Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

einzelnen Mannes nur selten, und zwar wo es besonders be-
günstigten Naturen vergönnt ist in geeigneten Verhältnissen zu
wirken, zum Träger staatsgeschichtlicher Mittheilungen gemacht
werden kann, ist an sich klar; wo dies aber der Fall ist, tritt
auch die Belehrung um so schärfer hervor, und ist namentlich
die Anwendung auf andere ähnliche Verhältnisse um so leichter,
weil Schwierigkeiten und Hülfsmittel auf eine Persönlichkeit
bezogen und somit auch von anderen Individuen leichter aufge-
faßt und verarbeitet werden können 5).

2. Die Geschichte der Staatensysteme läßt weder
eine dem Umfange nach so ausgedehnte und das ganze Leben
des Menschengeschlechtes umfassende Darstellung, noch eine so
große Verschiedenheit der Behandlung zu.

Dem Umfange nach ist sie nämlich weit beschränkter und
sogar wesentlich lückenhaft, weil nicht auf jeder Gesittigungs-
stufe ein regelmäßiges und bewußtes Zusammenleben und
gegenseitiges Einwirken der coexistirenden Staaten vorhanden
ist. Nicht nur sind Jahrtausende vergangen, ehe die in den
verschiedenen Welttheilen liegenden Staaten irgendwelche Kennt-
niß von einander nahmen und in irgendwelchen Beziehungen
zu einander standen; sondern die Geschichte zeigt auch, daß
selbst naheliegende Staaten und solche, welche gelegentlich feind-
lich oder freundlich zusammentraten, während langer Zeitab-
schnitte sich möglichst getrennt von einander hielten und kein
gemeinschaftliches größeres Ganzes bildeten. Aufgabe einer
wahrhaftigen Geschichte ist es daher, nur da Staatensysteme
vorzuführen und den Verlauf ihres gemeinsamen Lebens zu
schildern, wo in der That ein regelmäßiges Zusammenstehen
und gegenseitiges grundsätzliches Einwirken stattfand. Ist es
somit auch eine zu enge Auffassung, wenn nur von einem
Systeme der europäischen Staaten, und auch bei diesen nur
seit der Mitte des 15. Jahrhunderts, die Rede zu sein pflegt;

einzelnen Mannes nur ſelten, und zwar wo es beſonders be-
günſtigten Naturen vergönnt iſt in geeigneten Verhältniſſen zu
wirken, zum Träger ſtaatsgeſchichtlicher Mittheilungen gemacht
werden kann, iſt an ſich klar; wo dies aber der Fall iſt, tritt
auch die Belehrung um ſo ſchärfer hervor, und iſt namentlich
die Anwendung auf andere ähnliche Verhältniſſe um ſo leichter,
weil Schwierigkeiten und Hülfsmittel auf eine Perſönlichkeit
bezogen und ſomit auch von anderen Individuen leichter aufge-
faßt und verarbeitet werden können 5).

2. Die Geſchichte der Staatenſyſteme läßt weder
eine dem Umfange nach ſo ausgedehnte und das ganze Leben
des Menſchengeſchlechtes umfaſſende Darſtellung, noch eine ſo
große Verſchiedenheit der Behandlung zu.

Dem Umfange nach iſt ſie nämlich weit beſchränkter und
ſogar weſentlich lückenhaft, weil nicht auf jeder Geſittigungs-
ſtufe ein regelmäßiges und bewußtes Zuſammenleben und
gegenſeitiges Einwirken der coexiſtirenden Staaten vorhanden
iſt. Nicht nur ſind Jahrtauſende vergangen, ehe die in den
verſchiedenen Welttheilen liegenden Staaten irgendwelche Kennt-
niß von einander nahmen und in irgendwelchen Beziehungen
zu einander ſtanden; ſondern die Geſchichte zeigt auch, daß
ſelbſt naheliegende Staaten und ſolche, welche gelegentlich feind-
lich oder freundlich zuſammentraten, während langer Zeitab-
ſchnitte ſich möglichſt getrennt von einander hielten und kein
gemeinſchaftliches größeres Ganzes bildeten. Aufgabe einer
wahrhaftigen Geſchichte iſt es daher, nur da Staatenſyſteme
vorzuführen und den Verlauf ihres gemeinſamen Lebens zu
ſchildern, wo in der That ein regelmäßiges Zuſammenſtehen
und gegenſeitiges grundſätzliches Einwirken ſtattfand. Iſt es
ſomit auch eine zu enge Auffaſſung, wenn nur von einem
Syſteme der europäiſchen Staaten, und auch bei dieſen nur
ſeit der Mitte des 15. Jahrhunderts, die Rede zu ſein pflegt;

