Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.DIE ITALIKER GEGEN ROM. schwebe. Eilig brach man auf. Wollte man zur rechten Zeitanlangen, so konnte kein andrer Weg eingeschlagen werden als mitten durch das feindliche Gebiet, da wo später als Fort- setzung der appischen Strasse die römische Chaussee von Ca- pua über Benevent nach Apulien angelegt ward. Dieser Weg führte zwischen den heutigen Orten Arpaja und Montesarchio * durch einen feuchten Wiesengrund, der rings von hohen und steilen Waldhügeln umschlossen und nur zugänglich war durch tiefe Einschnitte beim Ein- und beim Austritt. Hier hatten die Samniten verdeckt sich aufgestellt. Die Römer, ohne Hinderniss in das Thal eingetreten, fanden den Ausweg durch Verhaue gesperrt und stark besetzt; zurückmarschirend zeigte sich der Eingang in ähnlicher Weise geschlossen und gleich- zeitig krönten die Bergränder rings im Kreise sich mit den samnitischen Cohorten. Zu spät begriffen sie, dass sie sich durch eine Kriegslist hatten täuschen lassen und dass die Samniten nicht bei Luceria sie erwarteten, sondern an dem verhängnissvollen Pass von Caudium. Man schlug sich, aber ohne Hoffnung auf Erfolg und ohne ernstliches Ziel; das rö- mische Heer, die gesammte active Streitmacht mit den beiden höchstcommandirenden Feldherren, war gänzlich unfähig zu manövriren und ohne Kampf vollständig überwunden. Die römischen Generale boten die Capitulation an; der samnitische Feldherr konnte nichts besseres thun als sie annehmen und das ganze Heer gefangen nehmen -- nur thörichte Rhetorik lässt ihm die Wahl bloss zwischen Entlassung und Nieder- metzelung der römischen Armee --, worauf ihm dann der Weg nach Campanien und Latium offen stand und unter den damaligen Verhältnissen, wo der grösste Theil der Latiner ihn mit offenen Armen empfangen haben würde, Roms politische Existenz ernstlich gefährdet war. Allein statt diesen Weg einzuschlagen und eine Militärconvention zu schliessen, dachte Gavius Pontius durch einen billigen Frieden gleich den ganzen Hader beendigen zu können; sei es dass er die unverständige Friedenssehnsucht der Eidgenossen theilte, der das Jahr zuvor Brutulus Papius zum Opfer gefallen war, sei es dass er nicht im Stande war der kriegesmüden Partei es zu wehren, die * Der Ort ist im Allgemeinen gewiss genug, da Caudium sicher bei
Arpaja lag; ob aber das Thal zwischen Arpaja und Montesarchio gemeint ist oder das zwischen Arienzo und Arpaja, ist um so zweifelhafter, als das letztere seitdem durch Naturereignisse um mindestens 100 Palmen aufgehöht zu sein scheint. Ich folge der gangbaren Annahme ohne sie vertreten zu wollen. DIE ITALIKER GEGEN ROM. schwebe. Eilig brach man auf. Wollte man zur rechten Zeitanlangen, so konnte kein andrer Weg eingeschlagen werden als mitten durch das feindliche Gebiet, da wo später als Fort- setzung der appischen Straſse die römische Chaussee von Ca- pua über Benevent nach Apulien angelegt ward. Dieser Weg führte zwischen den heutigen Orten Arpaja und Montesarchio * durch einen feuchten Wiesengrund, der rings von hohen und steilen Waldhügeln umschlossen und nur zugänglich war durch tiefe Einschnitte beim Ein- und beim Austritt. Hier hatten die Samniten verdeckt sich aufgestellt. Die Römer, ohne Hinderniſs in das Thal eingetreten, fanden den Ausweg durch Verhaue gesperrt und stark besetzt; zurückmarschirend zeigte sich der Eingang in ähnlicher Weise geschlossen und gleich- zeitig krönten die Bergränder rings im Kreise sich mit den samnitischen Cohorten. Zu spät begriffen sie, daſs sie sich durch eine Kriegslist hatten täuschen lassen und daſs die Samniten nicht bei Luceria sie erwarteten, sondern an dem verhängniſsvollen Paſs von Caudium. Man schlug sich, aber ohne Hoffnung auf Erfolg und ohne ernstliches Ziel; das rö- mische Heer, die gesammte active Streitmacht mit den beiden höchstcommandirenden Feldherren, war gänzlich unfähig zu manövriren und ohne Kampf vollständig überwunden. Die römischen Generale boten die Capitulation an; der samnitische Feldherr konnte nichts besseres thun als sie annehmen und das ganze Heer gefangen nehmen — nur thörichte Rhetorik läſst ihm die Wahl bloſs zwischen Entlassung und Nieder- metzelung der römischen Armee —, worauf ihm dann der Weg nach Campanien und Latium offen stand und unter den damaligen Verhältnissen, wo der gröſste Theil der Latiner ihn mit offenen Armen empfangen haben würde, Roms politische Existenz ernstlich gefährdet war. Allein statt diesen Weg einzuschlagen und eine Militärconvention zu schlieſsen, dachte Gavius Pontius durch einen billigen Frieden gleich den ganzen Hader beendigen zu können; sei es daſs er die unverständige Friedenssehnsucht der Eidgenossen theilte, der das Jahr zuvor Brutulus Papius zum Opfer gefallen war, sei es daſs er nicht im Stande war der kriegesmüden Partei es zu wehren, die * Der Ort ist im Allgemeinen gewiſs genug, da Caudium sicher bei
Arpaja lag; ob aber das Thal zwischen Arpaja und Montesarchio gemeint ist oder das zwischen Arienzo und Arpaja, ist um so zweifelhafter, als das letztere seitdem durch Naturereignisse um mindestens 100 Palmen aufgehöht zu sein scheint. Ich folge der gangbaren Annahme ohne sie vertreten zu wollen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0251" n="237"/><fw place="top" type="header">DIE ITALIKER GEGEN ROM.</fw><lb/> schwebe. Eilig brach man auf. Wollte man zur rechten Zeit<lb/> anlangen, so konnte kein andrer Weg eingeschlagen werden<lb/> als mitten durch das feindliche Gebiet, da wo später als Fort-<lb/> setzung der appischen Straſse die römische Chaussee von Ca-<lb/> pua über Benevent nach Apulien angelegt ward. Dieser Weg<lb/> führte zwischen den heutigen Orten Arpaja und Montesarchio <note place="foot" n="*">Der Ort ist im Allgemeinen gewiſs genug, da Caudium sicher bei<lb/> Arpaja lag; ob aber das Thal zwischen Arpaja und Montesarchio gemeint<lb/> ist oder das zwischen Arienzo und Arpaja, ist um so zweifelhafter, als das<lb/> letztere seitdem durch Naturereignisse um mindestens 100 Palmen aufgehöht<lb/> zu sein scheint. Ich folge der gangbaren Annahme ohne sie vertreten zu wollen.</note><lb/> durch einen feuchten Wiesengrund, der rings von hohen und<lb/> steilen Waldhügeln umschlossen und nur zugänglich war durch<lb/> tiefe Einschnitte beim Ein- und beim Austritt. Hier hatten<lb/> die Samniten verdeckt sich aufgestellt. Die Römer, ohne<lb/> Hinderniſs in das Thal eingetreten, fanden den Ausweg durch<lb/> Verhaue gesperrt und stark besetzt; zurückmarschirend zeigte<lb/> sich der Eingang in ähnlicher Weise geschlossen und gleich-<lb/> zeitig krönten die Bergränder rings im Kreise sich mit den<lb/> samnitischen Cohorten. Zu spät begriffen sie, daſs sie sich<lb/> durch eine Kriegslist hatten täuschen lassen und daſs die<lb/> Samniten nicht bei Luceria sie erwarteten, sondern an dem<lb/> verhängniſsvollen Paſs von Caudium. Man schlug sich, aber<lb/> ohne Hoffnung auf Erfolg und ohne ernstliches Ziel; das rö-<lb/> mische Heer, die gesammte active Streitmacht mit den beiden<lb/> höchstcommandirenden Feldherren, war gänzlich unfähig zu<lb/> manövriren und ohne Kampf vollständig überwunden. Die<lb/> römischen Generale boten die Capitulation an; der samnitische<lb/> Feldherr konnte nichts besseres thun als sie annehmen und<lb/> das ganze Heer gefangen nehmen — nur thörichte Rhetorik<lb/> läſst ihm die Wahl bloſs zwischen Entlassung und Nieder-<lb/> metzelung der römischen Armee —, worauf ihm dann der<lb/> Weg nach Campanien und Latium offen stand und unter den<lb/> damaligen Verhältnissen, wo der gröſste Theil der Latiner ihn<lb/> mit offenen Armen empfangen haben würde, Roms politische<lb/> Existenz ernstlich gefährdet war. Allein statt diesen Weg<lb/> einzuschlagen und eine Militärconvention zu schlieſsen, dachte<lb/> Gavius Pontius durch einen billigen Frieden gleich den ganzen<lb/> Hader beendigen zu können; sei es daſs er die unverständige<lb/> Friedenssehnsucht der Eidgenossen theilte, der das Jahr zuvor<lb/> Brutulus Papius zum Opfer gefallen war, sei es daſs er nicht<lb/> im Stande war der kriegesmüden Partei es zu wehren, die<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [237/0251]
DIE ITALIKER GEGEN ROM.
