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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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ZWEITES BUCH. KAPITEL VII.
wahrscheinlich, dass diese aus Italien vertriebenen Senonen
die gallischen Schwärme bilden halfen, die bald nachher das
Donaugebiet, Makedonien, Griechenland, Kleinasien über-
schwemmen. Die nächsten Nachbarn und Stammgenossen
der Senonen, die Boier, erschreckt und erbittert durch die
furchtbar schnell sich vollendende Katastrophe, vereinigten sich
augenblicklich mit den Etruskern, die noch den Krieg fort-
führten und deren senonische Söldner jetzt gegen die Römer
nicht mehr als Miethlinge, sondern als verzweifelte Rächer
der Heimath fochten. Das gesammte etruskisch-gallische Heer
zog gegen Rom; allein beim Uebergang über die Tiber in
der Nähe des vadimonischen Sees wurden sie von den Rö-
mern vollständig geschlagen (471) und nachdem sie das Jahr
darauf noch einmal bei Populonia mit nicht besserem Erfolg
eine Feldschlacht gewagt hatten, liessen die Boier ihre Bun-
desgenossen im Stich und schlossen für sich mit den Römern
Frieden (472). So war das gefährlichste Glied der Ligue,
das Galliervolk, einzeln überwunden, ehe noch der Bund sich
zusammenfand. Rom erhielt dadurch freie Hand gegen Unter-
italien, wo in den Jahren 469-471 der Kampf nicht ernst-
lich geführt worden war und die schwache römische Armee
Mühe gehabt hatte sich in Thurii gegen die Lucaner und
Brettier zu behaupten. Jetzt (472) erschien der Consul Gaius
Fabricius Luscinus mit einem starken Heer vor Thurii, be-
freite die Stadt, schlug die Lucaner in einem grossen Treffen
und nahm ihren Feldherrn Statilius gefangen. Die kleineren
nicht dorischen Griechenstädte, die in den Römern ihre Ret-
ter erkannten, fielen ihnen überall freiwillig zu; römische
Besatzungen blieben zurück in den wichtigsten Plätzen, na-
mentlich in Lokri, Kroton, Thurii und Rhegion, auf welche
letztere Stadt auch die Karthager Absichten zu haben schienen.
Ueberall war Rom im entschiedensten Vortheil. Die Vernich-
tung der Senonen hatte den Römern eine bedeutende Strecke
des adriatischen Littorals in die Hände gegeben; man eilte
sich dessen zu bemächtigen, ohne Zweifel in Hinblick auf die
unter der Asche glimmende Fehde mit Tarent und die schon
drohende Invasion der Epeiroten. Es ward (um 471) eine
Bürgercolonie geführt nach dem Hafenplatz Sena (Sinigaglia), der
ehemaligen Hauptstadt des senonischen Bezirks und gleichzeitig
segelte eine römische Flotte aus dem tyrrhenischen Meer in
die östlichen Gewässer, offenbar um im adriatischen Meer zu
stationiren und dort die römischen Besitzungen zu decken.

ZWEITES BUCH. KAPITEL VII.
wahrscheinlich, daſs diese aus Italien vertriebenen Senonen
die gallischen Schwärme bilden halfen, die bald nachher das
Donaugebiet, Makedonien, Griechenland, Kleinasien über-
schwemmen. Die nächsten Nachbarn und Stammgenossen
der Senonen, die Boier, erschreckt und erbittert durch die
furchtbar schnell sich vollendende Katastrophe, vereinigten sich
augenblicklich mit den Etruskern, die noch den Krieg fort-
führten und deren senonische Söldner jetzt gegen die Römer
nicht mehr als Miethlinge, sondern als verzweifelte Rächer
der Heimath fochten. Das gesammte etruskisch-gallische Heer
zog gegen Rom; allein beim Uebergang über die Tiber in
der Nähe des vadimonischen Sees wurden sie von den Rö-
mern vollständig geschlagen (471) und nachdem sie das Jahr
darauf noch einmal bei Populonia mit nicht besserem Erfolg
eine Feldschlacht gewagt hatten, lieſsen die Boier ihre Bun-
desgenossen im Stich und schlossen für sich mit den Römern
Frieden (472). So war das gefährlichste Glied der Ligue,
das Galliervolk, einzeln überwunden, ehe noch der Bund sich
zusammenfand. Rom erhielt dadurch freie Hand gegen Unter-
italien, wo in den Jahren 469-471 der Kampf nicht ernst-
lich geführt worden war und die schwache römische Armee
Mühe gehabt hatte sich in Thurii gegen die Lucaner und
Brettier zu behaupten. Jetzt (472) erschien der Consul Gaius
Fabricius Luscinus mit einem starken Heer vor Thurii, be-
freite die Stadt, schlug die Lucaner in einem groſsen Treffen
und nahm ihren Feldherrn Statilius gefangen. Die kleineren
nicht dorischen Griechenstädte, die in den Römern ihre Ret-
ter erkannten, fielen ihnen überall freiwillig zu; römische
Besatzungen blieben zurück in den wichtigsten Plätzen, na-
mentlich in Lokri, Kroton, Thurii und Rhegion, auf welche
letztere Stadt auch die Karthager Absichten zu haben schienen.
