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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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UNTERWERFUNG DER LATINER UND CAMPANER.
wenigen, wie zum Beispiel Neapel, gelang es mühsam und
durch Verträge mit den barbarischen Nachbarn sich in be-
scheidener Wohlfahrt zu behaupten. In unglaublich kurzer Zeit
war der blühende Städtering zerstört oder verödet. Nur Ta-
rent, geschützt durch seine entferntere Lage und durch seine
in steten Kämpfen mit den Messapiern unterhaltene Schlag-
fertigkeit blieb unabhängig und mächtig, wenn gleich auch
diese Stadt beständig mit den Lucanern um ihre Existenz zu
fechten hatte und genöthigt war in der griechischen Heimath
Bündnisse und Söldner zu suchen. -- Um die Zeit, wo Veii
und Antium römisch wurden, hatten die samnitischen Schaa-
ren bereits ganz Unteritalien inne mit Ausnahme weniger grie-
chischer Pflanzstädte ohne Zusammenhang unter sich, und der
apulisch-messapischen Küste. Der um 400 abgefasste Reise-
bericht des Griechen Skylax setzt die eigentlichen Samniten
mit ihren ,fünf Zungen' von einem Meer zum andern an, da-
neben die Campaner, im Süden von Paestum bis Thurii die
Lucaner, unter denen hier wie öfter die Brettier mitbegriffen
sind. In der That, wer mit einander vergleicht, was die bei-
den grossen Nationen Italiens, die latinische und die samniti-
sche, errungen hatten, bevor sie sich berührten, dem erscheint
die Eroberungsbahn der letzteren bei weitem ausgedehnter
und glänzender als die der Römer. Aber der Charakter der
Eroberungen war ein wesentlich verschiedener. Von dem
festen städtischen Mittelpunct aus, den Latium in Rom besass,
dehnt sich die Herrschaft dieses Stammes langsam aus nach
allen Seiten, zwar in verhältnissmässig engen Grenzen, aber
festen Fuss fassend wo sie hintritt, durch Gründung von festen
Städten römischer Art mit abhängigem Bundesrecht oder durch
Romanisirung des eroberten Gebiets. Anders in Samnium.
Es giebt hier keine einzelne führende Gemeinde und darum
auch keine Eroberungspolitik. Daher erfüllen die samnitischen
Schaaren einen unverhältnissmässig weiten Raum, den sie ganz
sich eigen zu machen keineswegs bedacht sind; die grössern
Griechenstädte, Thurii, Kroton, Metapont, Heraklea, Rhegion,
Neapel bestehen fort, wenn gleich geschwächt und öfters ab-
hängig, ja selbst auf dem platten Lande und in den kleineren
Städten werden die Hellenen geduldet und Kyme zum Bei-
spiel, Posidonia, Laos, Hipponion blieben, wie Skylax und die
Münzen lehren, auch unter samnitischer Herrschaft noch Grie-
chenstädte. So entstanden gemischte Bevölkerungen, wie denn
namentlich die zwiesprachigen Brettier ausser samnitischen

Röm. Gesch. I. 15

UNTERWERFUNG DER LATINER UND CAMPANER.
wenigen, wie zum Beispiel Neapel, gelang es mühsam und
durch Verträge mit den barbarischen Nachbarn sich in be-
scheidener Wohlfahrt zu behaupten. In unglaublich kurzer Zeit
war der blühende Städtering zerstört oder verödet. Nur Ta-
rent, geschützt durch seine entferntere Lage und durch seine
in steten Kämpfen mit den Messapiern unterhaltene Schlag-
fertigkeit blieb unabhängig und mächtig, wenn gleich auch
diese Stadt beständig mit den Lucanern um ihre Existenz zu
fechten hatte und genöthigt war in der griechischen Heimath
Bündnisse und Söldner zu suchen. — Um die Zeit, wo Veii
und Antium römisch wurden, hatten die samnitischen Schaa-
ren bereits ganz Unteritalien inne mit Ausnahme weniger grie-
chischer Pflanzstädte ohne Zusammenhang unter sich, und der
apulisch-messapischen Küste. Der um 400 abgefaſste Reise-
bericht des Griechen Skylax setzt die eigentlichen Samniten
mit ihren ‚fünf Zungen‘ von einem Meer zum andern an, da-
neben die Campaner, im Süden von Paestum bis Thurii die
Lucaner, unter denen hier wie öfter die Brettier mitbegriffen
sind. In der That, wer mit einander vergleicht, was die bei-
den groſsen Nationen Italiens, die latinische und die samniti-
sche, errungen hatten, bevor sie sich berührten, dem erscheint
die Eroberungsbahn der letzteren bei weitem ausgedehnter
und glänzender als die der Römer. Aber der Charakter der
Eroberungen war ein wesentlich verschiedener. Von dem
festen städtischen Mittelpunct aus, den Latium in Rom besaſs,
dehnt sich die Herrschaft dieses Stammes langsam aus nach
allen Seiten, zwar in verhältniſsmäſsig engen Grenzen, aber
festen Fuſs fassend wo sie hintritt, durch Gründung von festen
Städten römischer Art mit abhängigem Bundesrecht oder durch
Romanisirung des eroberten Gebiets. Anders in Samnium.
Es giebt hier keine einzelne führende Gemeinde und darum
auch keine Eroberungspolitik. Daher erfüllen die samnitischen
Schaaren einen unverhältniſsmäſsig weiten Raum, den sie ganz
sich eigen zu machen keineswegs bedacht sind; die gröſsern
Griechenstädte, Thurii, Kroton, Metapont, Heraklea, Rhegion,
Neapel bestehen fort, wenn gleich geschwächt und öfters ab-
hängig, ja selbst auf dem platten Lande und in den kleineren
Städten werden die Hellenen geduldet und Kyme zum Bei-
spiel, Posidonia, Laos, Hipponion blieben, wie Skylax und die
Münzen lehren, auch unter samnitischer Herrschaft noch Grie-
chenstädte. So entstanden gemischte Bevölkerungen, wie denn
namentlich die zwiesprachigen Brettier auſser samnitischen

