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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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Endlich ist die Geschichte anderer Rechtstheile, so namentlich
des Privatrechtes, kein Bestandtheil einer Staatsgeschichte, außer
wo sie etwa von Einfluß auch auf die öffentlich-rechtlichen
Zustände sind. Es soll nicht in Abrede gezogen werden, daß die
Darstellung der geschichtlichen Entwickelung des gesammten Rechts-
lebens eines Volkes eine wissenschaftlich wichtige und fruchtbare
Aufgabe ist: allein dieselbe geht weit über den hier zunächst
vorliegenden Zweck hinaus, und es ist überhaupt die Verbindung
des Rechtes der Einzelnen und der gesellschaftlichen Kreise mit
dem Staatsrechte von größerer Bedeutung für das richtige
Verständniß des ersteren, als für die des letztgenannten 5).

1) Bei einer Herübernahme fremdländischer Staatseinrichtungen ist es
eine hauptsächliche Aufgabe der Geschichte, mit Bestimmtheit hervorzuheben,
inwieferne solche angenommene Grundsätze und Anstalten bei der Verpflan-
zung in ein anderes Medium mehr oder weniger wesentliche Veränderungen
erfahren haben, und die Ursachen zu bezeichnen, welche die, oft so auf-
fallende, Verschiedenheit der Wirkungen in beiden Ländern erzeugten. Ohne
umsichtiges Eingehen in diese, oft nur innerlichen und erst allmälig hervor-
tretenden, Verschiedenheiten ist große Gefahr einer ganz falschen Auffassung
der Thatsachen und einer verkehrten Beurtheilung der Ursachen und Wir-
kungen. Ein belehrendes Beispiel dieser Art sind die Veränderungen, welche
das repräsentative System bei seiner Verpflanzung von England nach Frank-
reich und so weiter in die übrigen europäischen Staaten erfuhr.
2) Zum Beweise, von welchem weitgreifenden Einflusse die politische
Literatur auf die Gestaltungen des Lebens und Staates sein kann, braucht
nur auf die großen französischen Schriftsteller des 18. Jahrhunderts, oder unter
den Engländern auf Delolme, Blackstone und Burke hingewiesen zu werden.
3) Wie nothwendig es ist, auch das Verkommen und die praktische
Unwirksamkeit von Staatsanstalten in der geschichtlichen Schilderung des
öffentlichen Lebens mit Bestimmtheit und Wahrheit hervorzuheben, zeigt sehr
deutlich ein Vergleich mancher früherer Werke über die Geschichte der deut-
schen Reichsverfassung mit den wirklichen Zuständen gegen das Ende des
Reiches. Nach Pütter's Schilderung z. B. möchte es scheinen, als seien
alle Einrichtungen gegen Ende des 18. Jahrhunderts noch vollständig lebens-
fähig und wirksam gewesen, während sie doch zum größten Theile nur noch
ein Schatten und mehr ein Hinderniß als eine Kraft waren. Hier wird
eine richtige Einsicht in den wirklichen Zustand und in die Ursachen des

Endlich iſt die Geſchichte anderer Rechtstheile, ſo namentlich
des Privatrechtes, kein Beſtandtheil einer Staatsgeſchichte, außer
wo ſie etwa von Einfluß auch auf die öffentlich-rechtlichen
Zuſtände ſind. Es ſoll nicht in Abrede gezogen werden, daß die
Darſtellung der geſchichtlichen Entwickelung des geſammten Rechts-
lebens eines Volkes eine wiſſenſchaftlich wichtige und fruchtbare
Aufgabe iſt: allein dieſelbe geht weit über den hier zunächſt
vorliegenden Zweck hinaus, und es iſt überhaupt die Verbindung
des Rechtes der Einzelnen und der geſellſchaftlichen Kreiſe mit
dem Staatsrechte von größerer Bedeutung für das richtige
Verſtändniß des erſteren, als für die des letztgenannten 5).

