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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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HAMILKAR UND HANNIBAL.
nur der Begeisterung des Führers und seiner Nächsten nicht
chimärisch erscheinende Ziel, fingen an auch die africanischen
und spanischen Veteranen zu demoralisiren. Indess die Zu-
versicht des Feldherrn, die Rückkehr zahlreicher Versprengter,
die erreichte Wasserscheide, der Blick auf die Fluren Italiens,
die Nähe der befreundeten Gallier stellten nebst der kurzen
Rast die Haltung der Truppen einigermassen wieder her und
mit erneutem Muthe schickte man zu dem letzten und schwie-
rigsten Unternehmen, dem Hinabmarsch sich an. Von Feinden
ward das Heer dabei nichtwesentlich beunruhigt; aber die vor-
gerückte Jahreszeit -- man war schon im Anfang September --
vertrat bei dem Niederweg das Ungemach, das bei dem Aufweg
die Ueberfälle der Barbaren bereitet hatten. Auf dem steilen
und schlüpfrigen Berghang längs der Doria, wo der frisch-
gefallene Schnee die Pfade verborgen und verdorben hatte,
verirrten und glitten Menschen und Thiere und stürzten in die
Abgründe; ja gegen das Ende des ersten Tagemarsches ge-
langte man an einen Pass von etwa 200 Schritt Länge -- es
ist die Wegstrecke, auf welche von den steil darüber hängen-
den Felsen des Cramont beständig Lawinen hinabstürzen und
in kalten Sommern der Schnee nicht wegzuthauen pflegt --
wo durch die alten und glatten Schnee- und Eismassen, über
die eine dünne Decke frischen Schnees sich hinzog, der Weg
für Elephanten und Pferde vollständig gesperrt war. Das
Fussvolk ging hinüber; mit dem Trosse, der Reiterei und den
Elephanten nahm der Feldherr oberhalb der schwierigen Stelle
das Lager. Am folgenden Tag vermochten die Reiter durch
angestrengtes Schanzen den Weg für Pferde und Saumthiere
zu bahnen; allein erst nach einer weiteren dreitägigen Arbeit
mit beständiger Ablösung der Hände konnten endlich die halb
verhungerten Elephanten hinüber geführt werden. So war
nach viertägigem Aufenthalt die ganze Armee wieder vereinigt
und nach einem weitern dreitägigen Marsch durch das immer
breiter und fruchtbarer sich entwickelnde Thal der Doria,
dessen Einwohner, die Salasser, Clienten der Insubrer, in den
Karthagern ihre Verbündeten und ihre Befreier begrüssten,
gelangte die Armee um die Mitte des September in die Ebene
von Ivrea, wo die erschöpften Truppen in den Dörfern ein-
quartiert wurden, um durch gute Verpflegung und eine vier-
zehntägige Rast von den beispiellosen Strapazen sich zu er-
holen. Hätten die Römer, wie sie es konnten, ein Corps von
30000 ausgeruhten und kampffertigen Leuten etwa bei Turin