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0733" n="719"/>
einzelnen Mannes nur &#x017F;elten, und zwar wo es be&#x017F;onders be-<lb/>
gün&#x017F;tigten Naturen vergönnt i&#x017F;t in geeigneten Verhältni&#x017F;&#x017F;en zu<lb/>
wirken, zum Träger &#x017F;taatsge&#x017F;chichtlicher Mittheilungen gemacht<lb/>
werden kann, i&#x017F;t an &#x017F;ich klar; wo dies aber der Fall i&#x017F;t, tritt<lb/>
auch die Belehrung um &#x017F;o &#x017F;chärfer hervor, und i&#x017F;t namentlich<lb/>
die Anwendung auf andere ähnliche Verhältni&#x017F;&#x017F;e um &#x017F;o leichter,<lb/>
weil Schwierigkeiten und Hülfsmittel auf eine Per&#x017F;önlichkeit<lb/>
bezogen und &#x017F;omit auch von anderen Individuen leichter aufge-<lb/>
faßt und verarbeitet werden können <hi rendition="#sup">5</hi>).</p><lb/>
            <p>2. Die Ge&#x017F;chichte der <hi rendition="#g">Staaten&#x017F;y&#x017F;teme</hi> läßt weder<lb/>
eine dem Umfange nach &#x017F;o ausgedehnte und das ganze Leben<lb/>
des Men&#x017F;chenge&#x017F;chlechtes umfa&#x017F;&#x017F;ende Dar&#x017F;tellung, noch eine &#x017F;o<lb/>
große Ver&#x017F;chiedenheit der Behandlung zu.</p><lb/>
            <p>Dem Umfange nach i&#x017F;t &#x017F;ie nämlich weit be&#x017F;chränkter und<lb/>
&#x017F;ogar we&#x017F;entlich lückenhaft, weil nicht auf jeder Ge&#x017F;ittigungs-<lb/>
&#x017F;tufe ein regelmäßiges und bewußtes Zu&#x017F;ammenleben und<lb/>
gegen&#x017F;eitiges Einwirken der coexi&#x017F;tirenden Staaten vorhanden<lb/>
i&#x017F;t. Nicht nur &#x017F;ind Jahrtau&#x017F;ende vergangen, ehe die in den<lb/>
ver&#x017F;chiedenen Welttheilen liegenden Staaten irgendwelche Kennt-<lb/>
niß von einander nahmen und in irgendwelchen Beziehungen<lb/>
zu einander &#x017F;tanden; &#x017F;ondern die Ge&#x017F;chichte zeigt auch, daß<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t naheliegende Staaten und &#x017F;olche, welche gelegentlich feind-<lb/>
lich oder freundlich zu&#x017F;ammentraten, während langer Zeitab-<lb/>
&#x017F;chnitte &#x017F;ich möglich&#x017F;t getrennt von einander hielten und kein<lb/>
gemein&#x017F;chaftliches größeres Ganzes bildeten. Aufgabe einer<lb/>
wahrhaftigen Ge&#x017F;chichte i&#x017F;t es daher, nur da Staaten&#x017F;y&#x017F;teme<lb/>
vorzuführen und den Verlauf ihres gemein&#x017F;amen Lebens zu<lb/>
&#x017F;childern, wo in der That ein regelmäßiges Zu&#x017F;ammen&#x017F;tehen<lb/>
und gegen&#x017F;eitiges grund&#x017F;ätzliches Einwirken &#x017F;tattfand. I&#x017F;t es<lb/>
&#x017F;omit auch eine zu enge Auffa&#x017F;&#x017F;ung, wenn nur von einem<lb/>
Sy&#x017F;teme der europäi&#x017F;chen Staaten, und auch bei die&#x017F;en nur<lb/>
&#x017F;eit der Mitte des 15. Jahrhunderts, die Rede zu &#x017F;ein pflegt;<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[719/0733] einzelnen Mannes nur ſelten, und zwar wo es beſonders be- günſtigten Naturen vergönnt iſt in geeigneten Verhältniſſen zu wirken, zum Träger ſtaatsgeſchichtlicher Mittheilungen gemacht werden kann, iſt an ſich klar; wo dies aber der Fall iſt, tritt auch die Belehrung um ſo ſchärfer hervor, und iſt namentlich die Anwendung auf andere ähnliche Verhältniſſe um ſo leichter, weil Schwierigkeiten und Hülfsmittel auf eine Perſönlichkeit bezogen und ſomit auch von anderen Individuen leichter aufge- faßt und verarbeitet werden können 5). 2. Die Geſchichte der Staatenſyſteme läßt weder eine dem Umfange nach ſo ausgedehnte und das ganze Leben des Menſchengeſchlechtes umfaſſende Darſtellung, noch eine ſo große Verſchiedenheit der Behandlung zu. Dem Umfange nach iſt ſie nämlich weit beſchränkter und ſogar weſentlich lückenhaft, weil nicht auf jeder Geſittigungs- ſtufe ein regelmäßiges und bewußtes Zuſammenleben und gegenſeitiges Einwirken der coexiſtirenden Staaten vorhanden iſt. Nicht nur ſind Jahrtauſende vergangen, ehe die in den verſchiedenen Welttheilen liegenden Staaten irgendwelche Kennt- niß von einander nahmen und in irgendwelchen Beziehungen zu einander ſtanden; ſondern die Geſchichte zeigt auch, daß ſelbſt naheliegende Staaten und ſolche, welche gelegentlich feind- lich oder freundlich zuſammentraten, während langer Zeitab- ſchnitte ſich möglichſt getrennt von einander hielten und kein gemeinſchaftliches größeres Ganzes bildeten. Aufgabe einer wahrhaftigen Geſchichte iſt es daher, nur da Staatenſyſteme vorzuführen und den Verlauf ihres gemeinſamen Lebens zu ſchildern, wo in der That ein regelmäßiges Zuſammenſtehen und gegenſeitiges grundſätzliches Einwirken ſtattfand. Iſt es ſomit auch eine zu enge Auffaſſung, wenn nur von einem Syſteme der europäiſchen Staaten, und auch bei dieſen nur ſeit der Mitte des 15. Jahrhunderts, die Rede zu ſein pflegt;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/733
Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 719. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/733>, abgerufen am 24.11.2024.