Sagen, gewöhnlich ohne Sinn für Sage wie für Geschichte zusammengesetzt und conventionell fixirt ist, so müsste man die Aufgabe als eine hoffnungslose abweisen. Allein noch fliesst auch für uns eine Quelle der Ueberlieferung, welche zwar auch nur Bruchstücke, aber doch authentische gewährt; es sind dies die einheimischen Sprachen der in Italien seit unvordenklicher Zeit ansässigen Stämme. Ihnen, die mit dem Volke selbst geworden sind, war der Stempel des Werdens zu tief eingeprägt um durch die nachfolgende Cultur gänzlich ver- wischt zu werden. Ist von den italischen Sprachen auch nur eine vollständig bekannt, so sind doch von mehreren anderen hinreichende Ueberreste erhalten um der Geschichtsforschung einen Anhalt zu gewähren über die Stammverschiedenheit oder Stammverwandschaft und deren Grade zwischen den einzelnen Sprachen und Völkern. -- So lehrt uns die Sprachforschung drei italische Urstämme unterscheiden, den iapygischen, den etruskischen und den italischen, wie wir ihn nennen wollen, von welchen der letztere in zwei Hauptzweige sich spaltet: das latinische Idiom und dasjenige, dem die Dialekte der Umbrer, Marser, Volsker und Samniten angehören.
Von dem iapygischen Stamm haben wir nur geringe Kunde. Im äussersten Südosten Italiens, auf der messapischen oder calabrischen Halbinsel sind Inschriften in ziemlicher An- zahl gefunden worden, deren Sprache wesentliche Verschieden- heit von allen andern italischen und eine gewisse Analogie mit den griechischen Dialekten zeigt, zum Beispiel in dem Gebrauch der aspirirten Consonanten und dem Vermeiden der Buch- staben m und t im Auslaut. Sie sind nicht enträthselt und es ist kaum zu hoffen, dass dies dereinst gelingen wird *. Dass der Dialekt dem indogermanischen angehört, scheinen die Genitivformen aihi und ihi, entsprechend dem sanskritischen asya, dem griechischen oio, anzudeuten. Unzweifelhaft ge- hören diese Trümmer dem Idiom der Iapyger an, welche auch die Ueberlieferung mit grosser Bestimmtheit von den latini- schen und samnitischen Stämmen unterscheidet; glaubwürdige Angaben und zahlreiche Spuren führen dahin, dass die gleiche Sprache und der gleiche Stamm auch in Apulien ursprünglich sesshaft war. Bemerkenswerth ist die auffallende Leichtigkeit, mit der diese Nation sich hellenisirt: Apulien, noch in Timaeos
* Ihren Klang mögen einige Grabschriften vergegenwärtigen; wie theo- toras artahiaihi bennarrihino und dazihonas platorrihi bollihi.
ERSTES BUCH. KAPITEL II.
Sagen, gewöhnlich ohne Sinn für Sage wie für Geschichte zusammengesetzt und conventionell fixirt ist, so müſste man die Aufgabe als eine hoffnungslose abweisen. Allein noch flieſst auch für uns eine Quelle der Ueberlieferung, welche zwar auch nur Bruchstücke, aber doch authentische gewährt; es sind dies die einheimischen Sprachen der in Italien seit unvordenklicher Zeit ansässigen Stämme. Ihnen, die mit dem Volke selbst geworden sind, war der Stempel des Werdens zu tief eingeprägt um durch die nachfolgende Cultur gänzlich ver- wischt zu werden. Ist von den italischen Sprachen auch nur eine vollständig bekannt, so sind doch von mehreren anderen hinreichende Ueberreste erhalten um der Geschichtsforschung einen Anhalt zu gewähren über die Stammverschiedenheit oder Stammverwandschaft und deren Grade zwischen den einzelnen Sprachen und Völkern. — So lehrt uns die Sprachforschung drei italische Urstämme unterscheiden, den iapygischen, den etruskischen und den italischen, wie wir ihn nennen wollen, von welchen der letztere in zwei Hauptzweige sich spaltet: das latinische Idiom und dasjenige, dem die Dialekte der Umbrer, Marser, Volsker und Samniten angehören.
