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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DRITTES BUCH. KAPITEL I.
sche Flotte wieder herzustellen war der letzte; nachdem dieser
gescheitert war, beherrschte die karthagische Flotte ohne Ne-
benbuhler das ganze westliche Mittelmeer; und ihre Versuche
Syrakus, Rhegion, Tarent zu besetzen zeigten, was sie ver-
mochte und wohin sie zielte. Hand in Hand damit ging das
Bestreben den Seehandel dieser Gegend immer mehr sowohl
dem Ausland wie den eigenen Unterthanen gegenüber zu mo-
nopolisiren; wovon ein einzelnes zufällig erhaltenes Zeugniss
ist, dass Karthago den römischen Handelsschiffen die spani-
schen, sardinischen und die libyschen Häfen durch den Ver-
trag vom Jahre 245 freigab, dagegen durch den vom Jahre 406
ihnen jene mit Ausnahme des eigenen karthagischen schloss.

Die Verfassung Karthagos bezeichnet Aristoteles, der etwa
funfzig Jahre vor dem Anfang des ersten punischen Krieges
starb, als übergegangen aus der monarchischen in eine Ari-
stokratie oder in eine zur Oligarchie sich neigende Demokratie;
denn mit beiden Namen benennt er sie. Die Leitung der
Geschäfte stand zunächst bei dem Rath der Alten, welcher
gleich der spartanischen Gerusia bestand aus den beiden jähr-
lich von der Bürgerschaft ernannten Königen und achtund-
zwanzig Gerusiasten, die auch wie es scheint Jahr für Jahr
von der Bürgerschaft erwählt wurden. Dieser Rath ist es,
der im Wesentlichen die Staatsgeschäfte erledigt, zum Beispiel
die Einleitungen zum Kriege trifft, die Aushebungen und Wer-
bungen anordnet, den Feldherrn ernennt und ihm eine An-
zahl Gerusiasten beiordnet, aus denen regelmässig die Unter-
befehlshaber genommen werden; an ihn werden die Depeschen
adressirt. Ob neben diesem kleinen Rath noch ein grosser
stand, ist zweifelhaft; auf keinen Fall hatte er viel zu bedeu-
ten. Ebensowenig scheint den Königen ein besonderer Ein-
fluss zugestanden zu haben; hauptsächlich functionirten sie
als Oberrichter, wie sie nicht selten auch heissen (Schofeten,
praetores). Grösser war die Gewalt des Feldherrn; Isokrates,
Aristoteles älterer Zeitgenosse, sagt, dass die Karthager sich
daheim oligarchisch, im Felde aber monarchisch regierten und
so mag sein Amt mit Recht von römischen Schriftstellern
als Dictatur bezeichnet werden, obgleich die ihm beigegebe-
nen Gerusiasten thatsächlich wenigstens seine Macht beschrän-
ken mussten und ebenso die den Römern unbekannte Re-
chenschaft, die ihn nach Niederlegung des Amtes erwartete.
Eine feste Zeitgrenze bestand für das Amt des Feldherrn nicht
und es ist derselbe also schon desshalb vom Jahrkönig un-

DRITTES BUCH. KAPITEL I.
sche Flotte wieder herzustellen war der letzte; nachdem dieser
gescheitert war, beherrschte die karthagische Flotte ohne Ne-
benbuhler das ganze westliche Mittelmeer; und ihre Versuche
Syrakus, Rhegion, Tarent zu besetzen zeigten, was sie ver-
mochte und wohin sie zielte. Hand in Hand damit ging das
Bestreben den Seehandel dieser Gegend immer mehr sowohl
dem Ausland wie den eigenen Unterthanen gegenüber zu mo-
nopolisiren; wovon ein einzelnes zufällig erhaltenes Zeugniſs
ist, daſs Karthago den römischen Handelsschiffen die spani-
schen, sardinischen und die libyschen Häfen durch den Ver-
trag vom Jahre 245 freigab, dagegen durch den vom Jahre 406
ihnen jene mit Ausnahme des eigenen karthagischen schloſs.

