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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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ZWEITES BUCH. KAPITEL VII.
wesentliche Gefahr vorüber war; diese ihrerseits hatten nichts
gethan den Abzug des Königs aus Italien, den Sturz der kar-
thagischen Macht in Sicilien zu verhindern. Ja in offener
Verletzung der Verträge hatte Karthago dem König einen
Sonderfrieden angetragen, worin sie sich begnügten mit dem
Besitz von Lilybaeon und dem König Geld und Kriegsschiffe
zur Verfügung stellten, natürlich zur Ueberfahrt nach Italien
und zur Erneuerung des Krieges gegen Rom. Indess es war
einleuchtend, dass mit dem Besitz von Lilybaeon und der
Entfernung des Königs die Stellung der Karthager auf der
Insel ungefähr dieselbe gewesen wäre wie vor Pyrrhos Lan-
dung; das verlorene Gebiet war leicht wieder gewonnen. So
schlug Pyrrhos den nach zwei Seiten hin perfiden Antrag aus
und beschäftigte sich mit der Ausrüstung einer Kriegsflotte.
Nur Unverstand und Kurzsichtigkeit haben dies später geta-
delt; es war vielmehr schlechterdings nothwendig und mit
den Mitteln der Insel leicht durchzuführen. Abgesehen davon,
dass der Herr von Ambrakia, Tarent und Syrakus nicht ohne
Seemacht sein konnte, bedurfte er der Flotte um Lilybaeon zu
erobern, um Tarent zu schützen, um Karthago daheim anzu-
greifen, wie es Agathokles, Regulus, Scipio vor- und nachher
mit so grossem Erfolg gethan. Nie stand Pyrrhos seinem
Ziele näher als im Sommer 478, wo er Karthago gedemüthigt
vor sich sah, Sicilien beherrschte und mit Tarents Besitz einen
festen Fuss in Italien behauptete, und wo die neugeschaffene
Flotte, die alle diese Erfolge zusammenknüpfen, sichern und
steigern sollte, zur Abfahrt fertig im Hafen von Syrakus lag.

Die wesentliche Schwäche von Pyrrhos Stellung beruhte
auf seiner fehlerhaften inneren Politik. Er regierte Sicilien
wie er Ptolemaeos hatte in Aegypten herrschen sehen; er
respectirte die Gemeindeverfassungen nicht, setzte seine Ver-
trauten zu Amtleuten über die Städte wann und auf so lange
es ihm gefiel, gab zu Richtern anstatt der einheimischen Ge-
schworenen seine Hofleute, sprach Confiscationen, Verbannun-
gen, Todesurtheile nach Gutdünken aus, selbst über diejenigen,
die seine Ueberkunft nach Sicilien am lebhaftesten betrieben
hatten, legte Besatzungen in die Städte und beherrschte Sici-
lien nicht als der Führer des Nationalbundes, sondern als
König. Mochte er dabei nach orientalisch-hellenistischen Be-
griffen sich ein guter und weiser Regent zu sein dünken, so
ertrugen doch die Griechen mit aller Ungeduld einer in langer
Freiheitsagonie aller Zucht entwöhnten Nation diese Verpflan-

ZWEITES BUCH. KAPITEL VII.
wesentliche Gefahr vorüber war; diese ihrerseits hatten nichts
gethan den Abzug des Königs aus Italien, den Sturz der kar-
thagischen Macht in Sicilien zu verhindern. Ja in offener
Verletzung der Verträge hatte Karthago dem König einen
Sonderfrieden angetragen, worin sie sich begnügten mit dem
Besitz von Lilybaeon und dem König Geld und Kriegsschiffe
zur Verfügung stellten, natürlich zur Ueberfahrt nach Italien
und zur Erneuerung des Krieges gegen Rom. Indeſs es war
einleuchtend, daſs mit dem Besitz von Lilybaeon und der
Entfernung des Königs die Stellung der Karthager auf der
Insel ungefähr dieselbe gewesen wäre wie vor Pyrrhos Lan-
dung; das verlorene Gebiet war leicht wieder gewonnen. So
schlug Pyrrhos den nach zwei Seiten hin perfiden Antrag aus
und beschäftigte sich mit der Ausrüstung einer Kriegsflotte.
Nur Unverstand und Kurzsichtigkeit haben dies später geta-
delt; es war vielmehr schlechterdings nothwendig und mit
den Mitteln der Insel leicht durchzuführen. Abgesehen davon,
daſs der Herr von Ambrakia, Tarent und Syrakus nicht ohne
Seemacht sein konnte, bedurfte er der Flotte um Lilybaeon zu
erobern, um Tarent zu schützen, um Karthago daheim anzu-
greifen, wie es Agathokles, Regulus, Scipio vor- und nachher
mit so groſsem Erfolg gethan. Nie stand Pyrrhos seinem
Ziele näher als im Sommer 478, wo er Karthago gedemüthigt
vor sich sah, Sicilien beherrschte und mit Tarents Besitz einen
festen Fuſs in Italien behauptete, und wo die neugeschaffene
Flotte, die alle diese Erfolge zusammenknüpfen, sichern und
steigern sollte, zur Abfahrt fertig im Hafen von Syrakus lag.

