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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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ERSTES BUCH. KAPITEL XII.
treter der Ramner; der von den Sabinern entlehnte Mars,
der mit den Titiern nach Rom kam; endlich der Quirinus,
der von der geschlossenen Gemeinde der römischen Speer-
träger (quirites) den Namen hat, wesshalb auch später, als
man die Zahl der Bezirke schloss, der letzte nach ihm ge-
nannt ward. Diesen drei Göttern waren ausserhalb der Stadt
-- der vorservianischen nämlich -- heilige Stätten gewidmet;
dem Iovis natürlich die Burg, dem Mars die Ebene zwischen
der Burg und dem Fluss, dem Quirinus der nach ihm be-
nannte Hügel. Dagegen der Gottheit des römischen Heerdes,
der Vesta war wie billig unmittelbar neben oder vielmehr in
dem Hause des Königs, in dem ältesten und vornehmsten
Theil der Stadt am Palatin, die Stätte bereitet, an welche die
,Vorrathskammer' (penates) sich anschloss. Diesen vier Gott-
heiten wurden seit ältester Zeit ständige Diener vom Staate
bestellt: jenen Dreien jedem ein ,Zünder' (flamen) zum Dar-
bringen der Brandopfer, während sechs keusche Jungfrauen,
gleichsam als die Haustöchter des römischen Volkes, zum
Dienste der Vesta genommen wurden und das heilsame Feuer
des gemeinen Heerdes, den Bürgern zum Exempel und Wahr-
zeichen, stets lodernd unterhielten. Es war dieser häuslich-
öffentliche Cult der heiligste aller römischen, wie er denn
auch unter allen heidnischen Gottesdiensten zuletzt dem Chri-
stenthum in Rom erlegen ist. -- Natürlich beschränkte sich
indess schon die älteste Verehrung keineswegs auf diejenigen
Gottheiten, die den römischen Staat unmittelbar darstellten;
auch andern Abstractionen wurde eine eigene Verehrung ge-
widmet, deren Ursprung zum Theil über Roms Entstehung
hinaufreichen mag und deren Begehung im Namen des Volkes
einzelnen Genossenschaften oder Geschlechtern oblag. Dahin
gehören die zwölf ,Springer' (salii) aus der Altstadt und die
zwölf Springer aus der Vorstadt, die im März den Waffentanz
aufführten und dazu sangen; ferner die zwölf ,Ackerbrüder'
(fratres arvales), welche die ,schaffende Göttin' im Mai anriefen
für das Gedeihen der Saaten. Diese drei nicht gentilicischen sind
unter allen Priestercollegien die vornehmsten. Ihnen schliesst
die titische Brüderschaft sich an, die den Sondercult der zweiten
römischen Tribus zu bewahren und zu besorgen hat. Minder an-
gesehen waren die Geschlechtsgottesdienste, bei denen zugleich
das Volk sich betheiligt. So das ,Wolfsfest' (lupercalia), das für
die Beschirmung der Heerden dem ,günstigen Gotte' (Faunus)
von dem uralten Fabiergeschlecht und dem nach Albas Fall

ERSTES BUCH. KAPITEL XII.
treter der Ramner; der von den Sabinern entlehnte Mars,
der mit den Titiern nach Rom kam; endlich der Quirinus,
der von der geschlossenen Gemeinde der römischen Speer-
träger (quirites) den Namen hat, weſshalb auch später, als
man die Zahl der Bezirke schloſs, der letzte nach ihm ge-
nannt ward. Diesen drei Göttern waren auſserhalb der Stadt
— der vorservianischen nämlich — heilige Stätten gewidmet;
dem Iovis natürlich die Burg, dem Mars die Ebene zwischen
der Burg und dem Fluſs, dem Quirinus der nach ihm be-
nannte Hügel. Dagegen der Gottheit des römischen Heerdes,
der Vesta war wie billig unmittelbar neben oder vielmehr in
dem Hause des Königs, in dem ältesten und vornehmsten
Theil der Stadt am Palatin, die Stätte bereitet, an welche die
‚Vorrathskammer‘ (penates) sich anschloſs. Diesen vier Gott-
heiten wurden seit ältester Zeit ständige Diener vom Staate
bestellt: jenen Dreien jedem ein ‚Zünder‘ (flamen) zum Dar-
bringen der Brandopfer, während sechs keusche Jungfrauen,
gleichsam als die Haustöchter des römischen Volkes, zum
Dienste der Vesta genommen wurden und das heilsame Feuer
des gemeinen Heerdes, den Bürgern zum Exempel und Wahr-
zeichen, stets lodernd unterhielten. Es war dieser häuslich-
öffentliche Cult der heiligste aller römischen, wie er denn
auch unter allen heidnischen Gottesdiensten zuletzt dem Chri-
stenthum in Rom erlegen ist. — Natürlich beschränkte sich
indeſs schon die älteste Verehrung keineswegs auf diejenigen
Gottheiten, die den römischen Staat unmittelbar darstellten;
auch andern Abstractionen wurde eine eigene Verehrung ge-
widmet, deren Ursprung zum Theil über Roms Entstehung
hinaufreichen mag und deren Begehung im Namen des Volkes
einzelnen Genossenschaften oder Geschlechtern oblag. Dahin
gehören die zwölf ‚Springer‘ (salii) aus der Altstadt und die
zwölf Springer aus der Vorstadt, die im März den Waffentanz
aufführten und dazu sangen; ferner die zwölf ‚Ackerbrüder‘
(fratres arvales), welche die ‚schaffende Göttin‘ im Mai anriefen
für das Gedeihen der Saaten. Diese drei nicht gentilicischen sind
unter allen Priestercollegien die vornehmsten. Ihnen schlieſst
die titische Brüderschaft sich an, die den Sondercult der zweiten
römischen Tribus zu bewahren und zu besorgen hat. Minder an-
gesehen waren die Geschlechtsgottesdienste, bei denen zugleich
das Volk sich betheiligt. So das ‚Wolfsfest‘ (lupercalia), das für
die Beschirmung der Heerden dem ‚günstigen Gotte‘ (Faunus)
von dem uralten Fabiergeschlecht und dem nach Albas Fall

