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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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ANSIEDLUNGEN DER LATINER.
Fels gebrochenen unterirdischen Kanal, durch den die schöne
Bergebene von Aricia trocken gelegt ist; obwohl es dem Egois-
mus der römischen Sage gefallen hat diesen Bau als Episode
in die Belagerung von Veii einzuflechten, wird es doch kaum
einem Zweifel unterliegen, dass er, der der Stadt Aricia ver-
muthlich den Namen gab *, weit älter und ein Werk derje-
nigen Epoche ist, wo Alba die Hauptstadt Latiums nicht blos
hiess, sondern war.

Dass mit der ersten Ansiedlung des latinischen Stammes
in diesem Gebiete keineswegs die Gründung von umwallten
Städten verbunden war, bedarf keines Beweises; wenn auch
sei es durch die erste Ansiedlung sei es durch spätere Thei-
lung die Geschlechtsgenossen regelmässig zugleich zu einer
Markgenossenschaft zusammentreten mochten, so wohnte doch
unzweifelhaft jeder auf dem Land, das er pflügte und seine
Grenze wie seine Wehr war zunächst der Hofzaun. Doch
konnte es an festen localen Mittelpunkten nicht fehlen; nicht
so sehr weil der gemeinschaftliche Versammlungsplatz doch
wohl regelmässig derselbe war, sondern weil das Bedürfniss
der Vertheidigung es schlechterdings erforderte irgendwo in
der Feldmark einen Hügel oder eine künstliche Burg einzu-
richten, wo die Bauern sich und ihr Vieh vor dem Einfall
des Feindes bergen konnten. Diese Plätze, die natürlich auch
zugleich die heiligen Stätten der Markgenossen einschlossen
und die wir uns übrigens als regelmässig unbewohnt oder
schwach bewohnt zu denken haben, begegnen uns unter den
Namen der ,Berge' (montes) und ,Bauten' (pagi von pangere),
der ,Burgen' (arces von arcere) und ,Ringe' (urbes von urvus,
curvus, orbis
) und sie sind die Grundlage der vorstädtischen
Gauverfassung in Italien geworden, welche in denjenigen itali-
schen Landschaften, die zum städtischen Zusammensiedeln erst
spät und zum Theil noch bis auf den heutigen Tag nicht voll-
ständig gelangt sind, wie im Marserland und in den kleinen
Gauen der Abruzzen, noch einigermassen deutlich sich erken-
nen lässt. Die Landschaft der Aequiculer, die noch in der
Kaiserzeit nicht in Ringmauern, sondern in unzähligen offenen
Weilern wohnten, zeigt eine Menge alterthümlicher Mauerringe,
die als ,verödete Städte' mit einzelnen Tempeln das Staunen
der römischen wie der heutigen Archäologen erregten, von
denen jene ihre ,Urbewohner' (aborigines), diese ihre Pelasger

* Aricia doch wohl die Brache, von arare.

ANSIEDLUNGEN DER LATINER.
Fels gebrochenen unterirdischen Kanal, durch den die schöne
Bergebene von Aricia trocken gelegt ist; obwohl es dem Egois-
mus der römischen Sage gefallen hat diesen Bau als Episode
in die Belagerung von Veii einzuflechten, wird es doch kaum
einem Zweifel unterliegen, daſs er, der der Stadt Aricia ver-
muthlich den Namen gab *, weit älter und ein Werk derje-
nigen Epoche ist, wo Alba die Hauptstadt Latiums nicht blos
hieſs, sondern war.

