Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

diese Staatsgattung je nach Bedürfniß oder Verlangen quali-
tativ und quantitativ Verschiedenes zu leisten vermag. Als
thatsächliche Grundlage aber ist (mit Ausnahme einer einzigen
Unterart) ein größerer Umfang und ein ansehnliches Volksver-
mögen erforderlich zur vollen Blüthe. Der an den Rechtsstaat
gestellten Forderungen sind so viele und sie sind zum Theil so
kostspielig, überdieß bedarf er so zahlreicher und bedeutender
geistiger Kräfte, daß in kleinerem Raume und bei weniger und
armer Bevölkerung die Mittel nicht gefunden werden. Außer-
dem setzen aber die einzelnen Arten dieser Staatsgattung noch
mancherlei besondere Zustände voraus. Die Demokratie
namentlich bedarf eines lebendigen Sinnes für die allgemeinen
Angelegenheiten und Hochstellung der Gleichheit. In ihrer
Form als reine Volksherrschaft aber ist sie insbesondere und
ausnahmsweise nur in einem beschränkten Gebiete möglich,
sowie bei vorherrschender Vermögensgleichheit; während eine
repräsentative Demokratie auch mit großer wirthschaftlicher
Thätigkeit und somit Vermögensungleichheit wohl verträglich ist,
falls sich nur die Abneigung gegen bevorzugte Stellung erhält.
Eine Aristokratie fordert bei den herrschenden Geschlechtern
Kraft, Sittenstrenge, staatsmännische Ausbildung, unabhängiges
Vermögen; bei den Unterthanen jedenfalls unterwürfigen Sinn
und entweder große Neigung zu wirthschaftlicher Thätigkeit oder
sittliches Verkommensein. Eine Monarchie endlich setzt Pietät
gegen die Stellung, wo nicht gegen die Person des Fürsten
voraus; und es wird Eitelkeit des Volkes und Freude an
Glanz und Auszeichnung mindestens zuträglich sein. Entwickelter
Rechtssinn ist hiermit wohl vereinbar, nicht aber vorherrschen-
des Streben nach Gleichheit. Zur glücklichen Durchführung
der repräsentativen Form dieser Staatsart aber ist noch ins-
besondere erforderlich: eine höhere politische Bildung des gesamm-
ten Volkes; eine zahlreiche Bevölkerung, damit es an der

dieſe Staatsgattung je nach Bedürfniß oder Verlangen quali-
tativ und quantitativ Verſchiedenes zu leiſten vermag. Als
thatſächliche Grundlage aber iſt (mit Ausnahme einer einzigen
Unterart) ein größerer Umfang und ein anſehnliches Volksver-
mögen erforderlich zur vollen Blüthe. Der an den Rechtsſtaat
geſtellten Forderungen ſind ſo viele und ſie ſind zum Theil ſo
koſtſpielig, überdieß bedarf er ſo zahlreicher und bedeutender
geiſtiger Kräfte, daß in kleinerem Raume und bei weniger und
armer Bevölkerung die Mittel nicht gefunden werden. Außer-
dem ſetzen aber die einzelnen Arten dieſer Staatsgattung noch
mancherlei beſondere Zuſtände voraus. Die Demokratie
namentlich bedarf eines lebendigen Sinnes für die allgemeinen
Angelegenheiten und Hochſtellung der Gleichheit. In ihrer
Form als reine Volksherrſchaft aber iſt ſie insbeſondere und
ausnahmsweiſe nur in einem beſchränkten Gebiete möglich,
ſowie bei vorherrſchender Vermögensgleichheit; während eine
repräſentative Demokratie auch mit großer wirthſchaftlicher
Thätigkeit und ſomit Vermögensungleichheit wohl verträglich iſt,
falls ſich nur die Abneigung gegen bevorzugte Stellung erhält.
Eine Ariſtokratie fordert bei den herrſchenden Geſchlechtern
Kraft, Sittenſtrenge, ſtaatsmänniſche Ausbildung, unabhängiges
Vermögen; bei den Unterthanen jedenfalls unterwürfigen Sinn
und entweder große Neigung zu wirthſchaftlicher Thätigkeit oder
ſittliches Verkommenſein. Eine Monarchie endlich ſetzt Pietät
gegen die Stellung, wo nicht gegen die Perſon des Fürſten
voraus; und es wird Eitelkeit des Volkes und Freude an
Glanz und Auszeichnung mindeſtens zuträglich ſein. Entwickelter
Rechtsſinn iſt hiermit wohl vereinbar, nicht aber vorherrſchen-
des Streben nach Gleichheit. Zur glücklichen Durchführung
der repräſentativen Form dieſer Staatsart aber iſt noch ins-
beſondere erforderlich: eine höhere politiſche Bildung des geſamm-
ten Volkes; eine zahlreiche Bevölkerung, damit es an der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0613" n="599"/>
die&#x017F;e Staatsgattung je nach Bedürfniß oder Verlangen quali-<lb/>
tativ und quantitativ Ver&#x017F;chiedenes zu lei&#x017F;ten vermag. Als<lb/>
that&#x017F;ächliche Grundlage aber i&#x017F;t (mit Ausnahme einer einzigen<lb/>
Unterart) ein größerer Umfang und ein an&#x017F;ehnliches Volksver-<lb/>
mögen erforderlich zur vollen Blüthe. Der an den Rechts&#x017F;taat<lb/>
