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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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ZWEITES BUCH. KAPITEL VII.
mässig den Tarentinern ihre Hauptleute lieferte, trat mit den
Italikern darum so wenig in Fehde wie im nordamerikanischen
Freiheitskrieg die deutschen Staaten mit der Union, deren
Gegnern sie ihre Unterthanen verkauften.

Nichts anderes als ein abenteuernder Kriegshauptmann
war auch König Pyrrhos von Epeiros; er war darum nicht
minder ein Glücksritter, dass er seinen Stammbaum zurück-
führte auf Aeakos und Achilleus und dass er, wäre er fried-
licher gesinnt gewesen, als ,König' über ein kleines Bergvolk
unter makedonischer Oberherrlichkeit oder auch allenfalls in
isolirter Freiheit hätte leben und sterben können. Man hat
ihn wohl verglichen mit Alexander von Makedonien; und al-
lerdings, die Gründung eines westhellenischen Reiches, dessen
Kern Epeiros, Grossgriechenland, Sicilien gebildet hätten, das
die beiden italischen Meere beherrscht und Rom wie Karthago
in die Reihe der barbarischen Grenzvölker des hellenistischen
Staatensystems, der Kelten und Inder gedrängt haben würde
-- dieser Gedanke ist wohl gross und kühn wie derjenige,
der den makedonischen König über den Hellespont führte.
Aber nicht bloss der verschiedene Ausgang unterscheidet den
östlichen und den westlichen Heerzug. Alexander konnte mit
seiner makedonischen Armee, deren Stab namentlich vorzüg-
lich war, dem Grosskönig vollkommen die Spitze bieten; aber
der König von Epeiros, das neben Makedonien stand etwa
wie Baiern neben Preussen, erhielt eine nennenswerthe Armee
nur durch Söldner und durch Bündnisse, die auf zufälligen
politischen Combinationen beruhten. Alexander trat im Perser-
reich auf als Eroberer, Pyrrhos in Italien als Feldherr einer
Coalition von Secundärstaaten; Alexander hinterliess sein Reich
vollkommen gesichert durch die unbedingte Unterthänigkeit
Griechenlands und das starke unter Antipater zurückbleibende
Heer, Pyrrhos bürgte für die Integrität seines eigenen Gebie-
tes nichts als das Wort eines zweifelhaften Nachbarn. Der
Schwerpunct der Reiches konnte für beide Eroberer nicht
mehr die Heimath sein, wenn die Pläne gelangen; allein eher
noch war es ausführbar den Sitz der makedonischen Militär-
monarchie nach Babylon zu verlegen als in Tarent oder Syra-
kus eine Soldatendynastie zu gründen. Die Demokratie der grie-
chischen Republiken, so sehr sie eine ewige Agonie war, liess
sich nun einmal nicht in die straffen Formen des Militärstaats
zurückzwingen; Philipp wusste wohl, warum er die griechi-
schen Republiken seinem Reich nicht einverleibte. Im Orient

ZWEITES BUCH. KAPITEL VII.
mäſsig den Tarentinern ihre Hauptleute lieferte, trat mit den
Italikern darum so wenig in Fehde wie im nordamerikanischen
Freiheitskrieg die deutschen Staaten mit der Union, deren
Gegnern sie ihre Unterthanen verkauften.