Daſs mit der ersten Ansiedlung des latinischen Stammes
in diesem Gebiete keineswegs die Gründung von umwallten
Städten verbunden war, bedarf keines Beweises; wenn auch
sei es durch die erste Ansiedlung sei es durch spätere Thei-
lung die Geschlechtsgenossen regelmäſsig zugleich zu einer
Markgenossenschaft zusammentreten mochten, so wohnte doch
unzweifelhaft jeder auf dem Land, das er pflügte und seine
Grenze wie seine Wehr war zunächst der Hofzaun. Doch
konnte es an festen localen Mittelpunkten nicht fehlen; nicht
so sehr weil der gemeinschaftliche Versammlungsplatz doch
wohl regelmäſsig derselbe war, sondern weil das Bedürfniſs
der Vertheidigung es schlechterdings erforderte irgendwo in
der Feldmark einen Hügel oder eine künstliche Burg einzu-
richten, wo die Bauern sich und ihr Vieh vor dem Einfall
des Feindes bergen konnten. Diese Plätze, die natürlich auch
zugleich die heiligen Stätten der Markgenossen einschlossen
und die wir uns übrigens als regelmäſsig unbewohnt oder
schwach bewohnt zu denken haben, begegnen uns unter den
Namen der ‚Berge‘ (montes) und ‚Bauten‘ (pagi von pangere),
der ‚Burgen‘ (arces von arcere) und ‚Ringe‘ (urbes von urvus,
curvus, orbis
) und sie sind die Grundlage der vorstädtischen
Gauverfassung in Italien geworden, welche in denjenigen itali-
schen Landschaften, die zum städtischen Zusammensiedeln erst
spät und zum Theil noch bis auf den heutigen Tag nicht voll-
ständig gelangt sind, wie im Marserland und in den kleinen
Gauen der Abruzzen, noch einigermaſsen deutlich sich erken-
nen läſst. Die Landschaft der Aequiculer, die noch in der
Kaiserzeit nicht in Ringmauern, sondern in unzähligen offenen
Weilern wohnten, zeigt eine Menge alterthümlicher Mauerringe,
die als ‚verödete Städte‘ mit einzelnen Tempeln das Staunen
der römischen wie der heutigen Archäologen erregten, von
denen jene ihre ‚Urbewohner‘ (aborigines), diese ihre Pelasger

* Aricia doch wohl die Brache, von arare.
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[27/0041] ANSIEDLUNGEN DER LATINER. Fels gebrochenen unterirdischen Kanal, durch den die schöne Bergebene von Aricia trocken gelegt ist; obwohl es dem Egois- mus der römischen Sage gefallen hat diesen Bau als Episode in die Belagerung von Veii einzuflechten, wird es doch kaum einem Zweifel unterliegen, daſs er, der der Stadt Aricia ver- muthlich den Namen gab *, weit älter und ein Werk derje- nigen Epoche ist, wo Alba die Hauptstadt Latiums nicht blos hieſs, sondern war. Daſs mit der ersten Ansiedlung des latinischen Stammes in diesem Gebiete keineswegs die Gründung von umwallten Städten verbunden war, bedarf keines Beweises; wenn auch sei es durch die erste Ansiedlung sei es durch spätere Thei- lung die Geschlechtsgenossen regelmäſsig zugleich zu einer Markgenossenschaft zusammentreten mochten, so wohnte doch unzweifelhaft jeder auf dem Land, das er pflügte und seine Grenze wie seine Wehr war zunächst der Hofzaun. Doch konnte es an festen localen Mittelpunkten nicht fehlen; nicht so sehr weil der gemeinschaftliche Versammlungsplatz doch wohl regelmäſsig derselbe war, sondern weil das Bedürfniſs der Vertheidigung es schlechterdings erforderte irgendwo in der Feldmark einen Hügel oder eine künstliche Burg einzu- richten, wo die Bauern sich und ihr Vieh vor dem Einfall des Feindes bergen konnten. Diese Plätze, die natürlich auch zugleich die heiligen Stätten der Markgenossen einschlossen und die wir uns übrigens als regelmäſsig unbewohnt oder schwach bewohnt zu denken haben, begegnen uns unter den Namen der ‚Berge‘ (montes) und ‚Bauten‘ (pagi von pangere), der ‚Burgen‘ (arces von arcere) und ‚Ringe‘ (urbes von urvus, curvus, orbis) und sie sind die Grundlage der vorstädtischen Gauverfassung in Italien geworden, welche in denjenigen itali- schen Landschaften, die zum städtischen Zusammensiedeln erst spät und zum Theil noch bis auf den heutigen Tag nicht voll- ständig gelangt sind, wie im Marserland und in den kleinen Gauen der Abruzzen, noch einigermaſsen deutlich sich erken- nen läſst. Die Landschaft der Aequiculer, die noch in der Kaiserzeit nicht in Ringmauern, sondern in unzähligen offenen Weilern wohnten, zeigt eine Menge alterthümlicher Mauerringe, die als ‚verödete Städte‘ mit einzelnen Tempeln das Staunen der römischen wie der heutigen Archäologen erregten, von denen jene ihre ‚Urbewohner‘ (aborigines), diese ihre Pelasger * Aricia doch wohl die Brache, von arare.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/41>, abgerufen am 26.04.2024.