Die wesentliche Schwäche von Pyrrhos Stellung beruhte
auf seiner fehlerhaften inneren Politik. Er regierte Sicilien
wie er Ptolemaeos hatte in Aegypten herrschen sehen; er
respectirte die Gemeindeverfassungen nicht, setzte seine Ver-
trauten zu Amtleuten über die Städte wann und auf so lange
es ihm gefiel, gab zu Richtern anstatt der einheimischen Ge-
schworenen seine Hofleute, sprach Confiscationen, Verbannun-
gen, Todesurtheile nach Gutdünken aus, selbst über diejenigen,
die seine Ueberkunft nach Sicilien am lebhaftesten betrieben
hatten, legte Besatzungen in die Städte und beherrschte Sici-
lien nicht als der Führer des Nationalbundes, sondern als
König. Mochte er dabei nach orientalisch-hellenistischen Be-
griffen sich ein guter und weiser Regent zu sein dünken, so
ertrugen doch die Griechen mit aller Ungeduld einer in langer
Freiheitsagonie aller Zucht entwöhnten Nation diese Verpflan-

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[276/0290] ZWEITES BUCH. KAPITEL VII. wesentliche Gefahr vorüber war; diese ihrerseits hatten nichts gethan den Abzug des Königs aus Italien, den Sturz der kar- thagischen Macht in Sicilien zu verhindern. Ja in offener Verletzung der Verträge hatte Karthago dem König einen Sonderfrieden angetragen, worin sie sich begnügten mit dem Besitz von Lilybaeon und dem König Geld und Kriegsschiffe zur Verfügung stellten, natürlich zur Ueberfahrt nach Italien und zur Erneuerung des Krieges gegen Rom. Indeſs es war einleuchtend, daſs mit dem Besitz von Lilybaeon und der Entfernung des Königs die Stellung der Karthager auf der Insel ungefähr dieselbe gewesen wäre wie vor Pyrrhos Lan- dung; das verlorene Gebiet war leicht wieder gewonnen. So schlug Pyrrhos den nach zwei Seiten hin perfiden Antrag aus und beschäftigte sich mit der Ausrüstung einer Kriegsflotte. Nur Unverstand und Kurzsichtigkeit haben dies später geta- delt; es war vielmehr schlechterdings nothwendig und mit den Mitteln der Insel leicht durchzuführen. Abgesehen davon, daſs der Herr von Ambrakia, Tarent und Syrakus nicht ohne Seemacht sein konnte, bedurfte er der Flotte um Lilybaeon zu erobern, um Tarent zu schützen, um Karthago daheim anzu- greifen, wie es Agathokles, Regulus, Scipio vor- und nachher mit so groſsem Erfolg gethan. Nie stand Pyrrhos seinem Ziele näher als im Sommer 478, wo er Karthago gedemüthigt vor sich sah, Sicilien beherrschte und mit Tarents Besitz einen festen Fuſs in Italien behauptete, und wo die neugeschaffene Flotte, die alle diese Erfolge zusammenknüpfen, sichern und steigern sollte, zur Abfahrt fertig im Hafen von Syrakus lag. Die wesentliche Schwäche von Pyrrhos Stellung beruhte auf seiner fehlerhaften inneren Politik. Er regierte Sicilien wie er Ptolemaeos hatte in Aegypten herrschen sehen; er respectirte die Gemeindeverfassungen nicht, setzte seine Ver- trauten zu Amtleuten über die Städte wann und auf so lange es ihm gefiel, gab zu Richtern anstatt der einheimischen Ge- schworenen seine Hofleute, sprach Confiscationen, Verbannun- gen, Todesurtheile nach Gutdünken aus, selbst über diejenigen, die seine Ueberkunft nach Sicilien am lebhaftesten betrieben hatten, legte Besatzungen in die Städte und beherrschte Sici- lien nicht als der Führer des Nationalbundes, sondern als König. Mochte er dabei nach orientalisch-hellenistischen Be- griffen sich ein guter und weiser Regent zu sein dünken, so ertrugen doch die Griechen mit aller Ungeduld einer in langer Freiheitsagonie aller Zucht entwöhnten Nation diese Verpflan-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/290>, abgerufen am 10.05.2024.