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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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UNTERWERFUNG DER LATINER UND CAMPANER.
leichter Mühe bemeisterte Rom die einzelnen Städte; Tuscu-
lum ward sogar genöthigt sein Gemeinwesen aufzugeben und
in den römischen Bürgerverband einzutreten -- der erste
Fall der Incorporation einer ganzen Bürgerschaft in die rö-
mische ohne Schleifung der Stadt. Bald nachher geschah
dasselbe mit Satricum. Ernster war der Kampf gegen die Her-
niker (392-396), in dem der erste plebejische Consul Gaius
Genucius fiel; allein auch hier siegten die Römer und diese
Niederlage bewog die Latiner das Bündniss mit Rom zu er-
neuern (396). Allein mit gutem Willem folgten sie nicht
mehr den römischen Fahnen; ihre Reisläufer fochten zahl-
reich in den Heeren, die gegen Rom im Felde standen, und
der Beschluss der latinischen Bundesversammlung im Jahre
405 den Römern den Zuzug zu weigern zeigte, was beim
Ausbruch eines ernstlichen Kampfes bevorstand. Und dass
ein solcher sich vorbereitete, war klar. Unaufhaltsam näherten
sich die römischen Legionen dem Liris; schon 397 ward
glücklich gekämpft mit den Privernaten, 409 mit den Aurun-
kern, denen Sora am Liris entrissen ward. Schon standen
die römischen Heere an der Grenze der Samniten und das
Freundschaftsbündniss, das im Jahre 400 die beiden tapfersten
und mächtigsten italischen Nationen mit einander schlossen,
war das sichere Vorzeichen des herannahenden Kampfes um
die Oberherrschaft Italiens.

In einer Hinsicht wenigstens war es ein gleicher Kampf.
Dass die phalangitische Ordnung des römischen Heeres, die
in der servianischen Zeit von den unteritalischen Griechen
entlehnt worden war, in der Zeit des Pyrrhos nicht mehr be-
stand, ist ausgemacht. Es ist in der Zwischenzeit die ge-
schlossene Reihe der schwergerüsteten Lanzenträger aufgelöst
worden in kleinere und beweglichere Abtheilungen, die Lanze
selbst beschränkt worden auf einen Theil der Truppe; dafür
tritt ein der eigenthümliche schwere Wurfspeer, das viereckige
oder runde halb von Eisen halb von Holz gemachte Pilum,
und das Schwert gewinnt grössere Bedeutung, von geringeren
Aenderungen zu schweigen. Einzelne dieser Veränderungen
scheinen von den gegen das Ende des vierten Jahrhunderts ge-
führten gallischen Kriegen herzurühren; es wird ferner berich-
tet, dass die Römer ihre neuen Waffen entlehnt hätten von
den Samniten. Schwerlich wird es sich bestimmt entscheiden
lassen, wann und wie diese neue Militärorganisation statt-
gefunden hat, die für die Machtentwicklung Roms von der

UNTERWERFUNG DER LATINER UND CAMPANER.
leichter Mühe bemeisterte Rom die einzelnen Städte; Tuscu-
lum ward sogar genöthigt sein Gemeinwesen aufzugeben und
in den römischen Bürgerverband einzutreten — der erste
Fall der Incorporation einer ganzen Bürgerschaft in die rö-
mische ohne Schleifung der Stadt. Bald nachher geschah
dasselbe mit Satricum. Ernster war der Kampf gegen die Her-
niker (392-396), in dem der erste plebejische Consul Gaius
Genucius fiel; allein auch hier siegten die Römer und diese
Niederlage bewog die Latiner das Bündniſs mit Rom zu er-
neuern (396). Allein mit gutem Willem folgten sie nicht
mehr den römischen Fahnen; ihre Reisläufer fochten zahl-
reich in den Heeren, die gegen Rom im Felde standen, und
der Beschluſs der latinischen Bundesversammlung im Jahre
405 den Römern den Zuzug zu weigern zeigte, was beim
Ausbruch eines ernstlichen Kampfes bevorstand. Und daſs
ein solcher sich vorbereitete, war klar. Unaufhaltsam näherten
sich die römischen Legionen dem Liris; schon 397 ward
glücklich gekämpft mit den Privernaten, 409 mit den Aurun-
kern, denen Sora am Liris entrissen ward. Schon standen
die römischen Heere an der Grenze der Samniten und das
Freundschaftsbündniſs, das im Jahre 400 die beiden tapfersten
und mächtigsten italischen Nationen mit einander schlossen,
war das sichere Vorzeichen des herannahenden Kampfes um
die Oberherrschaft Italiens.

