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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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ERSTER PUNISCHER KRIEG.
sollen eine nicht bloss durch die Zahl, sondern durch Segel-
fähigkeit und Routine bedeutende Seemacht herzustellen, wozu
in dem Kaperwesen während des langen Krieges die Gelegen-
heit nahe genug lag; allein es geschah von der Regierung
nichts der Art. -- Dennoch ist das römische Flottenwesen in
seiner unbehülflichen Grossartigkeit noch die genialste Schöp-
fung dieses Krieges und hat wie im Anfang so zuletzt für
Rom den Ausschlag gegeben. Viel schwieriger zu überwinden
waren diejenigen Mängel, die sich ohne Aenderung der Ver-
fassung nicht beseitigen liessen. Dass der Senat je nach dem
Stande der in ihm streitenden Parteien von einem System
der Kriegführung zum andern absprang und so unglaubliche
Fehler beging wie die Räumung von Clupea und die mehr-
malige Einziehung der Flotte waren; dass der Feldherr des
einen Jahres sicilische Städte belagerte und sein Nachfolger,
statt dieselben zur Uebergabe zu zwingen, die africanische
Küste brandschatzte oder ein Seetreffen zu liefern für gut
fand; dass überhaupt der Oberbefehl jährlich von Rechts we-
gen wechselte -- das alles liess sich nicht abstellen, ohne
Verfassungsfragen anzuregen, die schwieriger zu lösen waren
als der Flottenbau, aber freilich ebenso wenig vereinigen mit
den Forderungen eines solchen Krieges. Vor allen Dingen
aber liess sich das nicht beseitigen, dass Niemand in die neue
Kriegführung sich zu finden wusste, weder der Senat noch
die Feldherren. Regulus Feldzug ist ein Beispiel davon, wie
seltsam man befangen war in dem Gedanken, dass die takti-
sche Ueberlegenheit alles entscheide. Es giebt nicht leicht
einen Feldherrn, dem das Glück so die Erfolge in den Schoss
geworfen hat; er stand im Jahre 498 genau da wo funfzig
Jahre später Scipio, nur dass ihm kein Hannibal und keine
erprobte feindliche Armee gegenüberstand. Allein der Senat
zog die halbe Armee zurück, so wie man sich von der takti-
schen Ueberlegenheit der Römer überzeugt hatte; im blinden
Vertrauen auf diese blieb der Feldherr stehen wo er eben
stand, um strategisch, und nahm er die Schlacht an wo man
sie ihm anbot, um auch taktisch sich überwinden zu lassen.
Es war dies um so bezeichnender, als Regulus in seiner Art
ein tüchtiger und erprobter Feldherr war. Eben die Bauern-
manier, durch die Etrurien und Samnium waren gewonnen wor-
den, war die Ursache der Niederlage in der Ebene von Tunes.
Der Satz war irrig geworden, dass jeder Bürgersmann gut
genug sei zum General; in dem neuen Kriegssystem konnte

