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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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ihrer Ansichten anstatt innerer Einheit vielmehr Widerspruch der einzelnen
Bestandtheile zu erzeugen pflegt. Der Nutzen solcher Bücher besteht lediglich
in der leichtern Auffindung einer gewünschten einzelnen Kenntniß; es kann
aber keiner der drei als berechtigt bezeichneten Zwecke einer Encyklopädie
damit erreicht werden. Nur zur Gewinnung einer möglichsten Vollständigkeit
der Bücherkenntniß und wegen der allerdings anerkennenswerthen Tüchtigkeit
der Bearbeitung einzelner Abschnitte in den besseren Werken dieser Art werden
daher auch solche Schriften unten aufgeführt werden.
3) Vielleicht ließe sich das Verhältniß der beiden Bearbeitungsmethoden
kurz so bezeichnen, daß die äußerliche Ordnung eine "Encyklopädie der ....
Wissenschaften," die organische Bearbeitung dagegen eine "Encyklopädie
der .... Wissenschaft" liefere. Damit wäre denn auch der Streit entschieden,
ob Encyklopädie der Staatswissenschaften oder der Staatswissenschaft zu
setzen sei. Es käme auf die Methode in jedem einzelnen Falle an.
4) Es sind oben, § 6, vier Arten von Gesetzen, als auch für den
Staat, wie für die übrigen Gestaltungen des menschlichen Zusammenlebens,
maaßgebend angegeben worden, nämlich außer dem Rechte, der Sittenlehre
und der Zweckmäßigkeit auch noch die Religion. Es möchte somit
scheinen, als gehöre zu einer vollständigen Entwicklung der gesammten
Staatswissenschaft auch eine religiöse Staatslehre. -- Dieß mag
denn auch im Allgemeinen und als logische Forderung zugegeben werden;
auch ließen sich wohl einzelne Culturzustände in der Geschichte auffinden,
in welchen Religionsgesetze für den Staat bestanden, die somit auch wissen-
schaftlich entwickelt werden könnten. Allein bei den Völkern christlich-europäischer
Gesittigung hat sich eine solche Staatswissenschaft gar nicht entwickelt, und
hat sich auch nicht entwickeln können. Die christliche Religion stellt keine
eigenen für das Staatsleben besonders bestimmten Gebote auf, sondern
begnügt sich mit sittlichen für den einzelnen Menschen bestimmten Vor-
schriften, welche er dann natürlich auch, als Individuum, auf sein Verhält-
niß zum Staate und im Staate anzuwenden hat. So gewiß nun also
unsere ganze Sittenlehre, folglich auch die Staatssittenlehre, von christlichen
Anschauungen durchdrungen ist und sein soll, so ist doch kein Stoff zu einer
eigenen Staatsreligion vorhanden. Wenn allerdings in einem Theile
der christlichen Welt und während eines bestimmten Zeitabschnittes der Staat
auf angebliche religiöse Sätze gebaut worden ist, so daß sich eine christliche
Theokratie entwickelte: so ist dieß einer Seits nie die Auffassung der ge-
sammten Christenheit gewesen, anderer Seits längst diese Auffassung wieder
aufgegeben. Als geschichtliche und literarische Erscheinung wird diese Er-
scheinung im Staatsleben gehörigen Ortes Erwähnung geschehen; allein
die Aufnahme einer religiösen Staatslehre in das Gesammtsystem der Staats-
wissenschaften würde ebensowenig der itzigen allgemeinen Weltanschauung,
als dem Stande der Wissenschaft entsprechen.
ihrer Anſichten anſtatt innerer Einheit vielmehr Widerſpruch der einzelnen
Beſtandtheile zu erzeugen pflegt. Der Nutzen ſolcher Bücher beſteht lediglich
in der leichtern Auffindung einer gewünſchten einzelnen Kenntniß; es kann
aber keiner der drei als berechtigt bezeichneten Zwecke einer Encyklopädie
damit erreicht werden. Nur zur Gewinnung einer möglichſten Vollſtändigkeit
der Bücherkenntniß und wegen der allerdings anerkennenswerthen Tüchtigkeit
der Bearbeitung einzelner Abſchnitte in den beſſeren Werken dieſer Art werden
daher auch ſolche Schriften unten aufgeführt werden.
3) Vielleicht ließe ſich das Verhältniß der beiden Bearbeitungsmethoden
kurz ſo bezeichnen, daß die äußerliche Ordnung eine „Encyklopädie der ....
Wiſſenſchaften,“ die organiſche Bearbeitung dagegen eine „Encyklopädie
der .... Wiſſenſchaft“ liefere. Damit wäre denn auch der Streit entſchieden,
ob Encyklopädie der Staatswiſſenſchaften oder der Staatswiſſenſchaft zu
ſetzen ſei. Es käme auf die Methode in jedem einzelnen Falle an.