Von dem iapygischen Stamm haben wir nur geringe Kunde. Im äuſsersten Südosten Italiens, auf der messapischen oder calabrischen Halbinsel sind Inschriften in ziemlicher An- zahl gefunden worden, deren Sprache wesentliche Verschieden- heit von allen andern italischen und eine gewisse Analogie mit den griechischen Dialekten zeigt, zum Beispiel in dem Gebrauch der aspirirten Consonanten und dem Vermeiden der Buch- staben m und t im Auslaut. Sie sind nicht enträthselt und es ist kaum zu hoffen, daſs dies dereinst gelingen wird *. Daſs der Dialekt dem indogermanischen angehört, scheinen die Genitivformen aihi und ihi, entsprechend dem sanskritischen asya, dem griechischen οιο, anzudeuten. Unzweifelhaft ge- hören diese Trümmer dem Idiom der Iapyger an, welche auch die Ueberlieferung mit groſser Bestimmtheit von den latini- schen und samnitischen Stämmen unterscheidet; glaubwürdige Angaben und zahlreiche Spuren führen dahin, daſs die gleiche Sprache und der gleiche Stamm auch in Apulien ursprünglich seſshaft war. Bemerkenswerth ist die auffallende Leichtigkeit, mit der diese Nation sich hellenisirt: Apulien, noch in Timaeos
* Ihren Klang mögen einige Grabschriften vergegenwärtigen; wie ϑεο- τοϱας artahiaihi bennarrihino und dazihonas platorrihi bollihi.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0022"n="8"/><fwplace="top"type="header">ERSTES BUCH. KAPITEL II.</fw><lb/>
Sagen, gewöhnlich ohne Sinn für Sage wie für Geschichte<lb/>
zusammengesetzt und conventionell fixirt ist, so müſste man<lb/>
die Aufgabe als eine hoffnungslose abweisen. Allein noch<lb/>
flieſst auch für uns eine Quelle der Ueberlieferung, welche<lb/>
zwar auch nur Bruchstücke, aber doch authentische gewährt;<lb/>
es sind dies die einheimischen Sprachen der in Italien seit<lb/>
unvordenklicher Zeit ansässigen Stämme. Ihnen, die mit dem<lb/>
Volke selbst geworden sind, war der Stempel des Werdens zu<lb/>
tief eingeprägt um durch die nachfolgende Cultur gänzlich ver-<lb/>
wischt zu werden. Ist von den italischen Sprachen auch nur<lb/>
eine vollständig bekannt, so sind doch von mehreren anderen<lb/>
hinreichende Ueberreste erhalten um der Geschichtsforschung<lb/>
einen Anhalt zu gewähren über die Stammverschiedenheit oder<lb/>
Stammverwandschaft und deren Grade zwischen den einzelnen<lb/>
Sprachen und Völkern. — So lehrt uns die Sprachforschung<lb/>
drei italische Urstämme unterscheiden, den iapygischen, den<lb/>
etruskischen und den italischen, wie wir ihn nennen wollen,<lb/>
von welchen der letztere in zwei Hauptzweige sich spaltet:<lb/>
das latinische Idiom und dasjenige, dem die Dialekte der<lb/>
Umbrer, Marser, Volsker und Samniten angehören.</p><lb/><p>Von dem iapygischen Stamm haben wir nur geringe<lb/>
Kunde. Im äuſsersten Südosten Italiens, auf der messapischen<lb/>
oder calabrischen Halbinsel sind Inschriften in ziemlicher An-<lb/>
zahl gefunden worden, deren Sprache wesentliche Verschieden-<lb/>
heit von allen andern italischen und eine gewisse Analogie mit<lb/>
den griechischen Dialekten zeigt, zum Beispiel in dem Gebrauch<lb/>
der aspirirten Consonanten und dem Vermeiden der Buch-<lb/>
staben <hirendition="#i">m</hi> und <hirendition="#i">t</hi> im Auslaut. Sie sind nicht enträthselt und<lb/>
es ist kaum zu hoffen, daſs dies dereinst gelingen wird <noteplace="foot"n="*"><lb/>
Ihren Klang mögen einige Grabschriften vergegenwärtigen; wie ϑεο-<lb/>τοϱας<hirendition="#i">artahiaihi bennarrihino</hi> und <hirendition="#i">dazihonas platorrihi bollihi.</hi></note>.<lb/>
Daſs der Dialekt dem indogermanischen angehört, scheinen die<lb/>
Genitivformen <hirendition="#i">aihi</hi> und <hirendition="#i">ihi,</hi> entsprechend dem sanskritischen<lb/><hirendition="#i">asya,</hi> dem griechischen <hirendition="#i">οιο,</hi> anzudeuten. Unzweifelhaft ge-<lb/>
hören diese Trümmer dem Idiom der Iapyger an, welche auch<lb/>
die Ueberlieferung mit groſser Bestimmtheit von den latini-<lb/>
schen und samnitischen Stämmen unterscheidet; glaubwürdige<lb/>
Angaben und zahlreiche Spuren führen dahin, daſs die gleiche<lb/>
Sprache und der gleiche Stamm auch in Apulien ursprünglich<lb/>
seſshaft war. Bemerkenswerth ist die auffallende Leichtigkeit,<lb/>
mit der diese Nation sich hellenisirt: Apulien, noch in Timaeos<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[8/0022]
ERSTES BUCH. KAPITEL II.
