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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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HANNIBALISCHER KRIEG.
Lande, dessen Einwohner sich Hannibal gänzlich in die Arme
geworfen hatten und wo auch die Häfen, mit Ausnahme von
Rhegion, das die Römer von Messana aus schützten, von den
Puniern besetzt worden waren, stand ein zweites punisches
Heer unter Hanno, ohne zunächst einen Feind sich gegenüber
zu sehen. Die römische Hauptarmee von vier Legionen unter
den beiden Consuln Quintus Fabius und Marcus Marcellus
war im Begriff die Wiedergewinnung Capuas zu versuchen.
Dazu kam römischer Seits die Reserve von zwei Legionen in
der Hauptstadt, die in alle Seehäfen gelegte Besatzung, welche
bei Tarent und Brundisium wegen der dort befürchteten ma-
kedonischen Landung durch eine Legion verstärkt worden
war, endlich die starke das Meer ohne Widerstreit beherr-
schende Flotte. Rechnet man dazu die römischen Heere in
Sicilien, Sardinien und Spanien, so lässt sich die Gesammt-
zahl der römischen Streitkräfte, auch abgesehen von dem Be-
satzungsdienst, den in den unteritalischen Festungen die dort
angesiedelte Bürgerschaft zu versehen hatte, nicht unter 200000
Mann anschlagen, darunter ein Drittel für dies Jahr neu ein-
berufene Leute, und etwa die Hälfte römische Bürger. Man
darf annehmen, dass die gesammte dienstfähige Mannschaft
vom 17. bis zum 45. Jahre unter den Waffen stand und die
Felder, wo der Krieg sie zu bearbeiten erlaubte, von den
Sclaven, den Alten, Kindern und Weibern bestellt wurden.
Dass unter solchen Verhältnissen auch die Finanzen im Ge-
dränge waren, ist begreiflich; die Grundsteuer, auf die man
hauptsächlich angewiesen war, ging natürlich nur sehr unregel-
mässig ein. Aber trotz dieser Noth an Mannschaft und Geld
sahen die Römer dennoch sich im Stande das rasch Verlorene
zwar langsam und mit Anspannung aller Kräfte, aber doch
zurückzugewinnen; ihre Heere jährlich zu vermehren, während
die punischen zusammenschwanden; gegen Hannibals italische
Bundesgenossen, die Campaner, Apuler, Samniten, Brettier,
die weder wie die römischen Festungen in Unteritalien sich
selber genügten noch von Hannibals schwachem Heer hin-
reichend gedeckt werden konnten, jährlich Boden zu gewin-
nen; endlich mittelst der von Marcus Marcellus begründeten
Kriegsweise das Talent der Offiziere zu entwickeln und die
Ueberlegenheit des römischen Fussvolks in vollem Umfang ins
Spiel zu bringen. Hannibal durfte wohl noch auf Sieg hoffen,
aber nicht mehr auf Siege wie am trasimenischen See und
am Aufidus; die Zeiten der Bürgergenerale waren vorbei. Es

