Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

HANNIBALISCHER KRIEG.
centia und unter ihrem Schutz entrann ein Theil der Ver-
sprengten; die Masse aber ward von den Elephanten und den
leichten Truppen des Feindes niedergemacht und nur ein Theil
der Reiterei und einige Abtheilungen des Fussvolks vermochten
den Fluss durchwatend das Lager zu gewinnen, wohin ihnen
die Karthager nicht folgten. Wenige Schlachten machen dem
römischen Soldaten mehr Ehre als diese an der Trebia und
wenige zugleich sind eine schwerere Anklage gegen den Feld-
herrn, der sie schlug; obwohl der billig Urtheilende nicht ver-
gessen wird, dass die an einem bestimmten Tage ablaufende
Feldhauptmannschaft eine unmilitärische Institution war und
von Dornen sich einmal keine Feigen ernten lassen. Auch
für die Sieger war der Verlust gross; wenn gleich der Verlust
im Kampfe hauptsächlich auf die keltischen Insurgenten ge-
fallen war, so erlagen doch nachher den in Folge des rauhen
und nassen Wintertages entstandenen Krankheiten eine Menge
von Hannibals alten Soldaten und sämmtliche Elephanten bis
auf einen einzigen. -- Die Folge dieses ersten Sieges der
Invasionsarmee war, dass die nationale Insurrection sich nun
im ganzen Keltenland ungestört erhob und organisirte. Die
Ueberreste der römischen Poarmee warfen sich in die Festun-
gen Placentia und Cremona; vollständig abgeschnitten von der
Heimath mussten sie ihre Zufuhren auf dem Fluss zu Wasser
beziehen. Nur wie durch ein Wunder entging der Consul Ti-
berius Sempronius der Gefangenschaft, als er mit einem schwa-
chen Reitertrupp der Wahlen wegen nach Rom ging. Hannibal,
der nicht durch weitere Märsche in der rauhen Jahreszeit die
Gesundheit seiner Truppen aufs Spiel setzen wollte, bezog wo
er war das Winterbivouac und begnügte sich, da ein ernst-
licher Versuch auf die grösseren Festungen zu nichts geführt
haben würde, durch Angriffe auf den Flusshafen von Placen-
tia und andere kleinere römische Positionen den Feind zu
necken. Hauptsächlich beschäftigte er sich damit den galli-
schen Aufstand zu organisiren; über 60000 Fusssoldaten und
4000 Berittene sollen von den Kelten sich seinem Heer ange-
schlossen haben.

Für den Feldzug des Jahres 537 wurden in Rom keine
ausserordentlichen Anstrengungen gemacht; der Senat betrach-
tete, und nicht mit Unrecht, die Existenz Roms noch keines-
wegs als ernstlich bedroht. Ausser den Küstenbesatzungen,
die nach Sardinien, Sicilien und Tarent, und den Verstärkun-
gen die nach Spanien abgingen, erhielten die beiden neuen

HANNIBALISCHER KRIEG.