Die Verfassung Karthagos bezeichnet Aristoteles, der etwa
funfzig Jahre vor dem Anfang des ersten punischen Krieges
starb, als übergegangen aus der monarchischen in eine Ari-
stokratie oder in eine zur Oligarchie sich neigende Demokratie;
denn mit beiden Namen benennt er sie. Die Leitung der
Geschäfte stand zunächst bei dem Rath der Alten, welcher
gleich der spartanischen Gerusia bestand aus den beiden jähr-
lich von der Bürgerschaft ernannten Königen und achtund-
zwanzig Gerusiasten, die auch wie es scheint Jahr für Jahr
von der Bürgerschaft erwählt wurden. Dieser Rath ist es,
der im Wesentlichen die Staatsgeschäfte erledigt, zum Beispiel
die Einleitungen zum Kriege trifft, die Aushebungen und Wer-
bungen anordnet, den Feldherrn ernennt und ihm eine An-
zahl Gerusiasten beiordnet, aus denen regelmäſsig die Unter-
befehlshaber genommen werden; an ihn werden die Depeschen
adressirt. Ob neben diesem kleinen Rath noch ein groſser
stand, ist zweifelhaft; auf keinen Fall hatte er viel zu bedeu-
ten. Ebensowenig scheint den Königen ein besonderer Ein-
fluſs zugestanden zu haben; hauptsächlich functionirten sie
als Oberrichter, wie sie nicht selten auch heiſsen (Schofeten,
praetores). Gröſser war die Gewalt des Feldherrn; Isokrates,
Aristoteles älterer Zeitgenosse, sagt, daſs die Karthager sich
daheim oligarchisch, im Felde aber monarchisch regierten und
so mag sein Amt mit Recht von römischen Schriftstellern
als Dictatur bezeichnet werden, obgleich die ihm beigegebe-
nen Gerusiasten thatsächlich wenigstens seine Macht beschrän-
ken muſsten und ebenso die den Römern unbekannte Re-
chenschaft, die ihn nach Niederlegung des Amtes erwartete.
Eine feste Zeitgrenze bestand für das Amt des Feldherrn nicht
und es ist derselbe also schon deſshalb vom Jahrkönig un-

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[320/0334] DRITTES BUCH. KAPITEL I. sche Flotte wieder herzustellen war der letzte; nachdem dieser gescheitert war, beherrschte die karthagische Flotte ohne Ne- benbuhler das ganze westliche Mittelmeer; und ihre Versuche Syrakus, Rhegion, Tarent zu besetzen zeigten, was sie ver- mochte und wohin sie zielte. Hand in Hand damit ging das Bestreben den Seehandel dieser Gegend immer mehr sowohl dem Ausland wie den eigenen Unterthanen gegenüber zu mo- nopolisiren; wovon ein einzelnes zufällig erhaltenes Zeugniſs ist, daſs Karthago den römischen Handelsschiffen die spani- schen, sardinischen und die libyschen Häfen durch den Ver- trag vom Jahre 245 freigab, dagegen durch den vom Jahre 406 ihnen jene mit Ausnahme des eigenen karthagischen schloſs. Die Verfassung Karthagos bezeichnet Aristoteles, der etwa funfzig Jahre vor dem Anfang des ersten punischen Krieges starb, als übergegangen aus der monarchischen in eine Ari- stokratie oder in eine zur Oligarchie sich neigende Demokratie; denn mit beiden Namen benennt er sie. Die Leitung der Geschäfte stand zunächst bei dem Rath der Alten, welcher gleich der spartanischen Gerusia bestand aus den beiden jähr- lich von der Bürgerschaft ernannten Königen und achtund- zwanzig Gerusiasten, die auch wie es scheint Jahr für Jahr von der Bürgerschaft erwählt wurden. Dieser Rath ist es, der im Wesentlichen die Staatsgeschäfte erledigt, zum Beispiel die Einleitungen zum Kriege trifft, die Aushebungen und Wer- bungen anordnet, den Feldherrn ernennt und ihm eine An- zahl Gerusiasten beiordnet, aus denen regelmäſsig die Unter- befehlshaber genommen werden; an ihn werden die Depeschen adressirt. Ob neben diesem kleinen Rath noch ein groſser stand, ist zweifelhaft; auf keinen Fall hatte er viel zu bedeu- ten. Ebensowenig scheint den Königen ein besonderer Ein- fluſs zugestanden zu haben; hauptsächlich functionirten sie als Oberrichter, wie sie nicht selten auch heiſsen (Schofeten, praetores). Gröſser war die Gewalt des Feldherrn; Isokrates, Aristoteles älterer Zeitgenosse, sagt, daſs die Karthager sich daheim oligarchisch, im Felde aber monarchisch regierten und so mag sein Amt mit Recht von römischen Schriftstellern als Dictatur bezeichnet werden, obgleich die ihm beigegebe- nen Gerusiasten thatsächlich wenigstens seine Macht beschrän- ken muſsten und ebenso die den Römern unbekannte Re- chenschaft, die ihn nach Niederlegung des Amtes erwartete. Eine feste Zeitgrenze bestand für das Amt des Feldherrn nicht und es ist derselbe also schon deſshalb vom Jahrkönig un-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/334>, abgerufen am 12.05.2024.