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[112/0126] ERSTES BUCH. KAPITEL XII. treter der Ramner; der von den Sabinern entlehnte Mars, der mit den Titiern nach Rom kam; endlich der Quirinus, der von der geschlossenen Gemeinde der römischen Speer- träger (quirites) den Namen hat, weſshalb auch später, als man die Zahl der Bezirke schloſs, der letzte nach ihm ge- nannt ward. Diesen drei Göttern waren auſserhalb der Stadt — der vorservianischen nämlich — heilige Stätten gewidmet; dem Iovis natürlich die Burg, dem Mars die Ebene zwischen der Burg und dem Fluſs, dem Quirinus der nach ihm be- nannte Hügel. Dagegen der Gottheit des römischen Heerdes, der Vesta war wie billig unmittelbar neben oder vielmehr in dem Hause des Königs, in dem ältesten und vornehmsten Theil der Stadt am Palatin, die Stätte bereitet, an welche die ‚Vorrathskammer‘ (penates) sich anschloſs. Diesen vier Gott- heiten wurden seit ältester Zeit ständige Diener vom Staate bestellt: jenen Dreien jedem ein ‚Zünder‘ (flamen) zum Dar- bringen der Brandopfer, während sechs keusche Jungfrauen, gleichsam als die Haustöchter des römischen Volkes, zum Dienste der Vesta genommen wurden und das heilsame Feuer des gemeinen Heerdes, den Bürgern zum Exempel und Wahr- zeichen, stets lodernd unterhielten. Es war dieser häuslich- öffentliche Cult der heiligste aller römischen, wie er denn auch unter allen heidnischen Gottesdiensten zuletzt dem Chri- stenthum in Rom erlegen ist. — Natürlich beschränkte sich indeſs schon die älteste Verehrung keineswegs auf diejenigen Gottheiten, die den römischen Staat unmittelbar darstellten; auch andern Abstractionen wurde eine eigene Verehrung ge- widmet, deren Ursprung zum Theil über Roms Entstehung hinaufreichen mag und deren Begehung im Namen des Volkes einzelnen Genossenschaften oder Geschlechtern oblag. Dahin gehören die zwölf ‚Springer‘ (salii) aus der Altstadt und die zwölf Springer aus der Vorstadt, die im März den Waffentanz aufführten und dazu sangen; ferner die zwölf ‚Ackerbrüder‘ (fratres arvales), welche die ‚schaffende Göttin‘ im Mai anriefen für das Gedeihen der Saaten. Diese drei nicht gentilicischen sind unter allen Priestercollegien die vornehmsten. Ihnen schlieſst die titische Brüderschaft sich an, die den Sondercult der zweiten römischen Tribus zu bewahren und zu besorgen hat. Minder an- gesehen waren die Geschlechtsgottesdienste, bei denen zugleich das Volk sich betheiligt. So das ‚Wolfsfest‘ (lupercalia), das für die Beschirmung der Heerden dem ‚günstigen Gotte‘ (Faunus) von dem uralten Fabiergeschlecht und dem nach Albas Fall

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/126>, abgerufen am 24.11.2024.