen Gegner weder gezwungen werden konnte sich in<lb/>
die Festungen einzuschlie&#x017F;sen noch sich einzuschiffen. Frei-<lb/>
lich mu&#x017F;ste er immer weiter zurückweichen, weniger in Folge<lb/>
der ihm von den Römern gelieferten nichts entscheidenden<lb/>
Gefechte, als weil seine brettischen Bundesgenossen immer<lb/>
schwieriger wurden und er zuletzt nur auf die Städte noch<lb/>
zählen konnte, die sein Heer besetzt hielt. So gab er Thurii<lb/>
freiwillig auf; Lokri ward auf Publius Scipios Veranstaltung<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[469/0483] HANNIBALISCHER KRIEG. in Apulien Hannibal gegenüber, den keine Botschaft erreicht und der sich nicht gerührt hatte. Die Botschaft brachte ihm der Consul mit; es war der Kopf des Bruders, den der Rö- mer den feindlichen Posten hinwerfen hieſs, um also dem groſsen Gegner, der den Krieg mit Todten verschmähte, die ehrenvolle Bestattung des Paullus, Gracchus und Marcellus zu vergelten. Hannibal erkannte, daſs er umsonst gehofft hatte und daſs alles vorbei war. Er gab Apulien und Luca- nien, sogar Metapont auf und zog sich mit seinen Truppen zurück in das brettische Land, dessen Häfen sein einziger Rückzug waren. Durch die Energie der römischen Feldher- ren und mehr noch durch eine beispiellos glückliche Fügung war eine Gefahr von Rom abgewandt, deren Gröſse Han- nibals zähes Ausharren in Italien rechtfertigt und die mit der Gröſse der cannensischen den Vergleich vollkommen aus- hält. Der Jubel in Rom war grenzenlos; die Geschäfte be- gannen wieder wie in Friedenszeit; Jeder fühlte, daſs die Gefahr des Krieges überwunden sei. Indeſs ein Ende zu machen beeilte man sich in Rom eben nicht. Der Staat und die Bürger waren erschöpft durch die übermäſsige moralische und materielle Anspannung aller Kräfte; gern gab man der Sorglosigkeit und der Ruhe sich hin. Heer und Flotte wurden vermindert, die römischen und latinischen Bauern auf ihre verödeten Höfe zurückgeführt, die Kasse durch den Verkauf eines Theils der campanischen Do- mäne gefüllt. Die Staatsverwaltung wurde neu geregelt und die eingerissenen Unordnungen abgestellt; man fing an das freiwillige Kriegsanlehen zurückzuzahlen und zwang die wei- gernden Colonien ihren versäumten Pflichten mit schweren Zinsen zu genügen. — Der Krieg in Italien stockte. Es war ein glänzender Beweis von Hannibals strategischem Talent so wie freilich auch von der Unfähigkeit der jetzt ihm gegen- überstehenden römischen Feldherren, daſs er vier Jahre im brettischen Lande das Feld behaupten und von dem weit überlegenen Gegner weder gezwungen werden konnte sich in die Festungen einzuschlieſsen noch sich einzuschiffen. Frei- lich muſste er immer weiter zurückweichen, weniger in Folge der ihm von den Römern gelieferten nichts entscheidenden Gefechte, als weil seine brettischen Bundesgenossen immer schwieriger wurden und er zuletzt nur auf die Städte noch zählen konnte, die sein Heer besetzt hielt. So gab er Thurii freiwillig auf; Lokri ward auf Publius Scipios Veranstaltung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/483
Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 469. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/483>, abgerufen am 19.05.2024.