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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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STURZ DER ETRUSKISCHEN MACHT. DIE KELTEN.
die Neige zu gehen, als ein Einfall der Veneter in das neu
gewonnene senonische Gebiet am Padus den Kelten gemeldet
ward und sie bewog das gebotene Lösegeld anzunehmen. Das
höhnische Hinwerfen des gallischen Schwertes, dass es auf-
gewogen werde vom römischen Golde, bezeichnete sehr richtig
die Lage der Dinge. Das Eisen der Barbaren hatte gesiegt,
aber sie verkauften ihren Sieg und gaben ihn damit verloren.
-- Die fürchterliche Katastrophe der Niederlage und des Bran-
des, der 18. Juli und der Bach der Allia, der Platz wo die
Heiligthümer vergraben gewesen und wo die Ueberrumpelung
der Burg war abgeschlagen worden -- all die Einzelheiten
dieses unerhörten Ereignisses gingen über von der Erinne-
rung der Zeitgenossen in die Phantasie der Nachwelt und noch
wir begreifen es kaum, dass wirklich schon zwei Jahrtausende
verflossen sind, seit jene welthistorischen Gänse sich wachsamer
bewiesen als die aufgestellten Posten. Und doch -- mochten
die Römer fortan datiren nach der Aera der Eroberung der
Stadt, mochte diese Begebenheit wiederhallen in der ganzen
damaligen civilisirten Welt und ihren Weg finden bis in die grie-
chischen Annalen: die Schlacht an der Allia mit ihren Folgen
ist dennoch kaum den folgenreichen geschichtlichen Begeben-
heiten beizuzählen. Sie ändert eben nichts in den politischen
Verhältnissen. Wie die Gallier wieder abgezogen sind mit
ihrem Golde, das nur eine spät und schlecht erfundene Sage
den Sieger von Veii wieder zurückbringen lässt nach Rom; wie
die Flüchtigen sich wieder heimgefunden haben, der wahn-
sinnige Gedanke einiger mattherzigen Klugheitspolitiker die
Bürgerschaft nach Veii überzusiedeln durch Camillus hoch-
herzige Gegenrede beseitigt ist, die Häuser eilig und unor-
dentlich -- die engen und krummen Strassen schreiben von
dieser Zeit sich her -- sich aus den Trümmern erheben, steht
auch Rom wieder da in seiner alten gebietenden Stellung;
ja es ist nicht unwahrscheinlich, dass dieses Ereigniss dem
Gegensatz zwischen Etrurien und Rom seine Schärfe zu neh-
men und mehr noch zwischen Latium und Rom die alten
Bande der Einigkeit fester zu knüpfen wesentlich beigetragen
hat. Der Kampf der Gallier und der Römer ist, ungleich dem
zwischen Rom und Etrurien oder Rom und Samnium, nicht ein
Zusammenstossen zweier politischer Mächte, die einander be-
dingen und bestimmen; er ist den Naturkatastrophen vergleich-
bar, nach denen der Organismus, wenn er nicht zerstört wird,
sofort wieder sich ins Gleiche setzt. Die Gallier sind noch