Röm. Gesch. I. 15
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[225/0239] UNTERWERFUNG DER LATINER UND CAMPANER. wenigen, wie zum Beispiel Neapel, gelang es mühsam und durch Verträge mit den barbarischen Nachbarn sich in be- scheidener Wohlfahrt zu behaupten. In unglaublich kurzer Zeit war der blühende Städtering zerstört oder verödet. Nur Ta- rent, geschützt durch seine entferntere Lage und durch seine in steten Kämpfen mit den Messapiern unterhaltene Schlag- fertigkeit blieb unabhängig und mächtig, wenn gleich auch diese Stadt beständig mit den Lucanern um ihre Existenz zu fechten hatte und genöthigt war in der griechischen Heimath Bündnisse und Söldner zu suchen. — Um die Zeit, wo Veii und Antium römisch wurden, hatten die samnitischen Schaa- ren bereits ganz Unteritalien inne mit Ausnahme weniger grie- chischer Pflanzstädte ohne Zusammenhang unter sich, und der apulisch-messapischen Küste. Der um 400 abgefaſste Reise- bericht des Griechen Skylax setzt die eigentlichen Samniten mit ihren ‚fünf Zungen‘ von einem Meer zum andern an, da- neben die Campaner, im Süden von Paestum bis Thurii die Lucaner, unter denen hier wie öfter die Brettier mitbegriffen sind. In der That, wer mit einander vergleicht, was die bei- den groſsen Nationen Italiens, die latinische und die samniti- sche, errungen hatten, bevor sie sich berührten, dem erscheint die Eroberungsbahn der letzteren bei weitem ausgedehnter und glänzender als die der Römer. Aber der Charakter der Eroberungen war ein wesentlich verschiedener. Von dem festen städtischen Mittelpunct aus, den Latium in Rom besaſs, dehnt sich die Herrschaft dieses Stammes langsam aus nach allen Seiten, zwar in verhältniſsmäſsig engen Grenzen, aber festen Fuſs fassend wo sie hintritt, durch Gründung von festen Städten römischer Art mit abhängigem Bundesrecht oder durch Romanisirung des eroberten Gebiets. Anders in Samnium. Es giebt hier keine einzelne führende Gemeinde und darum auch keine Eroberungspolitik. Daher erfüllen die samnitischen Schaaren einen unverhältniſsmäſsig weiten Raum, den sie ganz sich eigen zu machen keineswegs bedacht sind; die gröſsern Griechenstädte, Thurii, Kroton, Metapont, Heraklea, Rhegion, Neapel bestehen fort, wenn gleich geschwächt und öfters ab- hängig, ja selbst auf dem platten Lande und in den kleineren Städten werden die Hellenen geduldet und Kyme zum Bei- spiel, Posidonia, Laos, Hipponion blieben, wie Skylax und die Münzen lehren, auch unter samnitischer Herrschaft noch Grie- chenstädte. So entstanden gemischte Bevölkerungen, wie denn namentlich die zwiesprachigen Brettier auſser samnitischen Röm. Gesch. I. 15

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/239>, abgerufen am 22.11.2024.