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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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ERSTES BUCH. KAPITEL IV.
heidnischen Festen sich am längsten im christlichen Rom be-
hauptet hat. Wie die Stammgemeinden, die ursprünglich um die
sieben Hügel an der Tiber den Pflug und das Schwert geführt
haben, zur Einigung gelangten, wissen wir nicht; nur hat sich in
der Eintheilung der ältesten römischen Bürgerschaft die Spur er-
halten, dass diese selbst eine Eidgenossenschaft ist und aus drei
verbündeten Gemeinden besteht, den Ramnern, Titiern und Lu-
cerern, von denen jede ein Drittheil der Feldmark besitzt und
in der Bürgerwehr wie im Rath der Alten gleichmässig ver-
treten ist, nicht minder im Sacralwesen, wo die sechs Jung-
frauen der Vesta, die drei hohen Priester des Iupiter, Mars,
Quirinus sich wahrscheinlich auf diese Dreitheilung beziehen.
Die zweite dieser Gemeinden wird einstimmig aus der Sabina
abgeleitet; unzweifelhaft auf Grund einer ächten und glaub-
würdigen Ueberlieferung der ,titischen Genossenschaft', die bei
dem Eintritt dieser Gemeinde in die Eidgenossenschaft zur
Bewahrung ihres nationalen Sonderrituals gestiftet zu sein be-
hauptete. In der That finden sich Spuren solchen uralten
sabinischen Nationalcults in Rom; so namentlich des Maurs
oder Mars und des Semo Sancus neben dem gleichgeltenden
latinischen Dius Fidius. Dass die Ramnes mit den Romani
identisch sind, ward schon bemerkt; über die Herkunft der
Luceres ist nichts zu sagen als dass nichts im Wege steht sie
gleich den Ramnern für eine latinische Gemeinde zu erklären.
Man hat mit diesen drei Elementen, in die die älteste römi-
sche Bürgerschaft zerfiel, den heillosesten Unfug getrieben;
die unverständige Meinung, dass die römische Nation ein
Mischvolk sei, knüpft hier an und bemüht sich in verschie-
denartiger Weise die drei grossen italischen Racen als com-
ponirende Elemente des ältesten Rom darzustellen und das
Volk, das wie wenig andere seine Sprache, seinen Staat und
seine Religion rein und volksthümlich entwickelt hat, in ein
wüstes Gerölle etruskischer und sabinischer, hellenischer und
leider sogar pelasgischer Elemente zu verwandeln. Daran ist
schwerlich mehr Wahres, als dass in einer sehr fernen Zeit,
als der latinische und der sabellische Stamm ohne Frage in
Sprache und Sitte sich noch keineswegs so scharf gegenüber-
standen wie später der Römer und der Samnite, eine sabel-
lische Gemeinde in einen latinischen Gauverband eintrat und
in dieser mit Ausnahme einzelner im Ritual fortgepflanzter
Nationalinstitutionen sich vollständig latinisirte; ganz ähnlich
wie einige Jahrhunderte später die sabinische Geschlechts-

ERSTES BUCH. KAPITEL IV.
heidnischen Festen sich am längsten im christlichen Rom be-
hauptet hat. Wie die Stammgemeinden, die ursprünglich um die
sieben Hügel an der Tiber den Pflug und das Schwert geführt
haben, zur Einigung gelangten, wissen wir nicht; nur hat sich in
der Eintheilung der ältesten römischen Bürgerschaft die Spur er-
halten, daſs diese selbst eine Eidgenossenschaft ist und aus drei
verbündeten Gemeinden besteht, den Ramnern, Titiern und Lu-
cerern, von denen jede ein Drittheil der Feldmark besitzt und
in der Bürgerwehr wie im Rath der Alten gleichmäſsig ver-
treten ist, nicht minder im Sacralwesen, wo die sechs Jung-
frauen der Vesta, die drei hohen Priester des Iupiter, Mars,
Quirinus sich wahrscheinlich auf diese Dreitheilung beziehen.
Die zweite dieser Gemeinden wird einstimmig aus der Sabina
abgeleitet; unzweifelhaft auf Grund einer ächten und glaub-
würdigen Ueberlieferung der ‚titischen Genossenschaft‘, die bei
dem Eintritt dieser Gemeinde in die Eidgenossenschaft zur
Bewahrung ihres nationalen Sonderrituals gestiftet zu sein be-
hauptete. In der That finden sich Spuren solchen uralten
sabinischen Nationalcults in Rom; so namentlich des Maurs
oder Mars und des Semo Sancus neben dem gleichgeltenden
latinischen Dius Fidius. Daſs die Ramnes mit den Romani
identisch sind, ward schon bemerkt; über die Herkunft der
Luceres ist nichts zu sagen als daſs nichts im Wege steht sie
gleich den Ramnern für eine latinische Gemeinde zu erklären.