Sagen, gewöhnlich ohne Sinn für Sage wie für Geschichte
zusammengesetzt und conventionell fixirt ist, so müſste man
die Aufgabe als eine hoffnungslose abweisen. Allein noch
flieſst auch für uns eine Quelle der Ueberlieferung, welche
zwar auch nur Bruchstücke, aber doch authentische gewährt;
es sind dies die einheimischen Sprachen der in Italien seit
unvordenklicher Zeit ansässigen Stämme. Ihnen, die mit dem
Volke selbst geworden sind, war der Stempel des Werdens zu
tief eingeprägt um durch die nachfolgende Cultur gänzlich ver-
wischt zu werden. Ist von den italischen Sprachen auch nur
eine vollständig bekannt, so sind doch von mehreren anderen
hinreichende Ueberreste erhalten um der Geschichtsforschung
einen Anhalt zu gewähren über die Stammverschiedenheit oder
Stammverwandschaft und deren Grade zwischen den einzelnen
Sprachen und Völkern. — So lehrt uns die Sprachforschung
drei italische Urstämme unterscheiden, den iapygischen, den
etruskischen und den italischen, wie wir ihn nennen wollen,
von welchen der letztere in zwei Hauptzweige sich spaltet:
das latinische Idiom und dasjenige, dem die Dialekte der
Umbrer, Marser, Volsker und Samniten angehören.
Von dem iapygischen Stamm haben wir nur geringe
Kunde. Im äuſsersten Südosten Italiens, auf der messapischen
oder calabrischen Halbinsel sind Inschriften in ziemlicher An-
zahl gefunden worden, deren Sprache wesentliche Verschieden-
heit von allen andern italischen und eine gewisse Analogie mit
den griechischen Dialekten zeigt, zum Beispiel in dem Gebrauch
der aspirirten Consonanten und dem Vermeiden der Buch-
staben m und t im Auslaut. Sie sind nicht enträthselt und
es ist kaum zu hoffen, daſs dies dereinst gelingen wird *.
Daſs der Dialekt dem indogermanischen angehört, scheinen die
Genitivformen aihi und ihi, entsprechend dem sanskritischen
asya, dem griechischen οιο, anzudeuten. Unzweifelhaft ge-
hören diese Trümmer dem Idiom der Iapyger an, welche auch
die Ueberlieferung mit groſser Bestimmtheit von den latini-
schen und samnitischen Stämmen unterscheidet; glaubwürdige
Angaben und zahlreiche Spuren führen dahin, daſs die gleiche
Sprache und der gleiche Stamm auch in Apulien ursprünglich
seſshaft war. Bemerkenswerth ist die auffallende Leichtigkeit,
mit der diese Nation sich hellenisirt: Apulien, noch in Timaeos
*
Ihren Klang mögen einige Grabschriften vergegenwärtigen; wie ϑεο-
τοϱας artahiaihi bennarrihino und dazihonas platorrihi bollihi.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/22>, abgerufen am 22.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.