1) Bei einer Herübernahme fremdländiſcher Staatseinrichtungen iſt es
eine hauptſächliche Aufgabe der Geſchichte, mit Beſtimmtheit hervorzuheben,
inwieferne ſolche angenommene Grundſätze und Anſtalten bei der Verpflan-
zung in ein anderes Medium mehr oder weniger weſentliche Veränderungen
erfahren haben, und die Urſachen zu bezeichnen, welche die, oft ſo auf-
fallende, Verſchiedenheit der Wirkungen in beiden Ländern erzeugten. Ohne
umſichtiges Eingehen in dieſe, oft nur innerlichen und erſt allmälig hervor-
tretenden, Verſchiedenheiten iſt große Gefahr einer ganz falſchen Auffaſſung
der Thatſachen und einer verkehrten Beurtheilung der Urſachen und Wir-
kungen. Ein belehrendes Beiſpiel dieſer Art ſind die Veränderungen, welche
das repräſentative Syſtem bei ſeiner Verpflanzung von England nach Frank-
reich und ſo weiter in die übrigen europäiſchen Staaten erfuhr.
2) Zum Beweiſe, von welchem weitgreifenden Einfluſſe die politiſche
Literatur auf die Geſtaltungen des Lebens und Staates ſein kann, braucht
nur auf die großen franzöſiſchen Schriftſteller des 18. Jahrhunderts, oder unter
den Engländern auf Delolme, Blackſtone und Burke hingewieſen zu werden.
3) Wie nothwendig es iſt, auch das Verkommen und die praktiſche
Unwirkſamkeit von Staatsanſtalten in der geſchichtlichen Schilderung des
öffentlichen Lebens mit Beſtimmtheit und Wahrheit hervorzuheben, zeigt ſehr
deutlich ein Vergleich mancher früherer Werke über die Geſchichte der deut-
ſchen Reichsverfaſſung mit den wirklichen Zuſtänden gegen das Ende des
Reiches. Nach Pütter’s Schilderung z. B. möchte es ſcheinen, als ſeien
alle Einrichtungen gegen Ende des 18. Jahrhunderts noch vollſtändig lebens-
fähig und wirkſam geweſen, während ſie doch zum größten Theile nur noch
ein Schatten und mehr ein Hinderniß als eine Kraft waren. Hier wird
eine richtige Einſicht in den wirklichen Zuſtand und in die Urſachen des
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[725/0739] Endlich iſt die Geſchichte anderer Rechtstheile, ſo namentlich des Privatrechtes, kein Beſtandtheil einer Staatsgeſchichte, außer wo ſie etwa von Einfluß auch auf die öffentlich-rechtlichen Zuſtände ſind. Es ſoll nicht in Abrede gezogen werden, daß die Darſtellung der geſchichtlichen Entwickelung des geſammten Rechts- lebens eines Volkes eine wiſſenſchaftlich wichtige und fruchtbare Aufgabe iſt: allein dieſelbe geht weit über den hier zunächſt vorliegenden Zweck hinaus, und es iſt überhaupt die Verbindung des Rechtes der Einzelnen und der geſellſchaftlichen Kreiſe mit dem Staatsrechte von größerer Bedeutung für das richtige Verſtändniß des erſteren, als für die des letztgenannten 5). ¹⁾ Bei einer Herübernahme fremdländiſcher Staatseinrichtungen iſt es eine hauptſächliche Aufgabe der Geſchichte, mit Beſtimmtheit hervorzuheben, inwieferne ſolche angenommene Grundſätze und Anſtalten bei der Verpflan- zung in ein anderes Medium mehr oder weniger weſentliche Veränderungen erfahren haben, und die Urſachen zu bezeichnen, welche die, oft ſo auf- fallende, Verſchiedenheit der Wirkungen in beiden Ländern erzeugten. Ohne umſichtiges Eingehen in dieſe, oft nur innerlichen und erſt allmälig hervor- tretenden, Verſchiedenheiten iſt große Gefahr einer ganz falſchen Auffaſſung der Thatſachen und einer verkehrten Beurtheilung der Urſachen und Wir- kungen. Ein belehrendes Beiſpiel dieſer Art ſind die Veränderungen, welche das repräſentative Syſtem bei ſeiner Verpflanzung von England nach Frank- reich und ſo weiter in die übrigen europäiſchen Staaten erfuhr. ²⁾ Zum Beweiſe, von welchem weitgreifenden Einfluſſe die politiſche Literatur auf die Geſtaltungen des Lebens und Staates ſein kann, braucht nur auf die großen franzöſiſchen Schriftſteller des 18. Jahrhunderts, oder unter den Engländern auf Delolme, Blackſtone und Burke hingewieſen zu werden. ³⁾ Wie nothwendig es iſt, auch das Verkommen und die praktiſche Unwirkſamkeit von Staatsanſtalten in der geſchichtlichen Schilderung des öffentlichen Lebens mit Beſtimmtheit und Wahrheit hervorzuheben, zeigt ſehr deutlich ein Vergleich mancher früherer Werke über die Geſchichte der deut- ſchen Reichsverfaſſung mit den wirklichen Zuſtänden gegen das Ende des Reiches. Nach Pütter’s Schilderung z. B. möchte es ſcheinen, als ſeien alle Einrichtungen gegen Ende des 18. Jahrhunderts noch vollſtändig lebens- fähig und wirkſam geweſen, während ſie doch zum größten Theile nur noch ein Schatten und mehr ein Hinderniß als eine Kraft waren. Hier wird eine richtige Einſicht in den wirklichen Zuſtand und in die Urſachen des

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 725. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/739>, abgerufen am 23.11.2024.