Man hat mit diesen drei Elementen, in die die älteste römi-
sche Bürgerschaft zerfiel, den heillosesten Unfug getrieben;
die unverständige Meinung, daſs die römische Nation ein
Mischvolk sei, knüpft hier an und bemüht sich in verschie-
denartiger Weise die drei grossen italischen Racen als com-
ponirende Elemente des ältesten Rom darzustellen und das
Volk, das wie wenig andere seine Sprache, seinen Staat und
seine Religion rein und volksthümlich entwickelt hat, in ein
wüstes Gerölle etruskischer und sabinischer, hellenischer und
leider sogar pelasgischer Elemente zu verwandeln. Daran ist
schwerlich mehr Wahres, als daſs in einer sehr fernen Zeit,
als der latinische und der sabellische Stamm ohne Frage in
Sprache und Sitte sich noch keineswegs so scharf gegenüber-
standen wie später der Römer und der Samnite, eine sabel-
lische Gemeinde in einen latinischen Gauverband eintrat und
in dieser mit Ausnahme einzelner im Ritual fortgepflanzter
Nationalinstitutionen sich vollständig latinisirte; ganz ähnlich
wie einige Jahrhunderte später die sabinische Geschlechts-

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[34/0048] ERSTES BUCH. KAPITEL IV. heidnischen Festen sich am längsten im christlichen Rom be- hauptet hat. Wie die Stammgemeinden, die ursprünglich um die sieben Hügel an der Tiber den Pflug und das Schwert geführt haben, zur Einigung gelangten, wissen wir nicht; nur hat sich in der Eintheilung der ältesten römischen Bürgerschaft die Spur er- halten, daſs diese selbst eine Eidgenossenschaft ist und aus drei verbündeten Gemeinden besteht, den Ramnern, Titiern und Lu- cerern, von denen jede ein Drittheil der Feldmark besitzt und in der Bürgerwehr wie im Rath der Alten gleichmäſsig ver- treten ist, nicht minder im Sacralwesen, wo die sechs Jung- frauen der Vesta, die drei hohen Priester des Iupiter, Mars, Quirinus sich wahrscheinlich auf diese Dreitheilung beziehen. Die zweite dieser Gemeinden wird einstimmig aus der Sabina abgeleitet; unzweifelhaft auf Grund einer ächten und glaub- würdigen Ueberlieferung der ‚titischen Genossenschaft‘, die bei dem Eintritt dieser Gemeinde in die Eidgenossenschaft zur Bewahrung ihres nationalen Sonderrituals gestiftet zu sein be- hauptete. In der That finden sich Spuren solchen uralten sabinischen Nationalcults in Rom; so namentlich des Maurs oder Mars und des Semo Sancus neben dem gleichgeltenden latinischen Dius Fidius. Daſs die Ramnes mit den Romani identisch sind, ward schon bemerkt; über die Herkunft der Luceres ist nichts zu sagen als daſs nichts im Wege steht sie gleich den Ramnern für eine latinische Gemeinde zu erklären. Man hat mit diesen drei Elementen, in die die älteste römi- sche Bürgerschaft zerfiel, den heillosesten Unfug getrieben; die unverständige Meinung, daſs die römische Nation ein Mischvolk sei, knüpft hier an und bemüht sich in verschie- denartiger Weise die drei grossen italischen Racen als com- ponirende Elemente des ältesten Rom darzustellen und das Volk, das wie wenig andere seine Sprache, seinen Staat und seine Religion rein und volksthümlich entwickelt hat, in ein wüstes Gerölle etruskischer und sabinischer, hellenischer und leider sogar pelasgischer Elemente zu verwandeln. Daran ist schwerlich mehr Wahres, als daſs in einer sehr fernen Zeit, als der latinische und der sabellische Stamm ohne Frage in Sprache und Sitte sich noch keineswegs so scharf gegenüber- standen wie später der Römer und der Samnite, eine sabel- lische Gemeinde in einen latinischen Gauverband eintrat und in dieser mit Ausnahme einzelner im Ritual fortgepflanzter Nationalinstitutionen sich vollständig latinisirte; ganz ähnlich wie einige Jahrhunderte später die sabinische Geschlechts-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/48>, abgerufen am 28.03.2024.