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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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HANNIBALISCHER KRIEG.
drubal sich auf, an der Seite nach der Ebene hinaus die leichten
Reiter. Nach kurzem Vorpostengefecht der leichten Truppen war
bald die ganze Linie im Gefecht. Wo die leichte Reiterei der Kar-
thager gegen Varros schwere Cavallerie focht, ward das Gefecht
unter stetigen Chargen der Numidier ohne Entscheidung hin-
gehalten. Dagegen im Mitteltreffen warfen die Legionen die
ihnen zuerst begegnenden spanischen und gallischen Truppen
vollständig; eilig drängten die Sieger nach und verfolgten
ihren Vortheil. Allein auf ihrem rechten Flügel hatte das
Glück sich mittlerweile gegen sie gewandt. Hannibal hatte
den linken Reiterflügel der Feinde bloss beschäftigen lassen,
um Hasdrubal mit der ganzen regulären Reiterei gegen den
schwächeren rechten zu verwenden und diesen zuerst zu
werfen. Nach tapferer Gegenwehr wichen die Römer und
wurden grösstentheils in den Fluss gesprengt; verwundet ritt
Paullus zu dem Mitteltreffen, das Schicksal der Legionen zu
theilen. Diese hatten, um den Sieg über die vorgeschobene
feindliche Infanterie besser zu verfolgen, ihre Frontstellung in
eine Angriffscolonne verwandelt, die keilförmig eindrang in das
feindliche Centrum. In dieser Stellung wurden sie von dem
libyschen Fussvolk, das rechts und links einschwenkte, von bei-
den Seiten heftig angegriffen und ein Theil von ihnen gezwun-
gen Halt zu machen um gegen die Flankenangriffe sich zu ver-
theidigen, wodurch der ganze Zug ins Stocken kam und die
dichtgestellte Infanteriemasse nicht mehr Raum fand sich zu
entwickeln. Inzwischen hatte Hasdrubal, nachdem er mit dem
Flügel des Paullus fertig war, seine Reiter aufs Neue gesam-
melt und geordnet und sie hinter dem feindlichen Mitteltreffen
weg gegen den Flügel des Varro geführt, der schon mit den
Numidiern genug zu thun hatte. Vor dem doppelten Angriff
stob die italische Reiterei schnell auseinander und Hasdrubal,
die Verfolgung der Flüchtigen den Numidiern überlassend,
ordnete zum drittenmal seine Schwadronen, um sie dem rö-
mischen Fussvolk in den Rücken zu führen. Dieser letzte
Stoss entschied. Flucht war nicht möglich und Quartier ward
nicht gegeben; es ist vielleicht nie ein Heer von dieser Grösse
so vollständig und mit so geringem Verlust des Gegners in
der Feldschlacht vernichtet worden wie das römische bei
Cannae. Hannibal hatte nicht ganz 6000 Mann eingebüsst,
wovon zwei Drittel auf die Kelten kamen, die der erste Stoss
der Legionen traf. Dagegen von den 76000 Römern, die in
der Schlachtlinie gestanden hatten, deckten über 70000 das