HANNIBALISCHER KRIEG.
Lande, dessen Einwohner sich Hannibal gänzlich in die Arme
geworfen hatten und wo auch die Häfen, mit Ausnahme von
Rhegion, das die Römer von Messana aus schützten, von den
Puniern besetzt worden waren, stand ein zweites punisches
Heer unter Hanno, ohne zunächst einen Feind sich gegenüber
zu sehen. Die römische Hauptarmee von vier Legionen unter
den beiden Consuln Quintus Fabius und Marcus Marcellus
war im Begriff die Wiedergewinnung Capuas zu versuchen.
Dazu kam römischer Seits die Reserve von zwei Legionen in
der Hauptstadt, die in alle Seehäfen gelegte Besatzung, welche
bei Tarent und Brundisium wegen der dort befürchteten ma-
kedonischen Landung durch eine Legion verstärkt worden
war, endlich die starke das Meer ohne Widerstreit beherr-
schende Flotte. Rechnet man dazu die römischen Heere in
Sicilien, Sardinien und Spanien, so läſst sich die Gesammt-
zahl der römischen Streitkräfte, auch abgesehen von dem Be-
satzungsdienst, den in den unteritalischen Festungen die dort
angesiedelte Bürgerschaft zu versehen hatte, nicht unter 200000
Mann anschlagen, darunter ein Drittel für dies Jahr neu ein-
berufene Leute, und etwa die Hälfte römische Bürger. Man
darf annehmen, daſs die gesammte dienstfähige Mannschaft
vom 17. bis zum 45. Jahre unter den Waffen stand und die
Felder, wo der Krieg sie zu bearbeiten erlaubte, von den
Sclaven, den Alten, Kindern und Weibern bestellt wurden.
Daſs unter solchen Verhältnissen auch die Finanzen im Ge-
dränge waren, ist begreiflich; die Grundsteuer, auf die man
hauptsächlich angewiesen war, ging natürlich nur sehr unregel-
mässig ein. Aber trotz dieser Noth an Mannschaft und Geld
sahen die Römer dennoch sich im Stande das rasch Verlorene
zwar langsam und mit Anspannung aller Kräfte, aber doch
zurückzugewinnen; ihre Heere jährlich zu vermehren, während
die punischen zusammenschwanden; gegen Hannibals italische
Bundesgenossen, die Campaner, Apuler, Samniten, Brettier,
die weder wie die römischen Festungen in Unteritalien sich
selber genügten noch von Hannibals schwachem Heer hin-
reichend gedeckt werden konnten, jährlich Boden zu gewin-
nen; endlich mittelst der von Marcus Marcellus begründeten
Kriegsweise das Talent der Offiziere zu entwickeln und die
Ueberlegenheit des römischen Fuſsvolks in vollem Umfang ins
Spiel zu bringen. Hannibal durfte wohl noch auf Sieg hoffen,
aber nicht mehr auf Siege wie am trasimenischen See und
am Aufidus; die Zeiten der Bürgergenerale waren vorbei. Es

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[457/0471] HANNIBALISCHER KRIEG. Lande, dessen Einwohner sich Hannibal gänzlich in die Arme geworfen hatten und wo auch die Häfen, mit Ausnahme von Rhegion, das die Römer von Messana aus schützten, von den Puniern besetzt worden waren, stand ein zweites punisches Heer unter Hanno, ohne zunächst einen Feind sich gegenüber zu sehen. Die römische Hauptarmee von vier Legionen unter den beiden Consuln Quintus Fabius und Marcus Marcellus war im Begriff die Wiedergewinnung Capuas zu versuchen. Dazu kam römischer Seits die Reserve von zwei Legionen in der Hauptstadt, die in alle Seehäfen gelegte Besatzung, welche bei Tarent und Brundisium wegen der dort befürchteten ma- kedonischen Landung durch eine Legion verstärkt worden war, endlich die starke das Meer ohne Widerstreit beherr- schende Flotte. Rechnet man dazu die römischen Heere in Sicilien, Sardinien und Spanien, so läſst sich die Gesammt- zahl der römischen Streitkräfte, auch abgesehen von dem Be- satzungsdienst, den in den unteritalischen Festungen die dort angesiedelte Bürgerschaft zu versehen hatte, nicht unter 200000 Mann anschlagen, darunter ein Drittel für dies Jahr neu ein- berufene Leute, und etwa die Hälfte römische Bürger. Man darf annehmen, daſs die gesammte dienstfähige Mannschaft vom 17. bis zum 45. Jahre unter den Waffen stand und die Felder, wo der Krieg sie zu bearbeiten erlaubte, von den Sclaven, den Alten, Kindern und Weibern bestellt wurden. Daſs unter solchen Verhältnissen auch die Finanzen im Ge- dränge waren, ist begreiflich; die Grundsteuer, auf die man hauptsächlich angewiesen war, ging natürlich nur sehr unregel- mässig ein. Aber trotz dieser Noth an Mannschaft und Geld sahen die Römer dennoch sich im Stande das rasch Verlorene zwar langsam und mit Anspannung aller Kräfte, aber doch zurückzugewinnen; ihre Heere jährlich zu vermehren, während die punischen zusammenschwanden; gegen Hannibals italische Bundesgenossen, die Campaner, Apuler, Samniten, Brettier, die weder wie die römischen Festungen in Unteritalien sich selber genügten noch von Hannibals schwachem Heer hin- reichend gedeckt werden konnten, jährlich Boden zu gewin- nen; endlich mittelst der von Marcus Marcellus begründeten Kriegsweise das Talent der Offiziere zu entwickeln und die Ueberlegenheit des römischen Fuſsvolks in vollem Umfang ins Spiel zu bringen. Hannibal durfte wohl noch auf Sieg hoffen, aber nicht mehr auf Siege wie am trasimenischen See und am Aufidus; die Zeiten der Bürgergenerale waren vorbei. Es

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 457. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/471>, abgerufen am 24.11.2024.