centia und unter ihrem Schutz entrann ein Theil der Ver-
sprengten; die Masse aber ward von den Elephanten und den
leichten Truppen des Feindes niedergemacht und nur ein Theil
der Reiterei und einige Abtheilungen des Fuſsvolks vermochten
den Fluſs durchwatend das Lager zu gewinnen, wohin ihnen
die Karthager nicht folgten. Wenige Schlachten machen dem
römischen Soldaten mehr Ehre als diese an der Trebia und
wenige zugleich sind eine schwerere Anklage gegen den Feld-
herrn, der sie schlug; obwohl der billig Urtheilende nicht ver-
gessen wird, daſs die an einem bestimmten Tage ablaufende
Feldhauptmannschaft eine unmilitärische Institution war und
von Dornen sich einmal keine Feigen ernten lassen. Auch
für die Sieger war der Verlust groſs; wenn gleich der Verlust
im Kampfe hauptsächlich auf die keltischen Insurgenten ge-
fallen war, so erlagen doch nachher den in Folge des rauhen
und nassen Wintertages entstandenen Krankheiten eine Menge
von Hannibals alten Soldaten und sämmtliche Elephanten bis
auf einen einzigen. — Die Folge dieses ersten Sieges der
Invasionsarmee war, daſs die nationale Insurrection sich nun
im ganzen Keltenland ungestört erhob und organisirte. Die
Ueberreste der römischen Poarmee warfen sich in die Festun-
gen Placentia und Cremona; vollständig abgeschnitten von der
Heimath muſsten sie ihre Zufuhren auf dem Fluſs zu Wasser
beziehen. Nur wie durch ein Wunder entging der Consul Ti-
berius Sempronius der Gefangenschaft, als er mit einem schwa-
chen Reitertrupp der Wahlen wegen nach Rom ging. Hannibal,
der nicht durch weitere Märsche in der rauhen Jahreszeit die
Gesundheit seiner Truppen aufs Spiel setzen wollte, bezog wo
er war das Winterbivouac und begnügte sich, da ein ernst-
licher Versuch auf die gröſseren Festungen zu nichts geführt
haben würde, durch Angriffe auf den Fluſshafen von Placen-
tia und andere kleinere römische Positionen den Feind zu
necken. Hauptsächlich beschäftigte er sich damit den galli-
schen Aufstand zu organisiren; über 60000 Fuſssoldaten und
4000 Berittene sollen von den Kelten sich seinem Heer ange-
schlossen haben.

Für den Feldzug des Jahres 537 wurden in Rom keine
auſserordentlichen Anstrengungen gemacht; der Senat betrach-
tete, und nicht mit Unrecht, die Existenz Roms noch keines-
wegs als ernstlich bedroht. Auſser den Küstenbesatzungen,
die nach Sardinien, Sicilien und Tarent, und den Verstärkun-
gen die nach Spanien abgingen, erhielten die beiden neuen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0425" n="411"/><fw place="top" type="header">HANNIBALISCHER KRIEG.</fw><lb/>
centia und unter ihrem Schutz entrann ein Theil der Ver-<lb/>
sprengten; die Masse aber ward von den Elephanten und den<lb/>
leichten Truppen des Feindes niedergemacht und nur ein Theil<lb/>
der Reiterei und einige Abtheilungen des Fu&#x017F;svolks vermochten<lb/>
den Flu&#x017F;s durchwatend das Lager zu gewinnen, wohin ihnen<lb/>
die Karthager nicht folgten. Wenige Schlachten machen dem<lb/>
römischen Soldaten mehr Ehre als diese an der Trebia und<lb/>
wenige zugleich sind eine schwerere Anklage gegen den Feld-<lb/>
herrn, der sie schlug; obwohl der billig Urtheilende nicht ver-<lb/>
gessen wird, da&#x017F;s die an einem bestimmten Tage ablaufende<lb/>
Feldhauptmannschaft eine unmilitärische Institution war und<lb/>
von Dornen sich einmal keine Feigen ernten lassen. Auch<lb/>
für die Sieger war der Verlust gro&#x017F;s; wenn gleich der Verlust<lb/>
im Kampfe hauptsächlich auf die keltischen Insurgenten ge-<lb/>
fallen war, so erlagen doch nachher den in Folge des rauhen<lb/>
und nassen Wintertages entstandenen Krankheiten eine Menge<lb/>
von Hannibals alten Soldaten und sämmtliche Elephanten bis<lb/>
auf einen einzigen. &#x2014; Die Folge dieses ersten Sieges der<lb/>
Invasionsarmee war, da&#x017F;s die nationale Insurrection sich nun<lb/>
im ganzen Keltenland ungestört erhob und organisirte. Die<lb/>
Ueberreste der römischen Poarmee warfen sich in die Festun-<lb/>
gen Placentia und Cremona; vollständig abgeschnitten von der<lb/>