In einer Hinsicht wenigstens war es ein gleicher Kampf.
Daſs die phalangitische Ordnung des römischen Heeres, die
in der servianischen Zeit von den unteritalischen Griechen
entlehnt worden war, in der Zeit des Pyrrhos nicht mehr be-
stand, ist ausgemacht. Es ist in der Zwischenzeit die ge-
schlossene Reihe der schwergerüsteten Lanzenträger aufgelöst
worden in kleinere und beweglichere Abtheilungen, die Lanze
selbst beschränkt worden auf einen Theil der Truppe; dafür
tritt ein der eigenthümliche schwere Wurfspeer, das viereckige
oder runde halb von Eisen halb von Holz gemachte Pilum,
und das Schwert gewinnt grössere Bedeutung, von geringeren
Aenderungen zu schweigen. Einzelne dieser Veränderungen
scheinen von den gegen das Ende des vierten Jahrhunderts ge-
führten gallischen Kriegen herzurühren; es wird ferner berich-
tet, daſs die Römer ihre neuen Waffen entlehnt hätten von
den Samniten. Schwerlich wird es sich bestimmt entscheiden
lassen, wann und wie diese neue Militärorganisation statt-
gefunden hat, die für die Machtentwicklung Roms von der

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[223/0237] UNTERWERFUNG DER LATINER UND CAMPANER. leichter Mühe bemeisterte Rom die einzelnen Städte; Tuscu- lum ward sogar genöthigt sein Gemeinwesen aufzugeben und in den römischen Bürgerverband einzutreten — der erste Fall der Incorporation einer ganzen Bürgerschaft in die rö- mische ohne Schleifung der Stadt. Bald nachher geschah dasselbe mit Satricum. Ernster war der Kampf gegen die Her- niker (392-396), in dem der erste plebejische Consul Gaius Genucius fiel; allein auch hier siegten die Römer und diese Niederlage bewog die Latiner das Bündniſs mit Rom zu er- neuern (396). Allein mit gutem Willem folgten sie nicht mehr den römischen Fahnen; ihre Reisläufer fochten zahl- reich in den Heeren, die gegen Rom im Felde standen, und der Beschluſs der latinischen Bundesversammlung im Jahre 405 den Römern den Zuzug zu weigern zeigte, was beim Ausbruch eines ernstlichen Kampfes bevorstand. Und daſs ein solcher sich vorbereitete, war klar. Unaufhaltsam näherten sich die römischen Legionen dem Liris; schon 397 ward glücklich gekämpft mit den Privernaten, 409 mit den Aurun- kern, denen Sora am Liris entrissen ward. Schon standen die römischen Heere an der Grenze der Samniten und das Freundschaftsbündniſs, das im Jahre 400 die beiden tapfersten und mächtigsten italischen Nationen mit einander schlossen, war das sichere Vorzeichen des herannahenden Kampfes um die Oberherrschaft Italiens. In einer Hinsicht wenigstens war es ein gleicher Kampf. Daſs die phalangitische Ordnung des römischen Heeres, die in der servianischen Zeit von den unteritalischen Griechen entlehnt worden war, in der Zeit des Pyrrhos nicht mehr be- stand, ist ausgemacht. Es ist in der Zwischenzeit die ge- schlossene Reihe der schwergerüsteten Lanzenträger aufgelöst worden in kleinere und beweglichere Abtheilungen, die Lanze selbst beschränkt worden auf einen Theil der Truppe; dafür tritt ein der eigenthümliche schwere Wurfspeer, das viereckige oder runde halb von Eisen halb von Holz gemachte Pilum, und das Schwert gewinnt grössere Bedeutung, von geringeren Aenderungen zu schweigen. Einzelne dieser Veränderungen scheinen von den gegen das Ende des vierten Jahrhunderts ge- führten gallischen Kriegen herzurühren; es wird ferner berich- tet, daſs die Römer ihre neuen Waffen entlehnt hätten von den Samniten. Schwerlich wird es sich bestimmt entscheiden lassen, wann und wie diese neue Militärorganisation statt- gefunden hat, die für die Machtentwicklung Roms von der

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/237>, abgerufen am 02.05.2024.