HANNIBALISCHER KRIEG.
drubal sich auf, an der Seite nach der Ebene hinaus die leichten
Reiter. Nach kurzem Vorpostengefecht der leichten Truppen war
bald die ganze Linie im Gefecht. Wo die leichte Reiterei der Kar-
thager gegen Varros schwere Cavallerie focht, ward das Gefecht
unter stetigen Chargen der Numidier ohne Entscheidung hin-
gehalten. Dagegen im Mitteltreffen warfen die Legionen die
ihnen zuerst begegnenden spanischen und gallischen Truppen
vollständig; eilig drängten die Sieger nach und verfolgten
ihren Vortheil. Allein auf ihrem rechten Flügel hatte das
Glück sich mittlerweile gegen sie gewandt. Hannibal hatte
den linken Reiterflügel der Feinde bloſs beschäftigen lassen,
um Hasdrubal mit der ganzen regulären Reiterei gegen den
schwächeren rechten zu verwenden und diesen zuerst zu
werfen. Nach tapferer Gegenwehr wichen die Römer und
wurden gröſstentheils in den Fluſs gesprengt; verwundet ritt
Paullus zu dem Mitteltreffen, das Schicksal der Legionen zu
theilen. Diese hatten, um den Sieg über die vorgeschobene
feindliche Infanterie besser zu verfolgen, ihre Frontstellung in
eine Angriffscolonne verwandelt, die keilförmig eindrang in das
feindliche Centrum. In dieser Stellung wurden sie von dem
libyschen Fuſsvolk, das rechts und links einschwenkte, von bei-
den Seiten heftig angegriffen und ein Theil von ihnen gezwun-
gen Halt zu machen um gegen die Flankenangriffe sich zu ver-
theidigen, wodurch der ganze Zug ins Stocken kam und die
dichtgestellte Infanteriemasse nicht mehr Raum fand sich zu
entwickeln. Inzwischen hatte Hasdrubal, nachdem er mit dem
Flügel des Paullus fertig war, seine Reiter aufs Neue gesam-
melt und geordnet und sie hinter dem feindlichen Mitteltreffen
weg gegen den Flügel des Varro geführt, der schon mit den
Numidiern genug zu thun hatte. Vor dem doppelten Angriff
stob die italische Reiterei schnell auseinander und Hasdrubal,
die Verfolgung der Flüchtigen den Numidiern überlassend,
ordnete zum drittenmal seine Schwadronen, um sie dem rö-
mischen Fuſsvolk in den Rücken zu führen. Dieser letzte
Stoſs entschied. Flucht war nicht möglich und Quartier ward
nicht gegeben; es ist vielleicht nie ein Heer von dieser Gröſse
so vollständig und mit so geringem Verlust des Gegners in
der Feldschlacht vernichtet worden wie das römische bei
Cannae. Hannibal hatte nicht ganz 6000 Mann eingebüſst,
wovon zwei Drittel auf die Kelten kamen, die der erste Stoſs
der Legionen traf. Dagegen von den 76000 Römern, die in
der Schlachtlinie gestanden hatten, deckten über 70000 das

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[423/0437] HANNIBALISCHER KRIEG. drubal sich auf, an der Seite nach der Ebene hinaus die leichten Reiter. Nach kurzem Vorpostengefecht der leichten Truppen war bald die ganze Linie im Gefecht. Wo die leichte Reiterei der Kar- thager gegen Varros schwere Cavallerie focht, ward das Gefecht unter stetigen Chargen der Numidier ohne Entscheidung hin- gehalten. Dagegen im Mitteltreffen warfen die Legionen die ihnen zuerst begegnenden spanischen und gallischen Truppen vollständig; eilig drängten die Sieger nach und verfolgten ihren Vortheil. Allein auf ihrem rechten Flügel hatte das Glück sich mittlerweile gegen sie gewandt. Hannibal hatte den linken Reiterflügel der Feinde bloſs beschäftigen lassen, um Hasdrubal mit der ganzen regulären Reiterei gegen den schwächeren rechten zu verwenden und diesen zuerst zu werfen. Nach tapferer Gegenwehr wichen die Römer und wurden gröſstentheils in den Fluſs gesprengt; verwundet ritt Paullus zu dem Mitteltreffen, das Schicksal der Legionen zu theilen. Diese hatten, um den Sieg über die vorgeschobene feindliche Infanterie besser zu verfolgen, ihre Frontstellung in eine Angriffscolonne verwandelt, die keilförmig eindrang in das feindliche Centrum. In dieser Stellung wurden sie von dem libyschen Fuſsvolk, das rechts und links einschwenkte, von bei- den Seiten heftig angegriffen und ein Theil von ihnen gezwun- gen Halt zu machen um gegen die Flankenangriffe sich zu ver- theidigen, wodurch der ganze Zug ins Stocken kam und die dichtgestellte Infanteriemasse nicht mehr Raum fand sich zu entwickeln. Inzwischen hatte Hasdrubal, nachdem er mit dem Flügel des Paullus fertig war, seine Reiter aufs Neue gesam- melt und geordnet und sie hinter dem feindlichen Mitteltreffen weg gegen den Flügel des Varro geführt, der schon mit den Numidiern genug zu thun hatte. Vor dem doppelten Angriff stob die italische Reiterei schnell auseinander und Hasdrubal, die Verfolgung der Flüchtigen den Numidiern überlassend, ordnete zum drittenmal seine Schwadronen, um sie dem rö- mischen Fuſsvolk in den Rücken zu führen. Dieser letzte Stoſs entschied. Flucht war nicht möglich und Quartier ward nicht gegeben; es ist vielleicht nie ein Heer von dieser Gröſse so vollständig und mit so geringem Verlust des Gegners in der Feldschlacht vernichtet worden wie das römische bei Cannae. Hannibal hatte nicht ganz 6000 Mann eingebüſst, wovon zwei Drittel auf die Kelten kamen, die der erste Stoſs der Legionen traf. Dagegen von den 76000 Römern, die in der Schlachtlinie gestanden hatten, deckten über 70000 das

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 423. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/437>, abgerufen am 17.05.2024.