Ueberall war Rom im entschiedensten Vortheil. Die Vernich-
tung der Senonen hatte den Römern eine bedeutende Strecke
des adriatischen Littorals in die Hände gegeben; man eilte
sich dessen zu bemächtigen, ohne Zweifel in Hinblick auf die
unter der Asche glimmende Fehde mit Tarent und die schon
drohende Invasion der Epeiroten. Es ward (um 471) eine
Bürgercolonie geführt nach dem Hafenplatz Sena (Sinigaglia), der
ehemaligen Hauptstadt des senonischen Bezirks und gleichzeitig
segelte eine römische Flotte aus dem tyrrhenischen Meer in
die östlichen Gewässer, offenbar um im adriatischen Meer zu
stationiren und dort die römischen Besitzungen zu decken.

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[260/0274] ZWEITES BUCH. KAPITEL VII. wahrscheinlich, daſs diese aus Italien vertriebenen Senonen die gallischen Schwärme bilden halfen, die bald nachher das Donaugebiet, Makedonien, Griechenland, Kleinasien über- schwemmen. Die nächsten Nachbarn und Stammgenossen der Senonen, die Boier, erschreckt und erbittert durch die furchtbar schnell sich vollendende Katastrophe, vereinigten sich augenblicklich mit den Etruskern, die noch den Krieg fort- führten und deren senonische Söldner jetzt gegen die Römer nicht mehr als Miethlinge, sondern als verzweifelte Rächer der Heimath fochten. Das gesammte etruskisch-gallische Heer zog gegen Rom; allein beim Uebergang über die Tiber in der Nähe des vadimonischen Sees wurden sie von den Rö- mern vollständig geschlagen (471) und nachdem sie das Jahr darauf noch einmal bei Populonia mit nicht besserem Erfolg eine Feldschlacht gewagt hatten, lieſsen die Boier ihre Bun- desgenossen im Stich und schlossen für sich mit den Römern Frieden (472). So war das gefährlichste Glied der Ligue, das Galliervolk, einzeln überwunden, ehe noch der Bund sich zusammenfand. Rom erhielt dadurch freie Hand gegen Unter- italien, wo in den Jahren 469-471 der Kampf nicht ernst- lich geführt worden war und die schwache römische Armee Mühe gehabt hatte sich in Thurii gegen die Lucaner und Brettier zu behaupten. Jetzt (472) erschien der Consul Gaius Fabricius Luscinus mit einem starken Heer vor Thurii, be- freite die Stadt, schlug die Lucaner in einem groſsen Treffen und nahm ihren Feldherrn Statilius gefangen. Die kleineren nicht dorischen Griechenstädte, die in den Römern ihre Ret- ter erkannten, fielen ihnen überall freiwillig zu; römische Besatzungen blieben zurück in den wichtigsten Plätzen, na- mentlich in Lokri, Kroton, Thurii und Rhegion, auf welche letztere Stadt auch die Karthager Absichten zu haben schienen. Ueberall war Rom im entschiedensten Vortheil. Die Vernich- tung der Senonen hatte den Römern eine bedeutende Strecke des adriatischen Littorals in die Hände gegeben; man eilte sich dessen zu bemächtigen, ohne Zweifel in Hinblick auf die unter der Asche glimmende Fehde mit Tarent und die schon drohende Invasion der Epeiroten. Es ward (um 471) eine Bürgercolonie geführt nach dem Hafenplatz Sena (Sinigaglia), der ehemaligen Hauptstadt des senonischen Bezirks und gleichzeitig segelte eine römische Flotte aus dem tyrrhenischen Meer in die östlichen Gewässer, offenbar um im adriatischen Meer zu stationiren und dort die römischen Besitzungen zu decken.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/274>, abgerufen am 23.11.2024.