ERSTER PUNISCHER KRIEG.
sollen eine nicht bloſs durch die Zahl, sondern durch Segel-
fähigkeit und Routine bedeutende Seemacht herzustellen, wozu
in dem Kaperwesen während des langen Krieges die Gelegen-
heit nahe genug lag; allein es geschah von der Regierung
nichts der Art. — Dennoch ist das römische Flottenwesen in
seiner unbehülflichen Groſsartigkeit noch die genialste Schöp-
fung dieses Krieges und hat wie im Anfang so zuletzt für
Rom den Ausschlag gegeben. Viel schwieriger zu überwinden
waren diejenigen Mängel, die sich ohne Aenderung der Ver-
fassung nicht beseitigen lieſsen. Daſs der Senat je nach dem
Stande der in ihm streitenden Parteien von einem System
der Kriegführung zum andern absprang und so unglaubliche
Fehler beging wie die Räumung von Clupea und die mehr-
malige Einziehung der Flotte waren; daſs der Feldherr des
einen Jahres sicilische Städte belagerte und sein Nachfolger,
statt dieselben zur Uebergabe zu zwingen, die africanische
Küste brandschatzte oder ein Seetreffen zu liefern für gut
fand; daſs überhaupt der Oberbefehl jährlich von Rechts we-
gen wechselte — das alles lieſs sich nicht abstellen, ohne
Verfassungsfragen anzuregen, die schwieriger zu lösen waren
als der Flottenbau, aber freilich ebenso wenig vereinigen mit
den Forderungen eines solchen Krieges. Vor allen Dingen
aber lieſs sich das nicht beseitigen, daſs Niemand in die neue
Kriegführung sich zu finden wuſste, weder der Senat noch
die Feldherren. Regulus Feldzug ist ein Beispiel davon, wie
seltsam man befangen war in dem Gedanken, daſs die takti-
sche Ueberlegenheit alles entscheide. Es giebt nicht leicht
einen Feldherrn, dem das Glück so die Erfolge in den Schoſs
geworfen hat; er stand im Jahre 498 genau da wo funfzig
Jahre später Scipio, nur daſs ihm kein Hannibal und keine
erprobte feindliche Armee gegenüberstand. Allein der Senat
zog die halbe Armee zurück, so wie man sich von der takti-
schen Ueberlegenheit der Römer überzeugt hatte; im blinden
Vertrauen auf diese blieb der Feldherr stehen wo er eben
stand, um strategisch, und nahm er die Schlacht an wo man
sie ihm anbot, um auch taktisch sich überwinden zu lassen.
Es war dies um so bezeichnender, als Regulus in seiner Art
ein tüchtiger und erprobter Feldherr war. Eben die Bauern-
manier, durch die Etrurien und Samnium waren gewonnen wor-
den, war die Ursache der Niederlage in der Ebene von Tunes.
Der Satz war irrig geworden, daſs jeder Bürgersmann gut
genug sei zum General; in dem neuen Kriegssystem konnte

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[361/0375] ERSTER PUNISCHER KRIEG. sollen eine nicht bloſs durch die Zahl, sondern durch Segel- fähigkeit und Routine bedeutende Seemacht herzustellen, wozu in dem Kaperwesen während des langen Krieges die Gelegen- heit nahe genug lag; allein es geschah von der Regierung nichts der Art. — Dennoch ist das römische Flottenwesen in seiner unbehülflichen Groſsartigkeit noch die genialste Schöp- fung dieses Krieges und hat wie im Anfang so zuletzt für Rom den Ausschlag gegeben. Viel schwieriger zu überwinden waren diejenigen Mängel, die sich ohne Aenderung der Ver- fassung nicht beseitigen lieſsen. Daſs der Senat je nach dem Stande der in ihm streitenden Parteien von einem System der Kriegführung zum andern absprang und so unglaubliche Fehler beging wie die Räumung von Clupea und die mehr- malige Einziehung der Flotte waren; daſs der Feldherr des einen Jahres sicilische Städte belagerte und sein Nachfolger, statt dieselben zur Uebergabe zu zwingen, die africanische Küste brandschatzte oder ein Seetreffen zu liefern für gut fand; daſs überhaupt der Oberbefehl jährlich von Rechts we- gen wechselte — das alles lieſs sich nicht abstellen, ohne Verfassungsfragen anzuregen, die schwieriger zu lösen waren als der Flottenbau, aber freilich ebenso wenig vereinigen mit den Forderungen eines solchen Krieges. Vor allen Dingen aber lieſs sich das nicht beseitigen, daſs Niemand in die neue Kriegführung sich zu finden wuſste, weder der Senat noch die Feldherren. Regulus Feldzug ist ein Beispiel davon, wie seltsam man befangen war in dem Gedanken, daſs die takti- sche Ueberlegenheit alles entscheide. Es giebt nicht leicht einen Feldherrn, dem das Glück so die Erfolge in den Schoſs geworfen hat; er stand im Jahre 498 genau da wo funfzig Jahre später Scipio, nur daſs ihm kein Hannibal und keine erprobte feindliche Armee gegenüberstand. Allein der Senat zog die halbe Armee zurück, so wie man sich von der takti- schen Ueberlegenheit der Römer überzeugt hatte; im blinden Vertrauen auf diese blieb der Feldherr stehen wo er eben stand, um strategisch, und nahm er die Schlacht an wo man sie ihm anbot, um auch taktisch sich überwinden zu lassen. Es war dies um so bezeichnender, als Regulus in seiner Art ein tüchtiger und erprobter Feldherr war. Eben die Bauern- manier, durch die Etrurien und Samnium waren gewonnen wor- den, war die Ursache der Niederlage in der Ebene von Tunes. Der Satz war irrig geworden, daſs jeder Bürgersmann gut genug sei zum General; in dem neuen Kriegssystem konnte

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/375>, abgerufen am 23.11.2024.