STURZ DER ETRUSKISCHEN MACHT. DIE KELTEN.
die Neige zu gehen, als ein Einfall der Veneter in das neu
gewonnene senonische Gebiet am Padus den Kelten gemeldet
ward und sie bewog das gebotene Lösegeld anzunehmen. Das
höhnische Hinwerfen des gallischen Schwertes, daſs es auf-
gewogen werde vom römischen Golde, bezeichnete sehr richtig
die Lage der Dinge. Das Eisen der Barbaren hatte gesiegt,
aber sie verkauften ihren Sieg und gaben ihn damit verloren.
— Die fürchterliche Katastrophe der Niederlage und des Bran-
des, der 18. Juli und der Bach der Allia, der Platz wo die
Heiligthümer vergraben gewesen und wo die Ueberrumpelung
der Burg war abgeschlagen worden — all die Einzelheiten
dieses unerhörten Ereignisses gingen über von der Erinne-
rung der Zeitgenossen in die Phantasie der Nachwelt und noch
wir begreifen es kaum, daſs wirklich schon zwei Jahrtausende
verflossen sind, seit jene welthistorischen Gänse sich wachsamer
bewiesen als die aufgestellten Posten. Und doch — mochten
die Römer fortan datiren nach der Aera der Eroberung der
Stadt, mochte diese Begebenheit wiederhallen in der ganzen
damaligen civilisirten Welt und ihren Weg finden bis in die grie-
chischen Annalen: die Schlacht an der Allia mit ihren Folgen
ist dennoch kaum den folgenreichen geschichtlichen Begeben-
heiten beizuzählen. Sie ändert eben nichts in den politischen
Verhältnissen. Wie die Gallier wieder abgezogen sind mit
ihrem Golde, das nur eine spät und schlecht erfundene Sage
den Sieger von Veii wieder zurückbringen läſst nach Rom; wie
die Flüchtigen sich wieder heimgefunden haben, der wahn-
sinnige Gedanke einiger mattherzigen Klugheitspolitiker die
Bürgerschaft nach Veii überzusiedeln durch Camillus hoch-
herzige Gegenrede beseitigt ist, die Häuser eilig und unor-
dentlich — die engen und krummen Straſsen schreiben von
dieser Zeit sich her — sich aus den Trümmern erheben, steht
auch Rom wieder da in seiner alten gebietenden Stellung;
ja es ist nicht unwahrscheinlich, daſs dieses Ereigniſs dem
Gegensatz zwischen Etrurien und Rom seine Schärfe zu neh-
men und mehr noch zwischen Latium und Rom die alten
Bande der Einigkeit fester zu knüpfen wesentlich beigetragen
hat. Der Kampf der Gallier und der Römer ist, ungleich dem
zwischen Rom und Etrurien oder Rom und Samnium, nicht ein
Zusammenstoſsen zweier politischer Mächte, die einander be-
dingen und bestimmen; er ist den Naturkatastrophen vergleich-
bar, nach denen der Organismus, wenn er nicht zerstört wird,
sofort wieder sich ins Gleiche setzt. Die Gallier sind noch

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[215/0229] STURZ DER ETRUSKISCHEN MACHT. DIE KELTEN. die Neige zu gehen, als ein Einfall der Veneter in das neu gewonnene senonische Gebiet am Padus den Kelten gemeldet ward und sie bewog das gebotene Lösegeld anzunehmen. Das höhnische Hinwerfen des gallischen Schwertes, daſs es auf- gewogen werde vom römischen Golde, bezeichnete sehr richtig die Lage der Dinge. Das Eisen der Barbaren hatte gesiegt, aber sie verkauften ihren Sieg und gaben ihn damit verloren. — Die fürchterliche Katastrophe der Niederlage und des Bran- des, der 18. Juli und der Bach der Allia, der Platz wo die Heiligthümer vergraben gewesen und wo die Ueberrumpelung der Burg war abgeschlagen worden — all die Einzelheiten dieses unerhörten Ereignisses gingen über von der Erinne- rung der Zeitgenossen in die Phantasie der Nachwelt und noch wir begreifen es kaum, daſs wirklich schon zwei Jahrtausende verflossen sind, seit jene welthistorischen Gänse sich wachsamer bewiesen als die aufgestellten Posten. Und doch — mochten die Römer fortan datiren nach der Aera der Eroberung der Stadt, mochte diese Begebenheit wiederhallen in der ganzen damaligen civilisirten Welt und ihren Weg finden bis in die grie- chischen Annalen: die Schlacht an der Allia mit ihren Folgen ist dennoch kaum den folgenreichen geschichtlichen Begeben- heiten beizuzählen. Sie ändert eben nichts in den politischen Verhältnissen. Wie die Gallier wieder abgezogen sind mit ihrem Golde, das nur eine spät und schlecht erfundene Sage den Sieger von Veii wieder zurückbringen läſst nach Rom; wie die Flüchtigen sich wieder heimgefunden haben, der wahn- sinnige Gedanke einiger mattherzigen Klugheitspolitiker die Bürgerschaft nach Veii überzusiedeln durch Camillus hoch- herzige Gegenrede beseitigt ist, die Häuser eilig und unor- dentlich — die engen und krummen Straſsen schreiben von dieser Zeit sich her — sich aus den Trümmern erheben, steht auch Rom wieder da in seiner alten gebietenden Stellung; ja es ist nicht unwahrscheinlich, daſs dieses Ereigniſs dem Gegensatz zwischen Etrurien und Rom seine Schärfe zu neh- men und mehr noch zwischen Latium und Rom die alten Bande der Einigkeit fester zu knüpfen wesentlich beigetragen hat. Der Kampf der Gallier und der Römer ist, ungleich dem zwischen Rom und Etrurien oder Rom und Samnium, nicht ein Zusammenstoſsen zweier politischer Mächte, die einander be- dingen und bestimmen; er ist den Naturkatastrophen vergleich- bar, nach denen der Organismus, wenn er nicht zerstört wird, sofort wieder sich ins Gleiche setzt. Die Gallier sind noch

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/229>, abgerufen am 22.11.2024.