schwebe. Eilig brach man auf. Wollte man zur rechten Zeit
anlangen, so konnte kein andrer Weg eingeschlagen werden
als mitten durch das feindliche Gebiet, da wo später als Fort-
setzung der appischen Straſse die römische Chaussee von Ca-
pua über Benevent nach Apulien angelegt ward. Dieser Weg
führte zwischen den heutigen Orten Arpaja und Montesarchio *
durch einen feuchten Wiesengrund, der rings von hohen und
steilen Waldhügeln umschlossen und nur zugänglich war durch
tiefe Einschnitte beim Ein- und beim Austritt. Hier hatten
die Samniten verdeckt sich aufgestellt. Die Römer, ohne
Hinderniſs in das Thal eingetreten, fanden den Ausweg durch
Verhaue gesperrt und stark besetzt; zurückmarschirend zeigte
sich der Eingang in ähnlicher Weise geschlossen und gleich-
zeitig krönten die Bergränder rings im Kreise sich mit den
samnitischen Cohorten. Zu spät begriffen sie, daſs sie sich
durch eine Kriegslist hatten täuschen lassen und daſs die
Samniten nicht bei Luceria sie erwarteten, sondern an dem
verhängniſsvollen Paſs von Caudium. Man schlug sich, aber
ohne Hoffnung auf Erfolg und ohne ernstliches Ziel; das rö-
mische Heer, die gesammte active Streitmacht mit den beiden
höchstcommandirenden Feldherren, war gänzlich unfähig zu
manövriren und ohne Kampf vollständig überwunden. Die
römischen Generale boten die Capitulation an; der samnitische
Feldherr konnte nichts besseres thun als sie annehmen und
das ganze Heer gefangen nehmen — nur thörichte Rhetorik
läſst ihm die Wahl bloſs zwischen Entlassung und Nieder-
metzelung der römischen Armee —, worauf ihm dann der
Weg nach Campanien und Latium offen stand und unter den
damaligen Verhältnissen, wo der gröſste Theil der Latiner ihn
mit offenen Armen empfangen haben würde, Roms politische
Existenz ernstlich gefährdet war. Allein statt diesen Weg
einzuschlagen und eine Militärconvention zu schlieſsen, dachte
Gavius Pontius durch einen billigen Frieden gleich den ganzen
Hader beendigen zu können; sei es daſs er die unverständige
Friedenssehnsucht der Eidgenossen theilte, der das Jahr zuvor
Brutulus Papius zum Opfer gefallen war, sei es daſs er nicht
im Stande war der kriegesmüden Partei es zu wehren, die
* Der Ort ist im Allgemeinen gewiſs genug, da Caudium sicher bei
Arpaja lag; ob aber das Thal zwischen Arpaja und Montesarchio gemeint
ist oder das zwischen Arienzo und Arpaja, ist um so zweifelhafter, als das
letztere seitdem durch Naturereignisse um mindestens 100 Palmen aufgehöht
zu sein scheint. Ich folge der gangbaren Annahme ohne sie vertreten zu wollen.
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Zitationshilfe: | Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/251>, abgerufen am 16.02.2025. |