als solche die eigentliche Stadt regelmässig nicht betreten durften. Dass organische und auf die Dauer wirksame Be- stimmungen nur unter der Herrschaft der bürgerlichen Gewalt getroffen werden könnten, lag im Geiste der Verfassung, und wenn auch gelegentlich ein Beamter diesen Satz nicht respec- tirte und im Lager eine Volksversammlung berief, so war ein solcher Beschluss zwar nicht rechtlich nichtig, allein die Sitte missbilligte dieses Verfahren und es unterblieb bald als wäre es verboten. Jener Gegensatz der Quiriten und Soldaten wurzelte allmählich fest und fester in den Gemüthern der Bürger.
Ein bürgerliches Gemeinwesen ward also begründet durch die Aenderung der Verfassung, deren tiefgreifende Bedeutung man verkennt, wenn man darin bloss eine Veränderung in der Dauer der höchsten Magistratur sieht, und nicht minder verkennt, wenn man sie bezeichnet als einen Sieg des Patri- ciats über die Plebejer und die königliche Gewalt. Es ist zwar vollkommen richtig, dass durch die neue Verfassung zu- nächst das Patriciat ans Regiment kam. Wohl war der König Patricier wie der Consul, aber jener war durch seine Aus- nahmestellung über Patricier nicht minder wie über Plebejer hinausgerückt und konnte leicht in den Fall kommen sich vorzugsweise auf die Menge gegen den Adel zu stützen. Da- gegen der Consul, der nie vergessen konnte, dass er dem adlichen Mitbürger, dem er heute befahl, morgen werde ge- horchen müssen; dessen Gewalt stets durch den Collegen gelähmt und leicht durch die Dictatur suspendirt werden konnte, stand keineswegs ausserhalb seines Standes. Was aber noch wichtiger ist, es fehlte ihm das erste Element die politischen Angelegenheiten zu leiten und zu entscheiden, die Zeit. Der Vorsteher eines Gemeinwesens, welche Machtfülle ihm immer eingeräumt werde, wird die politische Leitung der Dinge nie in die Hand bekommen, wenn er nicht auf längere Frist bestellt ist; denn Stabilität ist die erste und nothwendigste Bedingung des Regiments. Das ist der Grund, wesshalb der Staatsrath, der wie früher dem König so jetzt dem Consul zur Seite stand, sofort mit der Abschaffung des Königthums die gesammte executive Gewalt erwarb, und der Consul, obwohl rechtlich von dem Rathe unabhängig wie der König, doch thatsächlich herabsank zum präsidirenden und ausführenden Chef der Rathsversammlung, der die laufenden Geschäfte besorgte, die Prozesse entschied und in den Krie-
AENDERUNG DER VERFASSUNG.
als solche die eigentliche Stadt regelmäſsig nicht betreten durften. Daſs organische und auf die Dauer wirksame Be- stimmungen nur unter der Herrschaft der bürgerlichen Gewalt getroffen werden könnten, lag im Geiste der Verfassung, und wenn auch gelegentlich ein Beamter diesen Satz nicht respec- tirte und im Lager eine Volksversammlung berief, so war ein solcher Beschluſs zwar nicht rechtlich nichtig, allein die Sitte miſsbilligte dieses Verfahren und es unterblieb bald als wäre es verboten. Jener Gegensatz der Quiriten und Soldaten wurzelte allmählich fest und fester in den Gemüthern der Bürger.