Nichts anderes als ein abenteuernder Kriegshauptmann
war auch König Pyrrhos von Epeiros; er war darum nicht
minder ein Glücksritter, daſs er seinen Stammbaum zurück-
führte auf Aeakos und Achilleus und daſs er, wäre er fried-
licher gesinnt gewesen, als ‚König‘ über ein kleines Bergvolk
unter makedonischer Oberherrlichkeit oder auch allenfalls in
isolirter Freiheit hätte leben und sterben können. Man hat
ihn wohl verglichen mit Alexander von Makedonien; und al-
lerdings, die Gründung eines westhellenischen Reiches, dessen
Kern Epeiros, Groſsgriechenland, Sicilien gebildet hätten, das
die beiden italischen Meere beherrscht und Rom wie Karthago
in die Reihe der barbarischen Grenzvölker des hellenistischen
Staatensystems, der Kelten und Inder gedrängt haben würde
— dieser Gedanke ist wohl groſs und kühn wie derjenige,
der den makedonischen König über den Hellespont führte.
Aber nicht bloſs der verschiedene Ausgang unterscheidet den
östlichen und den westlichen Heerzug. Alexander konnte mit
seiner makedonischen Armee, deren Stab namentlich vorzüg-
lich war, dem Groſskönig vollkommen die Spitze bieten; aber
der König von Epeiros, das neben Makedonien stand etwa
wie Baiern neben Preuſsen, erhielt eine nennenswerthe Armee
nur durch Söldner und durch Bündnisse, die auf zufälligen
politischen Combinationen beruhten. Alexander trat im Perser-
reich auf als Eroberer, Pyrrhos in Italien als Feldherr einer
Coalition von Secundärstaaten; Alexander hinterlieſs sein Reich
vollkommen gesichert durch die unbedingte Unterthänigkeit
Griechenlands und das starke unter Antipater zurückbleibende
Heer, Pyrrhos bürgte für die Integrität seines eigenen Gebie-
tes nichts als das Wort eines zweifelhaften Nachbarn. Der
Schwerpunct der Reiches konnte für beide Eroberer nicht
mehr die Heimath sein, wenn die Pläne gelangen; allein eher
noch war es ausführbar den Sitz der makedonischen Militär-
monarchie nach Babylon zu verlegen als in Tarent oder Syra-
kus eine Soldatendynastie zu gründen. Die Demokratie der grie-
chischen Republiken, so sehr sie eine ewige Agonie war, lieſs
sich nun einmal nicht in die straffen Formen des Militärstaats
zurückzwingen; Philipp wuſste wohl, warum er die griechi-
schen Republiken seinem Reich nicht einverleibte. Im Orient

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[254/0268] ZWEITES BUCH. KAPITEL VII. mäſsig den Tarentinern ihre Hauptleute lieferte, trat mit den Italikern darum so wenig in Fehde wie im nordamerikanischen Freiheitskrieg die deutschen Staaten mit der Union, deren Gegnern sie ihre Unterthanen verkauften. Nichts anderes als ein abenteuernder Kriegshauptmann war auch König Pyrrhos von Epeiros; er war darum nicht minder ein Glücksritter, daſs er seinen Stammbaum zurück- führte auf Aeakos und Achilleus und daſs er, wäre er fried- licher gesinnt gewesen, als ‚König‘ über ein kleines Bergvolk unter makedonischer Oberherrlichkeit oder auch allenfalls in isolirter Freiheit hätte leben und sterben können. Man hat ihn wohl verglichen mit Alexander von Makedonien; und al- lerdings, die Gründung eines westhellenischen Reiches, dessen Kern Epeiros, Groſsgriechenland, Sicilien gebildet hätten, das die beiden italischen Meere beherrscht und Rom wie Karthago in die Reihe der barbarischen Grenzvölker des hellenistischen Staatensystems, der Kelten und Inder gedrängt haben würde — dieser Gedanke ist wohl groſs und kühn wie derjenige, der den makedonischen König über den Hellespont führte. Aber nicht bloſs der verschiedene Ausgang unterscheidet den östlichen und den westlichen Heerzug. Alexander konnte mit seiner makedonischen Armee, deren Stab namentlich vorzüg- lich war, dem Groſskönig vollkommen die Spitze bieten; aber der König von Epeiros, das neben Makedonien stand etwa wie Baiern neben Preuſsen, erhielt eine nennenswerthe Armee nur durch Söldner und durch Bündnisse, die auf zufälligen politischen Combinationen beruhten. Alexander trat im Perser- reich auf als Eroberer, Pyrrhos in Italien als Feldherr einer Coalition von Secundärstaaten; Alexander hinterlieſs sein Reich vollkommen gesichert durch die unbedingte Unterthänigkeit Griechenlands und das starke unter Antipater zurückbleibende Heer, Pyrrhos bürgte für die Integrität seines eigenen Gebie- tes nichts als das Wort eines zweifelhaften Nachbarn. Der Schwerpunct der Reiches konnte für beide Eroberer nicht mehr die Heimath sein, wenn die Pläne gelangen; allein eher noch war es ausführbar den Sitz der makedonischen Militär- monarchie nach Babylon zu verlegen als in Tarent oder Syra- kus eine Soldatendynastie zu gründen. Die Demokratie der grie- chischen Republiken, so sehr sie eine ewige Agonie war, lieſs sich nun einmal nicht in die straffen Formen des Militärstaats zurückzwingen; Philipp wuſste wohl, warum er die griechi- schen Republiken seinem Reich nicht einverleibte. Im Orient

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/268>, abgerufen am 10.05.2024.