ge&#x017F;tellten Forderungen &#x017F;ind &#x017F;o viele und &#x017F;ie &#x017F;ind zum Theil &#x017F;o<lb/>
ko&#x017F;t&#x017F;pielig, überdieß bedarf er &#x017F;o zahlreicher und bedeutender<lb/>
gei&#x017F;tiger Kräfte, daß in kleinerem Raume und bei weniger und<lb/>
armer Bevölkerung die Mittel nicht gefunden werden. Außer-<lb/>
dem &#x017F;etzen aber die einzelnen Arten die&#x017F;er Staatsgattung noch<lb/>
mancherlei be&#x017F;ondere Zu&#x017F;tände voraus. Die <hi rendition="#g">Demokratie</hi><lb/>
namentlich bedarf eines lebendigen Sinnes für die allgemeinen<lb/>
Angelegenheiten und Hoch&#x017F;tellung der Gleichheit. In ihrer<lb/>
Form als reine Volksherr&#x017F;chaft aber i&#x017F;t &#x017F;ie insbe&#x017F;ondere und<lb/>
ausnahmswei&#x017F;e nur in einem be&#x017F;chränkten Gebiete möglich,<lb/>
&#x017F;owie bei vorherr&#x017F;chender Vermögensgleichheit; während eine<lb/>
reprä&#x017F;entative Demokratie auch mit großer wirth&#x017F;chaftlicher<lb/>
Thätigkeit und &#x017F;omit Vermögensungleichheit wohl verträglich i&#x017F;t,<lb/>
falls &#x017F;ich nur die Abneigung gegen bevorzugte Stellung erhält.<lb/>
Eine <hi rendition="#g">Ari&#x017F;tokratie</hi> fordert bei den herr&#x017F;chenden Ge&#x017F;chlechtern<lb/>
Kraft, Sitten&#x017F;trenge, &#x017F;taatsmänni&#x017F;che Ausbildung, unabhängiges<lb/>
Vermögen; bei den Unterthanen jedenfalls unterwürfigen Sinn<lb/>
und entweder große Neigung zu wirth&#x017F;chaftlicher Thätigkeit oder<lb/>
&#x017F;ittliches Verkommen&#x017F;ein. Eine <hi rendition="#g">Monarchie</hi> endlich &#x017F;etzt Pietät<lb/>
gegen die Stellung, wo nicht gegen die Per&#x017F;on des Für&#x017F;ten<lb/>
voraus; und es wird Eitelkeit des Volkes und Freude an<lb/>
Glanz und Auszeichnung minde&#x017F;tens zuträglich &#x017F;ein. Entwickelter<lb/>
Rechts&#x017F;inn i&#x017F;t hiermit wohl vereinbar, nicht aber vorherr&#x017F;chen-<lb/>
des Streben nach Gleichheit. Zur glücklichen Durchführung<lb/>
der reprä&#x017F;entativen Form die&#x017F;er Staatsart aber i&#x017F;t noch ins-<lb/>
be&#x017F;ondere erforderlich: eine höhere politi&#x017F;che Bildung des ge&#x017F;amm-<lb/>
ten Volkes; eine zahlreiche Bevölkerung, damit es an der<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[599/0613] dieſe Staatsgattung je nach Bedürfniß oder Verlangen quali- tativ und quantitativ Verſchiedenes zu leiſten vermag. Als thatſächliche Grundlage aber iſt (mit Ausnahme einer einzigen Unterart) ein größerer Umfang und ein anſehnliches Volksver- mögen erforderlich zur vollen Blüthe. Der an den Rechtsſtaat geſtellten Forderungen ſind ſo viele und ſie ſind zum Theil ſo koſtſpielig, überdieß bedarf er ſo zahlreicher und bedeutender geiſtiger Kräfte, daß in kleinerem Raume und bei weniger und armer Bevölkerung die Mittel nicht gefunden werden. Außer- dem ſetzen aber die einzelnen Arten dieſer Staatsgattung noch mancherlei beſondere Zuſtände voraus. Die Demokratie namentlich bedarf eines lebendigen Sinnes für die allgemeinen Angelegenheiten und Hochſtellung der Gleichheit. In ihrer Form als reine Volksherrſchaft aber iſt ſie insbeſondere und ausnahmsweiſe nur in einem beſchränkten Gebiete möglich, ſowie bei vorherrſchender Vermögensgleichheit; während eine repräſentative Demokratie auch mit großer wirthſchaftlicher Thätigkeit und ſomit Vermögensungleichheit wohl verträglich iſt, falls ſich nur die Abneigung gegen bevorzugte Stellung erhält. Eine Ariſtokratie fordert bei den herrſchenden Geſchlechtern Kraft, Sittenſtrenge, ſtaatsmänniſche Ausbildung, unabhängiges Vermögen; bei den Unterthanen jedenfalls unterwürfigen Sinn und entweder große Neigung zu wirthſchaftlicher Thätigkeit oder ſittliches Verkommenſein. Eine Monarchie endlich ſetzt Pietät gegen die Stellung, wo nicht gegen die Perſon des Fürſten voraus; und es wird Eitelkeit des Volkes und Freude an Glanz und Auszeichnung mindeſtens zuträglich ſein. Entwickelter Rechtsſinn iſt hiermit wohl vereinbar, nicht aber vorherrſchen- des Streben nach Gleichheit. Zur glücklichen Durchführung der repräſentativen Form dieſer Staatsart aber iſt noch ins- beſondere erforderlich: eine höhere politiſche Bildung des geſamm- ten Volkes; eine zahlreiche Bevölkerung, damit es an der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/613
Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 599. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/613>, abgerufen am 21.11.2024.