Ein bürgerliches Gemeinwesen ward also begründet durch die Aenderung der Verfassung, deren tiefgreifende Bedeutung man verkennt, wenn man darin bloſs eine Veränderung in der Dauer der höchsten Magistratur sieht, und nicht minder verkennt, wenn man sie bezeichnet als einen Sieg des Patri- ciats über die Plebejer und die königliche Gewalt. Es ist zwar vollkommen richtig, daſs durch die neue Verfassung zu- nächst das Patriciat ans Regiment kam. Wohl war der König Patricier wie der Consul, aber jener war durch seine Aus- nahmestellung über Patricier nicht minder wie über Plebejer hinausgerückt und konnte leicht in den Fall kommen sich vorzugsweise auf die Menge gegen den Adel zu stützen. Da- gegen der Consul, der nie vergessen konnte, daſs er dem adlichen Mitbürger, dem er heute befahl, morgen werde ge- horchen müssen; dessen Gewalt stets durch den Collegen gelähmt und leicht durch die Dictatur suspendirt werden konnte, stand keineswegs auſserhalb seines Standes. Was aber noch wichtiger ist, es fehlte ihm das erste Element die politischen Angelegenheiten zu leiten und zu entscheiden, die Zeit. Der Vorsteher eines Gemeinwesens, welche Machtfülle ihm immer eingeräumt werde, wird die politische Leitung der Dinge nie in die Hand bekommen, wenn er nicht auf längere Frist bestellt ist; denn Stabilität ist die erste und nothwendigste Bedingung des Regiments. Das ist der Grund, weſshalb der Staatsrath, der wie früher dem König so jetzt dem Consul zur Seite stand, sofort mit der Abschaffung des Königthums die gesammte executive Gewalt erwarb, und der Consul, obwohl rechtlich von dem Rathe unabhängig wie der König, doch thatsächlich herabsank zum präsidirenden und ausführenden Chef der Rathsversammlung, der die laufenden Geschäfte besorgte, die Prozesse entschied und in den Krie-
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AENDERUNG DER VERFASSUNG.
als solche die eigentliche Stadt regelmäſsig nicht betreten
durften. Daſs organische und auf die Dauer wirksame Be-
stimmungen nur unter der Herrschaft der bürgerlichen Gewalt
getroffen werden könnten, lag im Geiste der Verfassung, und
wenn auch gelegentlich ein Beamter diesen Satz nicht respec-
tirte und im Lager eine Volksversammlung berief, so war ein
solcher Beschluſs zwar nicht rechtlich nichtig, allein die Sitte
miſsbilligte dieses Verfahren und es unterblieb bald als wäre
es verboten. Jener Gegensatz der Quiriten und Soldaten
wurzelte allmählich fest und fester in den Gemüthern der
Bürger.
Ein bürgerliches Gemeinwesen ward also begründet durch
die Aenderung der Verfassung, deren tiefgreifende Bedeutung
man verkennt, wenn man darin bloſs eine Veränderung in
der Dauer der höchsten Magistratur sieht, und nicht minder
verkennt, wenn man sie bezeichnet als einen Sieg des Patri-
ciats über die Plebejer und die königliche Gewalt. Es ist
zwar vollkommen richtig, daſs durch die neue Verfassung zu-
nächst das Patriciat ans Regiment kam. Wohl war der König
Patricier wie der Consul, aber jener war durch seine Aus-
nahmestellung über Patricier nicht minder wie über Plebejer
hinausgerückt und konnte leicht in den Fall kommen sich
vorzugsweise auf die Menge gegen den Adel zu stützen. Da-
gegen der Consul, der nie vergessen konnte, daſs er dem
adlichen Mitbürger, dem er heute befahl, morgen werde ge-
horchen müssen; dessen Gewalt stets durch den Collegen
gelähmt und leicht durch die Dictatur suspendirt werden
konnte, stand keineswegs auſserhalb seines Standes. Was
aber noch wichtiger ist, es fehlte ihm das erste Element die
politischen Angelegenheiten zu leiten und zu entscheiden, die
Zeit. Der Vorsteher eines Gemeinwesens, welche Machtfülle
ihm immer eingeräumt werde, wird die politische Leitung
der Dinge nie in die Hand bekommen, wenn er nicht auf
längere Frist bestellt ist; denn Stabilität ist die erste und
nothwendigste Bedingung des Regiments. Das ist der Grund,
weſshalb der Staatsrath, der wie früher dem König so jetzt
dem Consul zur Seite stand, sofort mit der Abschaffung des
Königthums die gesammte executive Gewalt erwarb, und der
Consul, obwohl rechtlich von dem Rathe unabhängig wie der
König, doch thatsächlich herabsank zum präsidirenden und
ausführenden Chef der Rathsversammlung, der die laufenden
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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/181>, abgerufen am 24.11.2024.
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