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HAMILKAR UND HANNIBAL.
nur der Begeisterung des Führers und seiner Nächsten nicht
chimärisch erscheinende Ziel, fingen an auch die africanischen
und spanischen Veteranen zu demoralisiren. Indeſs die Zu-
versicht des Feldherrn, die Rückkehr zahlreicher Versprengter,
die erreichte Wasserscheide, der Blick auf die Fluren Italiens,
die Nähe der befreundeten Gallier stellten nebst der kurzen
Rast die Haltung der Truppen einigermaſsen wieder her und
mit erneutem Muthe schickte man zu dem letzten und schwie-
rigsten Unternehmen, dem Hinabmarsch sich an. Von Feinden
ward das Heer dabei nichtwesentlich beunruhigt; aber die vor-
gerückte Jahreszeit — man war schon im Anfang September —
vertrat bei dem Niederweg das Ungemach, das bei dem Aufweg
die Ueberfälle der Barbaren bereitet hatten. Auf dem steilen
und schlüpfrigen Berghang längs der Doria, wo der frisch-
gefallene Schnee die Pfade verborgen und verdorben hatte,
verirrten und glitten Menschen und Thiere und stürzten in die
Abgründe; ja gegen das Ende des ersten Tagemarsches ge-
langte man an einen Paſs von etwa 200 Schritt Länge — es
ist die Wegstrecke, auf welche von den steil darüber hängen-
den Felsen des Cramont beständig Lawinen hinabstürzen und
in kalten Sommern der Schnee nicht wegzuthauen pflegt —
wo durch die alten und glatten Schnee- und Eismassen, über
die eine dünne Decke frischen Schnees sich hinzog, der Weg
für Elephanten und Pferde vollständig gesperrt war. Das
Fuſsvolk ging hinüber; mit dem Trosse, der Reiterei und den
Elephanten nahm der Feldherr oberhalb der schwierigen Stelle
das Lager. Am folgenden Tag vermochten die Reiter durch
angestrengtes Schanzen den Weg für Pferde und Saumthiere
zu bahnen; allein erst nach einer weiteren dreitägigen Arbeit
mit beständiger Ablösung der Hände konnten endlich die halb
verhungerten Elephanten hinüber geführt werden. So war
nach viertägigem Aufenthalt die ganze Armee wieder vereinigt
und nach einem weitern dreitägigen Marsch durch das immer
breiter und fruchtbarer sich entwickelnde Thal der Doria,
dessen Einwohner, die Salasser, Clienten der Insubrer, in den
Karthagern ihre Verbündeten und ihre Befreier begrüſsten,
gelangte die Armee um die Mitte des September in die Ebene
von Ivrea, wo die erschöpften Truppen in den Dörfern ein-
quartiert wurden, um durch gute Verpflegung und eine vier-
zehntägige Rast von den beispiellosen Strapazen sich zu er-
holen. Hätten die Römer, wie sie es konnten, ein Corps von
30000 ausgeruhten und kampffertigen Leuten etwa bei Turin

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[403/0417] HAMILKAR UND HANNIBAL. nur der Begeisterung des Führers und seiner Nächsten nicht chimärisch erscheinende Ziel, fingen an auch die africanischen und spanischen Veteranen zu demoralisiren. Indeſs die Zu- versicht des Feldherrn, die Rückkehr zahlreicher Versprengter, die erreichte Wasserscheide, der Blick auf die Fluren Italiens, die Nähe der befreundeten Gallier stellten nebst der kurzen Rast die Haltung der Truppen einigermaſsen wieder her und mit erneutem Muthe schickte man zu dem letzten und schwie- rigsten Unternehmen, dem Hinabmarsch sich an. Von Feinden ward das Heer dabei nichtwesentlich beunruhigt; aber die vor- gerückte Jahreszeit — man war schon im Anfang September — vertrat bei dem Niederweg das Ungemach, das bei dem Aufweg die Ueberfälle der Barbaren bereitet hatten. Auf dem steilen und schlüpfrigen Berghang längs der Doria, wo der frisch- gefallene Schnee die Pfade verborgen und verdorben hatte, verirrten und glitten Menschen und Thiere und stürzten in die Abgründe; ja gegen das Ende des ersten Tagemarsches ge- langte man an einen Paſs von etwa 200 Schritt Länge — es ist die Wegstrecke, auf welche von den steil darüber hängen- den Felsen des Cramont beständig Lawinen hinabstürzen und in kalten Sommern der Schnee nicht wegzuthauen pflegt — wo durch die alten und glatten Schnee- und Eismassen, über die eine dünne Decke frischen Schnees sich hinzog, der Weg für Elephanten und Pferde vollständig gesperrt war. Das Fuſsvolk ging hinüber; mit dem Trosse, der Reiterei und den Elephanten nahm der Feldherr oberhalb der schwierigen Stelle das Lager. Am folgenden Tag vermochten die Reiter durch angestrengtes Schanzen den Weg für Pferde und Saumthiere zu bahnen; allein erst nach einer weiteren dreitägigen Arbeit mit beständiger Ablösung der Hände konnten endlich die halb verhungerten Elephanten hinüber geführt werden. So war nach viertägigem Aufenthalt die ganze Armee wieder vereinigt und nach einem weitern dreitägigen Marsch durch das immer breiter und fruchtbarer sich entwickelnde Thal der Doria, dessen Einwohner, die Salasser, Clienten der Insubrer, in den Karthagern ihre Verbündeten und ihre Befreier begrüſsten, gelangte die Armee um die Mitte des September in die Ebene von Ivrea, wo die erschöpften Truppen in den Dörfern ein- quartiert wurden, um durch gute Verpflegung und eine vier- zehntägige Rast von den beispiellosen Strapazen sich zu er- holen. Hätten die Römer, wie sie es konnten, ein Corps von 30000 ausgeruhten und kampffertigen Leuten etwa bei Turin 26*

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/417>, abgerufen am 23.11.2024.