4) Es ſind oben, § 6, vier Arten von Geſetzen, als auch für den
Staat, wie für die übrigen Geſtaltungen des menſchlichen Zuſammenlebens,
maaßgebend angegeben worden, nämlich außer dem Rechte, der Sittenlehre
und der Zweckmäßigkeit auch noch die Religion. Es möchte ſomit
ſcheinen, als gehöre zu einer vollſtändigen Entwicklung der geſammten
Staatswiſſenſchaft auch eine religiöſe Staatslehre. — Dieß mag
denn auch im Allgemeinen und als logiſche Forderung zugegeben werden;
auch ließen ſich wohl einzelne Culturzuſtände in der Geſchichte auffinden,
in welchen Religionsgeſetze für den Staat beſtanden, die ſomit auch wiſſen-
ſchaftlich entwickelt werden könnten. Allein bei den Völkern chriſtlich-europäiſcher
Geſittigung hat ſich eine ſolche Staatswiſſenſchaft gar nicht entwickelt, und
hat ſich auch nicht entwickeln können. Die chriſtliche Religion ſtellt keine
eigenen für das Staatsleben beſonders beſtimmten Gebote auf, ſondern
begnügt ſich mit ſittlichen für den einzelnen Menſchen beſtimmten Vor-
ſchriften, welche er dann natürlich auch, als Individuum, auf ſein Verhält-
niß zum Staate und im Staate anzuwenden hat. So gewiß nun alſo
unſere ganze Sittenlehre, folglich auch die Staatsſittenlehre, von chriſtlichen
Anſchauungen durchdrungen iſt und ſein ſoll, ſo iſt doch kein Stoff zu einer
eigenen Staatsreligion vorhanden. Wenn allerdings in einem Theile
der chriſtlichen Welt und während eines beſtimmten Zeitabſchnittes der Staat
auf angebliche religiöſe Sätze gebaut worden iſt, ſo daß ſich eine chriſtliche
Theokratie entwickelte: ſo iſt dieß einer Seits nie die Auffaſſung der ge-
ſammten Chriſtenheit geweſen, anderer Seits längſt dieſe Auffaſſung wieder
aufgegeben. Als geſchichtliche und literariſche Erſcheinung wird dieſe Er-
ſcheinung im Staatsleben gehörigen Ortes Erwähnung geſchehen; allein
die Aufnahme einer religiöſen Staatslehre in das Geſammtſyſtem der Staats-
wiſſenſchaften würde ebenſowenig der itzigen allgemeinen Weltanſchauung,
als dem Stande der Wiſſenſchaft entſprechen.
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[54/0068] ²⁾ ihrer Anſichten anſtatt innerer Einheit vielmehr Widerſpruch der einzelnen Beſtandtheile zu erzeugen pflegt. Der Nutzen ſolcher Bücher beſteht lediglich in der leichtern Auffindung einer gewünſchten einzelnen Kenntniß; es kann aber keiner der drei als berechtigt bezeichneten Zwecke einer Encyklopädie damit erreicht werden. Nur zur Gewinnung einer möglichſten Vollſtändigkeit der Bücherkenntniß und wegen der allerdings anerkennenswerthen Tüchtigkeit der Bearbeitung einzelner Abſchnitte in den beſſeren Werken dieſer Art werden daher auch ſolche Schriften unten aufgeführt werden. ³⁾ Vielleicht ließe ſich das Verhältniß der beiden Bearbeitungsmethoden kurz ſo bezeichnen, daß die äußerliche Ordnung eine „Encyklopädie der .... Wiſſenſchaften,“ die organiſche Bearbeitung dagegen eine „Encyklopädie der .... Wiſſenſchaft“ liefere. Damit wäre denn auch der Streit entſchieden, ob Encyklopädie der Staatswiſſenſchaften oder der Staatswiſſenſchaft zu ſetzen ſei. Es käme auf die Methode in jedem einzelnen Falle an. ⁴⁾ Es ſind oben, § 6, vier Arten von Geſetzen, als auch für den Staat, wie für die übrigen Geſtaltungen des menſchlichen Zuſammenlebens, maaßgebend angegeben worden, nämlich außer dem Rechte, der Sittenlehre und der Zweckmäßigkeit auch noch die Religion. Es möchte ſomit ſcheinen, als gehöre zu einer vollſtändigen Entwicklung der geſammten Staatswiſſenſchaft auch eine religiöſe Staatslehre. — Dieß mag denn auch im Allgemeinen und als logiſche Forderung zugegeben werden; auch ließen ſich wohl einzelne Culturzuſtände in der Geſchichte auffinden, in welchen Religionsgeſetze für den Staat beſtanden, die ſomit auch wiſſen- ſchaftlich entwickelt werden könnten. Allein bei den Völkern chriſtlich-europäiſcher Geſittigung hat ſich eine ſolche Staatswiſſenſchaft gar nicht entwickelt, und hat ſich auch nicht entwickeln können. Die chriſtliche Religion ſtellt keine eigenen für das Staatsleben beſonders beſtimmten Gebote auf, ſondern begnügt ſich mit ſittlichen für den einzelnen Menſchen beſtimmten Vor- ſchriften, welche er dann natürlich auch, als Individuum, auf ſein Verhält- niß zum Staate und im Staate anzuwenden hat. So gewiß nun alſo unſere ganze Sittenlehre, folglich auch die Staatsſittenlehre, von chriſtlichen Anſchauungen durchdrungen iſt und ſein ſoll, ſo iſt doch kein Stoff zu einer eigenen Staatsreligion vorhanden. Wenn allerdings in einem Theile der chriſtlichen Welt und während eines beſtimmten Zeitabſchnittes der Staat auf angebliche religiöſe Sätze gebaut worden iſt, ſo daß ſich eine chriſtliche Theokratie entwickelte: ſo iſt dieß einer Seits nie die Auffaſſung der ge- ſammten Chriſtenheit geweſen, anderer Seits längſt dieſe Auffaſſung wieder aufgegeben. Als geſchichtliche und literariſche Erſcheinung wird dieſe Er- ſcheinung im Staatsleben gehörigen Ortes Erwähnung geſchehen; allein die Aufnahme einer religiöſen Staatslehre in das Geſammtſyſtem der Staats- wiſſenſchaften würde ebenſowenig der itzigen allgemeinen Weltanſchauung, als dem Stande der Wiſſenſchaft entſprechen.

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/68>, abgerufen am 23.11.2024.