Heimath mu&#x017F;sten sie ihre Zufuhren auf dem Flu&#x017F;s zu Wasser<lb/>
beziehen. Nur wie durch ein Wunder entging der Consul Ti-<lb/>
berius Sempronius der Gefangenschaft, als er mit einem schwa-<lb/>
chen Reitertrupp der Wahlen wegen nach Rom ging. Hannibal,<lb/>
der nicht durch weitere Märsche in der rauhen Jahreszeit die<lb/>
Gesundheit seiner Truppen aufs Spiel setzen wollte, bezog wo<lb/>
er war das Winterbivouac und begnügte sich, da ein ernst-<lb/>
licher Versuch auf die grö&#x017F;seren Festungen zu nichts geführt<lb/>
haben würde, durch Angriffe auf den Flu&#x017F;shafen von Placen-<lb/>
tia und andere kleinere römische Positionen den Feind zu<lb/>
necken. Hauptsächlich beschäftigte er sich damit den galli-<lb/>
schen Aufstand zu organisiren; über 60000 Fu&#x017F;ssoldaten und<lb/>
4000 Berittene sollen von den Kelten sich seinem Heer ange-<lb/>
schlossen haben.</p><lb/>
          <p>Für den Feldzug des Jahres 537 wurden in Rom keine<lb/>
au&#x017F;serordentlichen Anstrengungen gemacht; der Senat betrach-<lb/>
tete, und nicht mit Unrecht, die Existenz Roms noch keines-<lb/>
wegs als ernstlich bedroht. Au&#x017F;ser den Küstenbesatzungen,<lb/>
die nach Sardinien, Sicilien und Tarent, und den Verstärkun-<lb/>
gen die nach Spanien abgingen, erhielten die beiden neuen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[411/0425] HANNIBALISCHER KRIEG. centia und unter ihrem Schutz entrann ein Theil der Ver- sprengten; die Masse aber ward von den Elephanten und den leichten Truppen des Feindes niedergemacht und nur ein Theil der Reiterei und einige Abtheilungen des Fuſsvolks vermochten den Fluſs durchwatend das Lager zu gewinnen, wohin ihnen die Karthager nicht folgten. Wenige Schlachten machen dem römischen Soldaten mehr Ehre als diese an der Trebia und wenige zugleich sind eine schwerere Anklage gegen den Feld- herrn, der sie schlug; obwohl der billig Urtheilende nicht ver- gessen wird, daſs die an einem bestimmten Tage ablaufende Feldhauptmannschaft eine unmilitärische Institution war und von Dornen sich einmal keine Feigen ernten lassen. Auch für die Sieger war der Verlust groſs; wenn gleich der Verlust im Kampfe hauptsächlich auf die keltischen Insurgenten ge- fallen war, so erlagen doch nachher den in Folge des rauhen und nassen Wintertages entstandenen Krankheiten eine Menge von Hannibals alten Soldaten und sämmtliche Elephanten bis auf einen einzigen. — Die Folge dieses ersten Sieges der Invasionsarmee war, daſs die nationale Insurrection sich nun im ganzen Keltenland ungestört erhob und organisirte. Die Ueberreste der römischen Poarmee warfen sich in die Festun- gen Placentia und Cremona; vollständig abgeschnitten von der Heimath muſsten sie ihre Zufuhren auf dem Fluſs zu Wasser beziehen. Nur wie durch ein Wunder entging der Consul Ti- berius Sempronius der Gefangenschaft, als er mit einem schwa- chen Reitertrupp der Wahlen wegen nach Rom ging. Hannibal, der nicht durch weitere Märsche in der rauhen Jahreszeit die Gesundheit seiner Truppen aufs Spiel setzen wollte, bezog wo er war das Winterbivouac und begnügte sich, da ein ernst- licher Versuch auf die gröſseren Festungen zu nichts geführt haben würde, durch Angriffe auf den Fluſshafen von Placen- tia und andere kleinere römische Positionen den Feind zu necken. Hauptsächlich beschäftigte er sich damit den galli- schen Aufstand zu organisiren; über 60000 Fuſssoldaten und 4000 Berittene sollen von den Kelten sich seinem Heer ange- schlossen haben. Für den Feldzug des Jahres 537 wurden in Rom keine auſserordentlichen Anstrengungen gemacht; der Senat betrach- tete, und nicht mit Unrecht, die Existenz Roms noch keines- wegs als ernstlich bedroht. Auſser den Küstenbesatzungen, die nach Sardinien, Sicilien und Tarent, und den Verstärkun- gen die nach Spanien abgingen, erhielten die beiden neuen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/425
Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/425>, abgerufen am 23.11.2024.